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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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Lianen und Epiphyten.
grösster Eile streben sie zum Licht. Im kleinen Maßstabe beob-
achtete ich im Dresdner botanischen Garten seit mehreren Jahren
das Wachstum einer Malpighiaceen-Liane: einzelne Triebe sind
zum Längswachstum bestimmt und schiessen mit einer nur bei
Tropengewächsen vorkommenden Energie aus den sie bildenden
Achselknospen hervor; sie nehmen sich gar keine Zeit zur Ausbil-
dung von Blättern, selbst da nicht, wo das Licht es begünstigen
würde; sondern mit rudimentären, den schwanken Trieb knotig-
gliedernden Blattandeutungen klimmen sie, an einen Stamm schwach
angelehnt und in dessen Blätter hineinfahrend, in die Höhe und
erreichen leicht in wenigen Wochen 5--6 m Länge (im Gewächs-
haus ausgepflanzt); ein nebenstehender alter Pandanus wurde
durchwachsen und das eine oder andere Blatt mit ein paar kurzen
Windungen umwickelt; nun hörte das rapide Längswachstum auf,
die Spitze dorrte ab; sogleich aber trieben nun in den Achseln
der nur angedeuteten Blätter kräftige Seitenzweige mit schöner,
glänzend immergrüner Belaubung, und auf kurzen Trieben öffneten
einige Monate nach dem Beginn des Austreibens schon Blüten-
stände hoch oben hängend die rasch gezeitigten Blumen. Später
erstarkt das Holz des Triebes und neue Seitenzweige wachsen nun
langsamer weiter, bis der ganze Trieb durch einen zweiten abge-
löst wird. In freier Natur würden wahrscheinlich mehrere neben-
und auseinander sich fortentwickeln.

Die Pflanzenordnungen, denen diese Lianen angehören, sind
systematisch recht verschieden und bilden zumeist grosse Formen-
kreise, denen auch meist andere, aufrecht wachsende, breitästige
Bäume der gewöhnlichen Wipfelform angehören. Am berühmtesten
ist die Ordnung der Sapindaceen durch ihre Lianen, denen im
tropischen Amerika besonders die grossen Gattungen Serjania und
Paullinia angehören. Andere dikotyle Ordnungen sind die Bi-
gnoniaceen, die Ampelideen (Ampelocissus, Cissus) und Piperaceen.
Unter den Monokotylen bilden besonders die Palmen hochwüchsige
Lianen aus, hier die Gattung Calamus, Plectocomia und verwandte
in Asien und Malesien, die Gattung Desmoncus in Südamerika;
dünnere aber mit sehr zähem Stengel lang-kletternde Lianen ge-
hören dann zu den Smilaceen (Smilax, 200 hauptsächlich intra-
tropische Arten).

Ein zweiter allgemeiner Charakterzug der tropischen
Regenwälder, ja auch der trockeneren Tropenwälder, liegt
in ihrer epiphytischen Vegetation. Als solche be-
zeichnet man diejenige Pflanzenform, deren Individuen
ohne parasitische Eigenschaften die Baumrinde, breite
Aeste und zumal die Astwinkel als Standorte für sich
aussuchen, um nahe am Lichte in einer absonderlichen
Ernährungsweise, wo zumal die Wasserversorgung und
die Wasserspeicherung für die trockeneren Jahreszeiten

Lianen und Epiphyten.
grösster Eile streben sie zum Licht. Im kleinen Maßstabe beob-
achtete ich im Dresdner botanischen Garten seit mehreren Jahren
das Wachstum einer Malpighiaceen-Liane: einzelne Triebe sind
zum Längswachstum bestimmt und schiessen mit einer nur bei
Tropengewächsen vorkommenden Energie aus den sie bildenden
Achselknospen hervor; sie nehmen sich gar keine Zeit zur Ausbil-
dung von Blättern, selbst da nicht, wo das Licht es begünstigen
würde; sondern mit rudimentären, den schwanken Trieb knotig-
gliedernden Blattandeutungen klimmen sie, an einen Stamm schwach
angelehnt und in dessen Blätter hineinfahrend, in die Höhe und
erreichen leicht in wenigen Wochen 5—6 m Länge (im Gewächs-
haus ausgepflanzt); ein nebenstehender alter Pandanus wurde
durchwachsen und das eine oder andere Blatt mit ein paar kurzen
Windungen umwickelt; nun hörte das rapide Längswachstum auf,
die Spitze dorrte ab; sogleich aber trieben nun in den Achseln
der nur angedeuteten Blätter kräftige Seitenzweige mit schöner,
glänzend immergrüner Belaubung, und auf kurzen Trieben öffneten
einige Monate nach dem Beginn des Austreibens schon Blüten-
stände hoch oben hängend die rasch gezeitigten Blumen. Später
erstarkt das Holz des Triebes und neue Seitenzweige wachsen nun
langsamer weiter, bis der ganze Trieb durch einen zweiten abge-
löst wird. In freier Natur würden wahrscheinlich mehrere neben-
und auseinander sich fortentwickeln.

