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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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getrunken, und dann mit Hephästion sprach, der an seiner Sein
saß, stand der Philosoph auf, leerte den Becher und ging zum Kö-
nige, um ihn zu küssen; der König wollte es nicht sehn, daß der
Mann nicht anbetete; aber einer der Getreuen sagte: "Küsse ihn
nicht, König, er ist der einzige, der nicht angebetet". Alexander
weigerte den Kuß, und Kallisthenes sprach, indem er sich hinweg-
wandte: "So gehe ich um einen Kuß ärmer fort". Unverkennbat
hatte der hochmüthige Mann diesen Skandal gesucht; Hephästion
versicherte den König, daß er die Huldigung versprochen habe; Ly-
simachus und Andere fügten hinzu, es sei nicht auszuhalten mit dem
Dünkel des Sophisten, er wandle so stolz einher, als ob er das Kö-
nigthum stürzen wolle, er sei gefährlich, da sich viele Macedonische
Jünglinge an ihn hingen, seine Worte wie Orakel, ihn selbst wie den
einzigen Freien unter den Tausenden des Heeres betrachteten. Und
nur zu bald sollten diese Besorgnisse eine traurige Bestätigung fin-
den 85).

Nach
85) So erzählt Chares von Mitylene, (Plut. Alex. 55.) der
eine der größten Hofchargen bei Alexander bekleidete, und von den
man nicht sagen kann, daß er partheiisch für Alexander schrieb; s.
Athen. X. 436 St. Croix p. 39. Nach anderen Berichten (Curtius,
Arrian) verhielt sich die Sache folgendermaaßen: Alexander sei mit
den Sophisten und den vornehmsten Medern und Persern überein-
gekommen, die Sache während eines Trinkgelages zur Sprache zu
bringen, Anaxarchus habe da das Wort ergriffen und geäußert,
Alexander verdiene mehr als Bacchus und Herakles göttliche Ehre
bei den Macedoniern; nach seinem Tode werde sie ihm niemand wei-
gern, desto mehr müsse man ihn bei Lebzeiten anbeten. Dann hätten
einige angebetet, und da die Macedonier, obschon unzufrieden, ge-
schwiegen, sei Kallisthenes aufgestanden und habe in einer sehr frei-
müthigen Rede dem Vorschlage des Anaxarchus widersprochen, na-
mentlich Alexanders göttliche Verehrung als etwas Verkehrtes dar-
gestellt, angeführt, daß erst Cyrus unter den Persern diese gottlose
Sitte eingeführt habe, daß er dafür von den Seythen besiegt worden
so wie Xerxes von den Griechen, Artaxerxes von den Zehntausend und
der letzte Darius von Alexander, dem nicht Angebeteten. Dieß habe
den König bitter gekränkt, die Macedonier aber alle erfreut, wei-
halb

getrunken, und dann mit Hephaͤſtion ſprach, der an ſeiner Sein
ſaß, ſtand der Philoſoph auf, leerte den Becher und ging zum Koͤ-
nige, um ihn zu kuͤſſen; der Koͤnig wollte es nicht ſehn, daß der
Mann nicht anbetete; aber einer der Getreuen ſagte: „Kuͤſſe ihn
nicht, Koͤnig, er iſt der einzige, der nicht angebetet“. Alexander
weigerte den Kuß, und Kalliſthenes ſprach, indem er ſich hinweg-
wandte: „So gehe ich um einen Kuß aͤrmer fort“. Unverkennbat
hatte der hochmuͤthige Mann dieſen Skandal geſucht; Hephaͤſtion
verſicherte den Koͤnig, daß er die Huldigung verſprochen habe; Ly-
ſimachus und Andere fuͤgten hinzu, es ſei nicht auszuhalten mit dem
Duͤnkel des Sophiſten, er wandle ſo ſtolz einher, als ob er das Koͤ-
nigthum ſtuͤrzen wolle, er ſei gefaͤhrlich, da ſich viele Macedoniſche
Juͤnglinge an ihn hingen, ſeine Worte wie Orakel, ihn ſelbſt wie den
einzigen Freien unter den Tauſenden des Heeres betrachteten. Und
nur zu bald ſollten dieſe Beſorgniſſe eine traurige Beſtaͤtigung fin-
den 85).

