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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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Jenes allgemeine, das Ich der Menschheit, ist das Subject der
Geschichte. Die Geschichte ist das gnpthi sauton der Menschheit,
ihr Gewissen.

§. 80.

Der Lebenspuls der geschichtlichen Bewegung ist die Freiheit.

Das Wort Freiheit ist zu andern Zeiten anders verstanden und
missbraucht worden; es hat zunächst nur eine negative Bedeutung.

Freiheit heisst, an dem Theilhaben und Mitleben in jeder der sitt-
lichen Sphären nicht gehindert, durch die eine nicht in der anderen ge-
stört, verkürzt, von keiner ausgeschlossen zu werden.

Jede von ihnen fordert ihn ganz. In der Collision der Pflichten,
in ihrem immer schmerzlichen Verlauf und oft erschütterndem Ausgang
erliegt die endliche Menschennatur dem positiven Postulat der Freiheit.

§. 81.

Nicht in der falschen Alternative von Freiheit und Nothwendigkeit
bewegt sich das Problem des geschichtlichen Lebens.

Das Nothwendige ist der Gegensatz von Willkür, Zufall, Zweck-
losigkeit, ist das unbezwingliche Sollen des Guten, das Sittliche.

Das Freisein ist der Gegensatz von Zwang dulden, willenstodt, ich-
los sein, ist das unbezwingliche Wollen des Guten, das Sittliche.

Die höchste Freiheit ist: dem höchsten Guten leben, dem Zweck
der Zwecke, zu dem hin die Bewegung aller Bewegungen -- und ihre
Wissenschaft ist die Geschichte -- gerichtet ist. Daher "die königliche
Vollfreiheit des sittlichen Menschen" (Fichte); daher das Wort der Weihe:
perch'io te sopra te corono e mitrio (Dante Purg. XXVII. 142.)

§. 82.

Alle Bewegung in der geschichtlichen Welt vollzieht sich, indem
aus den Zuständlichkeiten sich das ideale Gegenbild, wie sie sein
sollten (Gedanken) entwickeln, Charaktere, von ihnen erfüllt, sie
verwirklichen.

Dies Erfülltsein ist Leidenschaft (pathos), wird handelnd veranwort-
lich und schuldig, nach dem alten Spruch drasanti pathein.

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Jenes allgemeine, das Ich der Menschheit, ist das Subject der
Geschichte. Die Geschichte ist das γνϖϑι σαυτὸν der Menschheit,
ihr Gewissen.

§. 80.

Der Lebenspuls der geschichtlichen Bewegung ist die Freiheit.

Das Wort Freiheit ist zu andern Zeiten anders verstanden und
missbraucht worden; es hat zunächst nur eine negative Bedeutung.

Freiheit heisst, an dem Theilhaben und Mitleben in jeder der sitt-
lichen Sphären nicht gehindert, durch die eine nicht in der anderen ge-
stört, verkürzt, von keiner ausgeschlossen zu werden.

Jede von ihnen fordert ihn ganz. In der Collision der Pflichten,
in ihrem immer schmerzlichen Verlauf und oft erschütterndem Ausgang
erliegt die endliche Menschennatur dem positiven Postulat der Freiheit.

§. 81.

Nicht in der falschen Alternative von Freiheit und Nothwendigkeit
bewegt sich das Problem des geschichtlichen Lebens.

Das Nothwendige ist der Gegensatz von Willkür, Zufall, Zweck-
losigkeit, ist das unbezwingliche Sollen des Guten, das Sittliche.

Das Freisein ist der Gegensatz von Zwang dulden, willenstodt, ich-
los sein, ist das unbezwingliche Wollen des Guten, das Sittliche.

Die höchste Freiheit ist: dem höchsten Guten leben, dem Zweck
der Zwecke, zu dem hin die Bewegung aller Bewegungen — und ihre
Wissenschaft ist die Geschichte — gerichtet ist. Daher „die königliche
Vollfreiheit des sittlichen Menschen“ (Fichte); daher das Wort der Weihe:
perch’io te sopra te corono e mitrio (Dante Purg. XXVII. 142.)

§. 82.

Alle Bewegung in der geschichtlichen Welt vollzieht sich, indem
aus den Zuständlichkeiten sich das ideale Gegenbild, wie sie sein
sollten (Gedanken) entwickeln, Charaktere, von ihnen erfüllt, sie
verwirklichen.

Dies Erfülltsein ist Leidenschaft (πάϑος), wird handelnd veranwort-
lich und schuldig, nach dem alten Spruch δράσαντι παϑεὶν.

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[35/0044] Jenes allgemeine, das Ich der Menschheit, ist das Subject der Geschichte. Die Geschichte ist das γνϖϑι σαυτὸν der Menschheit, ihr Gewissen. §. 80. Der Lebenspuls der geschichtlichen Bewegung ist die Freiheit. Das Wort Freiheit ist zu andern Zeiten anders verstanden und missbraucht worden; es hat zunächst nur eine negative Bedeutung. Freiheit heisst, an dem Theilhaben und Mitleben in jeder der sitt- lichen Sphären nicht gehindert, durch die eine nicht in der anderen ge- stört, verkürzt, von keiner ausgeschlossen zu werden. Jede von ihnen fordert ihn ganz. In der Collision der Pflichten, in ihrem immer schmerzlichen Verlauf und oft erschütterndem Ausgang erliegt die endliche Menschennatur dem positiven Postulat der Freiheit. §. 81. Nicht in der falschen Alternative von Freiheit und Nothwendigkeit bewegt sich das Problem des geschichtlichen Lebens. Das Nothwendige ist der Gegensatz von Willkür, Zufall, Zweck- losigkeit, ist das unbezwingliche Sollen des Guten, das Sittliche. Das Freisein ist der Gegensatz von Zwang dulden, willenstodt, ich- los sein, ist das unbezwingliche Wollen des Guten, das Sittliche. Die höchste Freiheit ist: dem höchsten Guten leben, dem Zweck der Zwecke, zu dem hin die Bewegung aller Bewegungen — und ihre Wissenschaft ist die Geschichte — gerichtet ist. Daher „die königliche Vollfreiheit des sittlichen Menschen“ (Fichte); daher das Wort der Weihe: perch’io te sopra te corono e mitrio (Dante Purg. XXVII. 142.) §. 82. Alle Bewegung in der geschichtlichen Welt vollzieht sich, indem aus den Zuständlichkeiten sich das ideale Gegenbild, wie sie sein sollten (Gedanken) entwickeln, Charaktere, von ihnen erfüllt, sie verwirklichen. Dies Erfülltsein ist Leidenschaft (πάϑος), wird handelnd veranwort- lich und schuldig, nach dem alten Spruch δράσαντι παϑεὶν. 3*

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/44>, abgerufen am 21.11.2024.