Die Pflanzenordnungen, denen diese Lianen angehören, sind
systematisch recht verschieden und bilden zumeist grosse Formen-
kreise, denen auch meist andere, aufrecht wachsende, breitästige
Bäume der gewöhnlichen Wipfelform angehören. Am berühmtesten
ist die Ordnung der Sapindaceen durch ihre Lianen, denen im
tropischen Amerika besonders die grossen Gattungen Serjania und
Paullinia angehören. Andere dikotyle Ordnungen sind die Bi-
gnoniaceen, die Ampelideen (Ampelocissus, Cissus) und Piperaceen.
Unter den Monokotylen bilden besonders die Palmen hochwüchsige
Lianen aus, hier die Gattung Calamus, Plectocomia und verwandte
in Asien und Malesien, die Gattung Desmoncus in Südamerika;
dünnere aber mit sehr zähem Stengel lang-kletternde Lianen ge-
hören dann zu den Smilaceen (Smilax, 200 hauptsächlich intra-
tropische Arten).

Ein zweiter allgemeiner Charakterzug der tropischen
Regenwälder, ja auch der trockeneren Tropenwälder, liegt
in ihrer epiphytischen Vegetation. Als solche be-
zeichnet man diejenige Pflanzenform, deren Individuen
ohne parasitische Eigenschaften die Baumrinde, breite
Aeste und zumal die Astwinkel als Standorte für sich
aussuchen, um nahe am Lichte in einer absonderlichen
Ernährungsweise, wo zumal die Wasserversorgung und
die Wasserspeicherung für die trockeneren Jahreszeiten

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[233/0263] Lianen und Epiphyten. grösster Eile streben sie zum Licht. Im kleinen Maßstabe beob- achtete ich im Dresdner botanischen Garten seit mehreren Jahren das Wachstum einer Malpighiaceen-Liane: einzelne Triebe sind zum Längswachstum bestimmt und schiessen mit einer nur bei Tropengewächsen vorkommenden Energie aus den sie bildenden Achselknospen hervor; sie nehmen sich gar keine Zeit zur Ausbil- dung von Blättern, selbst da nicht, wo das Licht es begünstigen würde; sondern mit rudimentären, den schwanken Trieb knotig- gliedernden Blattandeutungen klimmen sie, an einen Stamm schwach angelehnt und in dessen Blätter hineinfahrend, in die Höhe und erreichen leicht in wenigen Wochen 5—6 m Länge (im Gewächs- haus ausgepflanzt); ein nebenstehender alter Pandanus wurde durchwachsen und das eine oder andere Blatt mit ein paar kurzen Windungen umwickelt; nun hörte das rapide Längswachstum auf, die Spitze dorrte ab; sogleich aber trieben nun in den Achseln der nur angedeuteten Blätter kräftige Seitenzweige mit schöner, glänzend immergrüner Belaubung, und auf kurzen Trieben öffneten einige Monate nach dem Beginn des Austreibens schon Blüten- stände hoch oben hängend die rasch gezeitigten Blumen. Später erstarkt das Holz des Triebes und neue Seitenzweige wachsen nun langsamer weiter, bis der ganze Trieb durch einen zweiten abge- löst wird. In freier Natur würden wahrscheinlich mehrere neben- und auseinander sich fortentwickeln. Die Pflanzenordnungen, denen diese Lianen angehören, sind systematisch recht verschieden und bilden zumeist grosse Formen- kreise, denen auch meist andere, aufrecht wachsende, breitästige Bäume der gewöhnlichen Wipfelform angehören. Am berühmtesten ist die Ordnung der Sapindaceen durch ihre Lianen, denen im tropischen Amerika besonders die grossen Gattungen Serjania und Paullinia angehören. Andere dikotyle Ordnungen sind die Bi- gnoniaceen, die Ampelideen (Ampelocissus, Cissus) und Piperaceen. Unter den Monokotylen bilden besonders die Palmen hochwüchsige Lianen aus, hier die Gattung Calamus, Plectocomia und verwandte in Asien und Malesien, die Gattung Desmoncus in Südamerika; dünnere aber mit sehr zähem Stengel lang-kletternde Lianen ge- hören dann zu den Smilaceen (Smilax, 200 hauptsächlich intra- tropische Arten). Ein zweiter allgemeiner Charakterzug der tropischen Regenwälder, ja auch der trockeneren Tropenwälder, liegt in ihrer epiphytischen Vegetation. Als solche be- zeichnet man diejenige Pflanzenform, deren Individuen ohne parasitische Eigenschaften die Baumrinde, breite Aeste und zumal die Astwinkel als Standorte für sich aussuchen, um nahe am Lichte in einer absonderlichen Ernährungsweise, wo zumal die Wasserversorgung und die Wasserspeicherung für die trockeneren Jahreszeiten

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/263>, abgerufen am 25.11.2024.