die Tagessummen gezogen würden; soweit sind wir aber noch nicht gediehen.
Die Mittel der Schattentemperaturen lehren sehr überzeugend, dass zunächst einmal die jedem Baum an den südlichen und nördlichen Grenzen seines Areals zur Verfügung stehenden Temperatursummen sehr ungleich sind; man sieht sie in den hier gegebenen Figuren in Flächenunterschieden vor sich. Aber sie lassen auch Grisebachs Phytoisothermen-Gesetz richtiger beurteilen, wie er es in V. d. E. I, 78 eingeschränkt mitgeteilt hat. Ursprünglich von der Voraussetzung ausgehend, dass die Vegetationszeit des borealen Waldgebiets überall eine nahezu gleiche Mitteltemperatur ("Phytoisotherme") be- sitze, z. B. die von den drei Sommermonaten zu Jakutsk (13,2° R.) fast gleich mit den acht Monaten der Vege- tationsperiode zu Bordeaux (13,9° R.), fand Grisebach später, dass an den nördlichen Arealgrenzen diese hohen Temperaturen nicht erreicht werden, z. B. in Alten (Lappland) nur 9,5° R. im Mittel erreichen. Ein Blick auf die skandinavischen Kurven zeigt aber, dass die Mitteltemperatur der Vegetationsperiode mit zunehmender Breite ganz allmählich abnehmen muss, da der ungefähr gleiche Temperaturanfang der Vegetation in südlicheren Breiten den Gesetzen der allgemeinen Wärmeverteilung zufolge alsbald zu höheren Temperaturen aufgetrieben wird, und die Vegetationsperiode dann auch bei höheren Temperaturen ihr Ende erreicht. Die Berechnung aus Insolationstemperaturen würde die Differenz wahrschein- lich nur noch verstärken.
Aus dieser Betrachtung lässt sich endlich noch eine einfache Schlussfolgerung für die klimatische Grenze der nördlichsten Bäume ableiten: dort wird ihr Areal zu Ende sein müssen, wo die Anfangsentwickelungsphase (Belaubung bei 9°C.) so nahe am oberen Kulminations- punkt der jährlichen Temperaturkurve liegt, dass die fort- schreitende Baumentwickelung alsbald mit der wieder ab- steigenden Temperaturkurve herabgedrückt werden muss; in Lappland folgen auf die Anfangsphase noch etwa 40 Tage aufsteigender oder in der Höhe bleibender Tem-
Grisebachs Phytoisothermen.
die Tagessummen gezogen würden; soweit sind wir aber noch nicht gediehen.
Die Mittel der Schattentemperaturen lehren sehr überzeugend, dass zunächst einmal die jedem Baum an den südlichen und nördlichen Grenzen seines Areals zur Verfügung stehenden Temperatursummen sehr ungleich sind; man sieht sie in den hier gegebenen Figuren in Flächenunterschieden vor sich. Aber sie lassen auch Grisebachs Phytoisothermen-Gesetz richtiger beurteilen, wie er es in V. d. E. I, 78 eingeschränkt mitgeteilt hat. Ursprünglich von der Voraussetzung ausgehend, dass die Vegetationszeit des borealen Waldgebiets überall eine nahezu gleiche Mitteltemperatur („Phytoisotherme“) be- sitze, z. B. die von den drei Sommermonaten zu Jakutsk (13,2° R.) fast gleich mit den acht Monaten der Vege- tationsperiode zu Bordeaux (13,9° R.), fand Grisebach später, dass an den nördlichen Arealgrenzen diese hohen Temperaturen nicht erreicht werden, z. B. in Alten (Lappland) nur 9,5° R. im Mittel erreichen. Ein Blick auf die skandinavischen Kurven zeigt aber, dass die Mitteltemperatur der Vegetationsperiode mit zunehmender Breite ganz allmählich abnehmen muss, da der ungefähr gleiche Temperaturanfang der Vegetation in südlicheren Breiten den Gesetzen der allgemeinen Wärmeverteilung zufolge alsbald zu höheren Temperaturen aufgetrieben wird, und die Vegetationsperiode dann auch bei höheren Temperaturen ihr Ende erreicht. Die Berechnung aus Insolationstemperaturen würde die Differenz wahrschein- lich nur noch verstärken.
Aus dieser Betrachtung lässt sich endlich noch eine einfache Schlussfolgerung für die klimatische Grenze der nördlichsten Bäume ableiten: dort wird ihr Areal zu Ende sein müssen, wo die Anfangsentwickelungsphase (Belaubung bei 9°C.) so nahe am oberen Kulminations- punkt der jährlichen Temperaturkurve liegt, dass die fort- schreitende Baumentwickelung alsbald mit der wieder ab- steigenden Temperaturkurve herabgedrückt werden muss; in Lappland folgen auf die Anfangsphase noch etwa 40 Tage aufsteigender oder in der Höhe bleibender Tem-
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Grisebachs Phytoisothermen.
die Tagessummen gezogen würden; soweit sind wir aber
noch nicht gediehen.
Die Mittel der Schattentemperaturen lehren sehr
überzeugend, dass zunächst einmal die jedem Baum an
den südlichen und nördlichen Grenzen seines Areals zur
Verfügung stehenden Temperatursummen sehr ungleich
sind; man sieht sie in den hier gegebenen Figuren in
Flächenunterschieden vor sich. Aber sie lassen auch
Grisebachs Phytoisothermen-Gesetz richtiger beurteilen,
wie er es in V. d. E. I, 78 eingeschränkt mitgeteilt hat.
Ursprünglich von der Voraussetzung ausgehend, dass die
Vegetationszeit des borealen Waldgebiets überall eine
nahezu gleiche Mitteltemperatur („Phytoisotherme“) be-
sitze, z. B. die von den drei Sommermonaten zu Jakutsk
(13,2° R.) fast gleich mit den acht Monaten der Vege-
tationsperiode zu Bordeaux (13,9° R.), fand Grisebach
später, dass an den nördlichen Arealgrenzen diese hohen
Temperaturen nicht erreicht werden, z. B. in Alten
(Lappland) nur 9,5° R. im Mittel erreichen. Ein Blick
auf die skandinavischen Kurven zeigt aber, dass die
Mitteltemperatur der Vegetationsperiode mit zunehmender
Breite ganz allmählich abnehmen muss, da der ungefähr
gleiche Temperaturanfang der Vegetation in südlicheren
Breiten den Gesetzen der allgemeinen Wärmeverteilung
zufolge alsbald zu höheren Temperaturen aufgetrieben
wird, und die Vegetationsperiode dann auch bei höheren
Temperaturen ihr Ende erreicht. Die Berechnung aus
Insolationstemperaturen würde die Differenz wahrschein-
lich nur noch verstärken.
Aus dieser Betrachtung lässt sich endlich noch eine
einfache Schlussfolgerung für die klimatische Grenze der
nördlichsten Bäume ableiten: dort wird ihr Areal zu
Ende sein müssen, wo die Anfangsentwickelungsphase
(Belaubung bei 9°C.) so nahe am oberen Kulminations-
punkt der jährlichen Temperaturkurve liegt, dass die fort-
schreitende Baumentwickelung alsbald mit der wieder ab-
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in Lappland folgen auf die Anfangsphase noch etwa
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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/305>, abgerufen am 22.11.2024.
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