Nach
85) So erzaͤhlt Chares von Mitylene, (Plut. Alex. 55.) der
eine der groͤßten Hofchargen bei Alexander bekleidete, und von den
man nicht ſagen kann, daß er partheiiſch fuͤr Alexander ſchrieb; ſ.
Athen. X. 436 St. Croix p. 39. Nach anderen Berichten (Curtius,
Arrian) verhielt ſich die Sache folgendermaaßen: Alexander ſei mit
den Sophiſten und den vornehmſten Medern und Perſern uͤberein-
gekommen, die Sache waͤhrend eines Trinkgelages zur Sprache zu
bringen, Anaxarchus habe da das Wort ergriffen und geaͤußert,
Alexander verdiene mehr als Bacchus und Herakles goͤttliche Ehre
bei den Macedoniern; nach ſeinem Tode werde ſie ihm niemand wei-
gern, deſto mehr muͤſſe man ihn bei Lebzeiten anbeten. Dann haͤtten
einige angebetet, und da die Macedonier, obſchon unzufrieden, ge-
ſchwiegen, ſei Kalliſthenes aufgeſtanden und habe in einer ſehr frei-
muͤthigen Rede dem Vorſchlage des Anaxarchus widerſprochen, na-
mentlich Alexanders goͤttliche Verehrung als etwas Verkehrtes dar-
geſtellt, angefuͤhrt, daß erſt Cyrus unter den Perſern dieſe gottloſe
Sitte eingefuͤhrt habe, daß er dafuͤr von den Seythen beſiegt worden
ſo wie Xerxes von den Griechen, Artaxerxes von den Zehntauſend und
der letzte Darius von Alexander, dem nicht Angebeteten. Dieß habe
den Koͤnig bitter gekraͤnkt, die Macedonier aber alle erfreut, wei-
halb
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[352/0366] getrunken, und dann mit Hephaͤſtion ſprach, der an ſeiner Sein ſaß, ſtand der Philoſoph auf, leerte den Becher und ging zum Koͤ- nige, um ihn zu kuͤſſen; der Koͤnig wollte es nicht ſehn, daß der Mann nicht anbetete; aber einer der Getreuen ſagte: „Kuͤſſe ihn nicht, Koͤnig, er iſt der einzige, der nicht angebetet“. Alexander weigerte den Kuß, und Kalliſthenes ſprach, indem er ſich hinweg- wandte: „So gehe ich um einen Kuß aͤrmer fort“. Unverkennbat hatte der hochmuͤthige Mann dieſen Skandal geſucht; Hephaͤſtion verſicherte den Koͤnig, daß er die Huldigung verſprochen habe; Ly- ſimachus und Andere fuͤgten hinzu, es ſei nicht auszuhalten mit dem Duͤnkel des Sophiſten, er wandle ſo ſtolz einher, als ob er das Koͤ- nigthum ſtuͤrzen wolle, er ſei gefaͤhrlich, da ſich viele Macedoniſche Juͤnglinge an ihn hingen, ſeine Worte wie Orakel, ihn ſelbſt wie den einzigen Freien unter den Tauſenden des Heeres betrachteten. Und nur zu bald ſollten dieſe Beſorgniſſe eine traurige Beſtaͤtigung fin- den 85). Nach 85) So erzaͤhlt Chares von Mitylene, (Plut. Alex. 55.) der eine der groͤßten Hofchargen bei Alexander bekleidete, und von den man nicht ſagen kann, daß er partheiiſch fuͤr Alexander ſchrieb; ſ. Athen. X. 436 St. Croix p. 39. Nach anderen Berichten (Curtius, Arrian) verhielt ſich die Sache folgendermaaßen: Alexander ſei mit den Sophiſten und den vornehmſten Medern und Perſern uͤberein- gekommen, die Sache waͤhrend eines Trinkgelages zur Sprache zu bringen, Anaxarchus habe da das Wort ergriffen und geaͤußert, Alexander verdiene mehr als Bacchus und Herakles goͤttliche Ehre bei den Macedoniern; nach ſeinem Tode werde ſie ihm niemand wei- gern, deſto mehr muͤſſe man ihn bei Lebzeiten anbeten. Dann haͤtten einige angebetet, und da die Macedonier, obſchon unzufrieden, ge- ſchwiegen, ſei Kalliſthenes aufgeſtanden und habe in einer ſehr frei- muͤthigen Rede dem Vorſchlage des Anaxarchus widerſprochen, na- mentlich Alexanders goͤttliche Verehrung als etwas Verkehrtes dar- geſtellt, angefuͤhrt, daß erſt Cyrus unter den Perſern dieſe gottloſe Sitte eingefuͤhrt habe, daß er dafuͤr von den Seythen beſiegt worden ſo wie Xerxes von den Griechen, Artaxerxes von den Zehntauſend und der letzte Darius von Alexander, dem nicht Angebeteten. Dieß habe den Koͤnig bitter gekraͤnkt, die Macedonier aber alle erfreut, wei- halb

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/366>, abgerufen am 29.11.2024.