gann sich zu ärgern, sich zurückzuziehen, des Königs Tafel zu mei- den oder durch hochmüthiges Schweigen die Aufmerksamkeit auf sich zu wenden, und, sonst der eifrigste Vertheidiger alles dessen, was Alexander that und wollte, den Republikaner zu spielen und die gute alte Zeit zu rühmen. Einst war er zur Tafel beim Kö- nige und wurde von diesem aufgefordert, beim Wein eine Lobrede auf die Macedonier zu halten; er that es mit der ihm eigenthüm- lichen Kunst unter dem lautesten Beifall der Anwesenden. Dann sagte der König, es sei leicht das Ruhmreiche zu rühmen, er möge seine Kunst beweisen, indem er gegen dieselben Macedonier spräche und durch gerechten Tadel sie des Bessern belehren; das that der Sophist mit schneidender Bitterkeit: der Griechen unselige Zwie- tracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegründet, im Auf- ruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empört sprangen die Macedonier auf, und Alexander sagte: nicht von seiner Kunst, sondern von seinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis gegeben. Kallisthenes aber ging heim, und sagte dreimal zu sich selbst: Auch Patroklus mußte sterben und war mehr denn du! 84).
Alexander wünschte, die Sitte der morgenländischen Anbetung an seinem Hofe eingeführt zu sehen; es hätte als ein Vorzug ge- gen Griechen und Macedonier erscheinen können, wenn er nur von Asiaten diese Art der Huldigung, die seiner Macht gebührte, an- nahm; er wünschte jeden äußeren Unterschied aufgehoben. Den Vor- urtheilen, an welchen Mancher haftete, mochte er nicht durch einen Befehl Anlaß zur Misdeutung und Unzufriedenheit geben; er hoffte, daß sich die Sache in Form stillschweigender Uebereinkunft machen würde. Hephästion und einige Andere übernahmen es, die Grie- chen und die Macedonischen Generale zu bereden; auch Kallisthenes verpflichtete sich, was bei seinem Ansehn wichtig war und Man- chen über seine etwanigen Bedenken beruhigen konnte. Als nun am verabredeten Tage die Großen bei Alexander zur Tafel waren, so nahm Alexander die goldene Schaale und trank seinen Freunden einzeln zu, worauf sich jeder zum Altar wandte, seinen Becher trank, dann aufstand, vor dem Könige das Knie beugte, und ihn küßte. Als nun die Reihe an Kallisthenes kam, und der König ihm zu-
84)Plut.; cf. Philostrat. vit. Apoll. VII. 1. 2.
gann ſich zu aͤrgern, ſich zuruͤckzuziehen, des Koͤnigs Tafel zu mei- den oder durch hochmuͤthiges Schweigen die Aufmerkſamkeit auf ſich zu wenden, und, ſonſt der eifrigſte Vertheidiger alles deſſen, was Alexander that und wollte, den Republikaner zu ſpielen und die gute alte Zeit zu ruͤhmen. Einſt war er zur Tafel beim Koͤ- nige und wurde von dieſem aufgefordert, beim Wein eine Lobrede auf die Macedonier zu halten; er that es mit der ihm eigenthuͤm- lichen Kunſt unter dem lauteſten Beifall der Anweſenden. Dann ſagte der Koͤnig, es ſei leicht das Ruhmreiche zu ruͤhmen, er moͤge ſeine Kunſt beweiſen, indem er gegen dieſelben Macedonier ſpraͤche und durch gerechten Tadel ſie des Beſſern belehren; das that der Sophiſt mit ſchneidender Bitterkeit: der Griechen unſelige Zwie- tracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegruͤndet, im Auf- ruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empoͤrt ſprangen die Macedonier auf, und Alexander ſagte: nicht von ſeiner Kunſt, ſondern von ſeinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis gegeben. Kalliſthenes aber ging heim, und ſagte dreimal zu ſich ſelbſt: Auch Patroklus mußte ſterben und war mehr denn du! 84).
