Bald kehrte der König zu den Geschäften des Reiches zu- rück; in ernster Trauer trug er den Gram um den todten Freund, mit dem ihm die Freude des Lebens gestorben war; die Zukunft hatte für ihn keinen Reiz, keine Hoffnung mehr; es schweifte sein Geist ruhlos von Plan zu Plan, es war ihm Trost, sich in end- losen Entwürfen zu verlieren, und aller Gedanke wich doch wieder und wieder dem einen des Grames, der ihm der liebste war. Sein Muth war gebrochen, er vertraute nicht mehr auf die Gunst der Götter, er glaubte nicht mehr an sich selbst und seine Hoff- nungen, und die Ahndung des eigenen Todes gewann in seiner Seele Raum.
Es war gegen Ende des Jahres 324 und in den Bergen lag bereits tiefer Schnee, als Alexander mit seinem Heere aus Ekba- tana aufbrach, um durch die Berge der Cossäer gen Babylon zu ziehen; er wählte diese schwierige Jahreszeit, weil es in derselben am leichtesten war, die räuberischen Stämme der Kossäer im Ge- birge zu Paaren zu treiben, da sie sich jetzt nicht aus ihren Thä- lern auf die schneebedeckten Berghöhen flüchten konnten. Des- halb ging er mit dem leichteren Theil seiner Truppen, indem die übrigen auf der großen Straße vorauszogen, südwärts vom Wege ab, um die tapferen Bergstämme vereinzelt in ihren ärmli- chen Zeltdörfern zu überfallen. So wurden, die eine Hälfte der Truppen unter des Königs, die andere unter des Lagiden Pto- lemäus Befehl, die Berge mit vielfacher Mühe durchstreift, die Horden, die sich stets auf das Kühnste zur Wehr setzten, einzeln überwältigt, ihre Raubthürme gebrochen, viele Tausende erschlagen und zu Gefangenen gemacht, die anderen zur Unterwerfung ge- zwungen, und ihnen vor Allem feste Ansiedelung und das Bebauen des Feldes zur Pflicht gemacht. Nach Verlauf von vierzig Tagen war das letzte unabhängige Bergvolk in dem Gebirgslande der Passagen, wie früher die Uxier, Kadusier, Mardier und Amar- der dem Reiche einverleibt und wenigstens der erste Anfang zur Civilisation desselben gemacht 16).
16)Arrian VII. 15. Diodor. XVII. 112. XIX. 20; Plntarch. Strabo XVI. P. 345; Polyaen IV. 3.31. Ihre Wohnsitze sind im Nor-
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Bald kehrte der Koͤnig zu den Geſchaͤften des Reiches zu- ruͤck; in ernſter Trauer trug er den Gram um den todten Freund, mit dem ihm die Freude des Lebens geſtorben war; die Zukunft hatte fuͤr ihn keinen Reiz, keine Hoffnung mehr; es ſchweifte ſein Geiſt ruhlos von Plan zu Plan, es war ihm Troſt, ſich in end- loſen Entwuͤrfen zu verlieren, und aller Gedanke wich doch wieder und wieder dem einen des Grames, der ihm der liebſte war. Sein Muth war gebrochen, er vertraute nicht mehr auf die Gunſt der Goͤtter, er glaubte nicht mehr an ſich ſelbſt und ſeine Hoff- nungen, und die Ahndung des eigenen Todes gewann in ſeiner Seele Raum.