Alexander wuͤnſchte, die Sitte der morgenlaͤndiſchen Anbetung an ſeinem Hofe eingefuͤhrt zu ſehen; es haͤtte als ein Vorzug ge- gen Griechen und Macedonier erſcheinen koͤnnen, wenn er nur von Aſiaten dieſe Art der Huldigung, die ſeiner Macht gebuͤhrte, an- nahm; er wuͤnſchte jeden aͤußeren Unterſchied aufgehoben. Den Vor- urtheilen, an welchen Mancher haftete, mochte er nicht durch einen Befehl Anlaß zur Misdeutung und Unzufriedenheit geben; er hoffte, daß ſich die Sache in Form ſtillſchweigender Uebereinkunft machen wuͤrde. Hephaͤſtion und einige Andere uͤbernahmen es, die Grie- chen und die Macedoniſchen Generale zu bereden; auch Kalliſthenes verpflichtete ſich, was bei ſeinem Anſehn wichtig war und Man- chen uͤber ſeine etwanigen Bedenken beruhigen konnte. Als nun am verabredeten Tage die Großen bei Alexander zur Tafel waren, ſo nahm Alexander die goldene Schaale und trank ſeinen Freunden einzeln zu, worauf ſich jeder zum Altar wandte, ſeinen Becher trank, dann aufſtand, vor dem Koͤnige das Knie beugte, und ihn kuͤßte. Als nun die Reihe an Kalliſthenes kam, und der Koͤnig ihm zu-
84)Plut.; cf. Philostrat. vit. Apoll. VII. 1. 2.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0365"n="351"/>
gann ſich zu aͤrgern, ſich zuruͤckzuziehen, des Koͤnigs Tafel zu mei-<lb/>
den oder durch hochmuͤthiges Schweigen die Aufmerkſamkeit auf<lb/>ſich zu wenden, und, ſonſt der eifrigſte Vertheidiger alles deſſen,<lb/>
was Alexander that und wollte, den Republikaner zu ſpielen und<lb/>
die gute alte Zeit zu ruͤhmen. Einſt war er zur Tafel beim Koͤ-<lb/>
nige und wurde von dieſem aufgefordert, beim Wein eine Lobrede<lb/>
auf die Macedonier zu halten; er that es mit der ihm eigenthuͤm-<lb/>
lichen Kunſt unter dem lauteſten Beifall der Anweſenden. Dann<lb/>ſagte der Koͤnig, es ſei leicht das Ruhmreiche zu ruͤhmen, er moͤge<lb/>ſeine Kunſt beweiſen, indem er gegen dieſelben Macedonier ſpraͤche<lb/>
und durch gerechten Tadel ſie des Beſſern belehren; das that der<lb/>
Sophiſt mit ſchneidender Bitterkeit: der Griechen unſelige Zwie-<lb/>
tracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegruͤndet, im Auf-<lb/>
ruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empoͤrt ſprangen<lb/>
die Macedonier auf, und Alexander ſagte: nicht von ſeiner Kunſt,<lb/>ſondern von ſeinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis<lb/>
gegeben. Kalliſthenes aber ging heim, und ſagte dreimal zu ſich<lb/>ſelbſt: Auch Patroklus mußte ſterben und war mehr denn du! <noteplace="foot"n="84)"><hirendition="#aq">Plut.; cf. Philostrat. vit. Apoll. VII. 1. 2.</hi></note>.</p><lb/><p>Alexander wuͤnſchte, die Sitte der morgenlaͤndiſchen Anbetung<lb/>
an ſeinem Hofe eingefuͤhrt zu ſehen; es haͤtte als ein Vorzug ge-<lb/>
gen Griechen und Macedonier erſcheinen koͤnnen, wenn er nur von<lb/>
Aſiaten dieſe Art der Huldigung, die ſeiner Macht gebuͤhrte, an-<lb/>
nahm; er wuͤnſchte jeden aͤußeren Unterſchied aufgehoben. Den Vor-<lb/>
urtheilen, an welchen Mancher haftete, mochte er nicht durch einen<lb/>
Befehl Anlaß zur Misdeutung und Unzufriedenheit geben; er hoffte,<lb/>
daß ſich die Sache in Form ſtillſchweigender Uebereinkunft machen<lb/>