Es war gegen Ende des Jahres 324 und in den Bergen lag bereits tiefer Schnee, als Alexander mit ſeinem Heere aus Ekba- tana aufbrach, um durch die Berge der Coſſaͤer gen Babylon zu ziehen; er waͤhlte dieſe ſchwierige Jahreszeit, weil es in derſelben am leichteſten war, die raͤuberiſchen Staͤmme der Koſſaͤer im Ge- birge zu Paaren zu treiben, da ſie ſich jetzt nicht aus ihren Thaͤ- lern auf die ſchneebedeckten Berghoͤhen fluͤchten konnten. Des- halb ging er mit dem leichteren Theil ſeiner Truppen, indem die uͤbrigen auf der großen Straße vorauszogen, ſuͤdwaͤrts vom Wege ab, um die tapferen Bergſtaͤmme vereinzelt in ihren aͤrmli- chen Zeltdoͤrfern zu uͤberfallen. So wurden, die eine Haͤlfte der Truppen unter des Koͤnigs, die andere unter des Lagiden Pto- lemaͤus Befehl, die Berge mit vielfacher Muͤhe durchſtreift, die Horden, die ſich ſtets auf das Kuͤhnſte zur Wehr ſetzten, einzeln uͤberwaͤltigt, ihre Raubthuͤrme gebrochen, viele Tauſende erſchlagen und zu Gefangenen gemacht, die anderen zur Unterwerfung ge- zwungen, und ihnen vor Allem feſte Anſiedelung und das Bebauen des Feldes zur Pflicht gemacht. Nach Verlauf von vierzig Tagen war das letzte unabhaͤngige Bergvolk in dem Gebirgslande der Paſſagen, wie fruͤher die Uxier, Kaduſier, Mardier und Amar- der dem Reiche einverleibt und wenigſtens der erſte Anfang zur Civiliſation deſſelben gemacht 16).
16)Arrian VII. 15. Diodor. XVII. 112. XIX. 20; Plntarch. Strabo XVI. P. 345; Polyaen IV. 3.31. Ihre Wohnſitze ſind im Nor-
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loſen Entwuͤrfen zu verlieren, und aller Gedanke wich doch wieder
und wieder dem einen des Grames, der ihm der liebſte war.
Sein Muth war gebrochen, er vertraute nicht mehr auf die Gunſt
der Goͤtter, er glaubte nicht mehr an ſich ſelbſt und ſeine Hoff-
nungen, und die Ahndung des eigenen Todes gewann in ſeiner
Seele Raum.
Es war gegen Ende des Jahres 324 und in den Bergen lag
bereits tiefer Schnee, als Alexander mit ſeinem Heere aus Ekba-
tana aufbrach, um durch die Berge der Coſſaͤer gen Babylon zu
ziehen; er waͤhlte dieſe ſchwierige Jahreszeit, weil es in derſelben
am leichteſten war, die raͤuberiſchen Staͤmme der Koſſaͤer im Ge-
birge zu Paaren zu treiben, da ſie ſich jetzt nicht aus ihren Thaͤ-
lern auf die ſchneebedeckten Berghoͤhen fluͤchten konnten. Des-
halb ging er mit dem leichteren Theil ſeiner Truppen, indem die
uͤbrigen auf der großen Straße vorauszogen, ſuͤdwaͤrts vom
Wege ab, um die tapferen Bergſtaͤmme vereinzelt in ihren aͤrmli-
chen Zeltdoͤrfern zu uͤberfallen. So wurden, die eine Haͤlfte der
Truppen unter des Koͤnigs, die andere unter des Lagiden Pto-
lemaͤus Befehl, die Berge mit vielfacher Muͤhe durchſtreift, die
Horden, die ſich ſtets auf das Kuͤhnſte zur Wehr ſetzten, einzeln
uͤberwaͤltigt, ihre Raubthuͤrme gebrochen, viele Tauſende erſchlagen
und zu Gefangenen gemacht, die anderen zur Unterwerfung ge-
zwungen, und ihnen vor Allem feſte Anſiedelung und das Bebauen
des Feldes zur Pflicht gemacht. Nach Verlauf von vierzig
Tagen war das letzte unabhaͤngige Bergvolk in dem Gebirgslande
der Paſſagen, wie fruͤher die Uxier, Kaduſier, Mardier und Amar-
der dem Reiche einverleibt und wenigſtens der erſte Anfang zur
Civiliſation deſſelben gemacht 16).
16) Arrian VII. 15. Diodor. XVII. 112. XIX. 20; Plntarch.
Strabo XVI. P. 345; Polyaen IV. 3.31. Ihre Wohnſitze ſind im Nor-
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/575>, abgerufen am 22.11.2024.
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