wuͤrde. Hephaͤſtion und einige Andere uͤbernahmen es, die Grie-<lb/>
chen und die Macedoniſchen Generale zu bereden; auch Kalliſthenes<lb/>
verpflichtete ſich, was bei ſeinem Anſehn wichtig war und Man-<lb/>
chen uͤber ſeine etwanigen Bedenken beruhigen konnte. Als nun<lb/>
am verabredeten Tage die Großen bei Alexander zur Tafel waren,<lb/>ſo nahm Alexander die goldene Schaale und trank ſeinen Freunden<lb/>
einzeln zu, worauf ſich jeder zum Altar wandte, ſeinen Becher trank,<lb/>
dann aufſtand, vor dem Koͤnige das Knie beugte, und ihn kuͤßte.<lb/>
Als nun die Reihe an Kalliſthenes kam, und der Koͤnig ihm zu-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0365]
gann ſich zu aͤrgern, ſich zuruͤckzuziehen, des Koͤnigs Tafel zu mei-
den oder durch hochmuͤthiges Schweigen die Aufmerkſamkeit auf
ſich zu wenden, und, ſonſt der eifrigſte Vertheidiger alles deſſen,
was Alexander that und wollte, den Republikaner zu ſpielen und
die gute alte Zeit zu ruͤhmen. Einſt war er zur Tafel beim Koͤ-
nige und wurde von dieſem aufgefordert, beim Wein eine Lobrede
auf die Macedonier zu halten; er that es mit der ihm eigenthuͤm-
lichen Kunſt unter dem lauteſten Beifall der Anweſenden. Dann
ſagte der Koͤnig, es ſei leicht das Ruhmreiche zu ruͤhmen, er moͤge
ſeine Kunſt beweiſen, indem er gegen dieſelben Macedonier ſpraͤche
und durch gerechten Tadel ſie des Beſſern belehren; das that der
Sophiſt mit ſchneidender Bitterkeit: der Griechen unſelige Zwie-
tracht habe die Macht Philipps und Alexanders gegruͤndet, im Auf-
ruhr komme auch ein Elender bisweilen zu Ehren. Empoͤrt ſprangen
die Macedonier auf, und Alexander ſagte: nicht von ſeiner Kunſt,
ſondern von ſeinem Haß gegen uns hat der Olynthier einen Beweis
gegeben. Kalliſthenes aber ging heim, und ſagte dreimal zu ſich
ſelbſt: Auch Patroklus mußte ſterben und war mehr denn du! 84).
Alexander wuͤnſchte, die Sitte der morgenlaͤndiſchen Anbetung
an ſeinem Hofe eingefuͤhrt zu ſehen; es haͤtte als ein Vorzug ge-
gen Griechen und Macedonier erſcheinen koͤnnen, wenn er nur von
Aſiaten dieſe Art der Huldigung, die ſeiner Macht gebuͤhrte, an-
nahm; er wuͤnſchte jeden aͤußeren Unterſchied aufgehoben. Den Vor-
urtheilen, an welchen Mancher haftete, mochte er nicht durch einen
Befehl Anlaß zur Misdeutung und Unzufriedenheit geben; er hoffte,
daß ſich die Sache in Form ſtillſchweigender Uebereinkunft machen
wuͤrde. Hephaͤſtion und einige Andere uͤbernahmen es, die Grie-
chen und die Macedoniſchen Generale zu bereden; auch Kalliſthenes
verpflichtete ſich, was bei ſeinem Anſehn wichtig war und Man-
chen uͤber ſeine etwanigen Bedenken beruhigen konnte. Als nun
am verabredeten Tage die Großen bei Alexander zur Tafel waren,
ſo nahm Alexander die goldene Schaale und trank ſeinen Freunden
einzeln zu, worauf ſich jeder zum Altar wandte, ſeinen Becher trank,
dann aufſtand, vor dem Koͤnige das Knie beugte, und ihn kuͤßte.
Als nun die Reihe an Kalliſthenes kam, und der Koͤnig ihm zu-
84) Plut.; cf. Philostrat. vit. Apoll. VII. 1. 2.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/365>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.