Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite

des faibles pour les forts" basirt wird. Die bevorzugte
Stellung, die der Patrizier genießt, ist jedoch mit weit
schwereren Verpflichtungen verbunden, als die des Prole-
tariers, dessen Lage aber im Vergleich mit der gegenwärtigen
als eine wesentlich verbesserte erscheint.

Die ersten politischen Spitzen jedes Landes sind bei
Comte die drei reichsten Bankiers, in deren Händen
die höchste weltliche Macht liegt und die ihre Nachfolger selbst
zu wählen haben.

Also drei mächtige und völlig unkontrollirte Bankiers an
der Spitze jedes Landes und über Allen ein Oberpriester, der sich
anmaßt, alle Jntelligenzen zu beherrschen -- welch' ein raf-
finirtes System der Tyrannei! Mit Recht verurtheilt A. F.
Lange die hierarchischen Neigungen Comte's, indem er sagt*):
"Sind nicht die psychologischen Gesetze, welche jede Hierar-
chie, jedes über den Stand des Volkes emporgehobene
Priesterthum herrschsüchtig machen und die Eifersucht auf
Autorität in ihm wecken, unabänderlich in der menschlichen
Natur gegründet und unabhängig vom Jnhalte des Glau-
bens? Jn der That finden wir diese unausbleibliche Wir-
kung nicht nur bei den großen typischen Formen der tibe-
tanischen, der christlich-mittelalterlichen, der alt-ägyptischen
Hierarchie, sondern wie die neueren ethnographischen Forschungen
zeigen, auch bei den kleinsten Religionsgruppen der entlegensten
Völker, bei den verkommensten Negerstämmen und auf den
kleinsten Jnseln des Weltmeeres."

Comte's Religionssystem leidet jedoch noch an viel
tieferen Schäden als Hierarchie, politisches Gewaltsystem und
Eingriffe in das individuelle Seelenleben durch Normen wie
z. B. die Bestimmungen über das Gebet.

Unbefriedigend vor Allem ist, worauf wir schon oben hin-

*) Geschichte des Materialismus (2. Auflage) II. p. 507.

des faibles pour les forts“ baſirt wird. Die bevorzugte
Stellung, die der Patrizier genießt, iſt jedoch mit weit
ſchwereren Verpflichtungen verbunden, als die des Prole-
tariers, deſſen Lage aber im Vergleich mit der gegenwärtigen
als eine weſentlich verbeſſerte erſcheint.

Die erſten politiſchen Spitzen jedes Landes ſind bei
Comte die drei reichſten Bankiers, in deren Händen
die höchſte weltliche Macht liegt und die ihre Nachfolger ſelbſt
zu wählen haben.

Alſo drei mächtige und völlig unkontrollirte Bankiers an
der Spitze jedes Landes und über Allen ein Oberprieſter, der ſich
anmaßt, alle Jntelligenzen zu beherrſchen — welch’ ein raf-
finirtes Syſtem der Tyrannei! Mit Recht verurtheilt A. F.
Lange die hierarchiſchen Neigungen Comte’s, indem er ſagt*):
„Sind nicht die pſychologiſchen Geſetze, welche jede Hierar-
chie, jedes über den Stand des Volkes emporgehobene
Prieſterthum herrſchſüchtig machen und die Eiferſucht auf
Autorität in ihm wecken, unabänderlich in der menſchlichen
Natur gegründet und unabhängig vom Jnhalte des Glau-
bens? Jn der That finden wir dieſe unausbleibliche Wir-
kung nicht nur bei den großen typiſchen Formen der tibe-
taniſchen, der chriſtlich-mittelalterlichen, der alt-ägyptiſchen
Hierarchie, ſondern wie die neueren ethnographiſchen Forſchungen
zeigen, auch bei den kleinſten Religionsgruppen der entlegenſten
Völker, bei den verkommenſten Negerſtämmen und auf den
kleinſten Jnſeln des Weltmeeres.“

Comte’s Religionsſyſtem leidet jedoch noch an viel
tieferen Schäden als Hierarchie, politiſches Gewaltſyſtem und
Eingriffe in das individuelle Seelenleben durch Normen wie
z. B. die Beſtimmungen über das Gebet.

Unbefriedigend vor Allem iſt, worauf wir ſchon oben hin-

*) Geſchichte des Materialismus (2. Auflage) II. p. 507.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#aq"><pb facs="#f0031" n="22"/>
des faibles pour les forts</hi>&#x201C; ba&#x017F;irt wird. Die bevorzugte<lb/>
Stellung, die der Patrizier genießt, i&#x017F;t jedoch mit weit<lb/>
&#x017F;chwereren Verpflichtungen verbunden, als die des Prole-<lb/>
tariers, de&#x017F;&#x017F;en Lage aber im Vergleich mit der gegenwärtigen<lb/>
als eine we&#x017F;entlich verbe&#x017F;&#x017F;erte er&#x017F;cheint.</p><lb/>
        <p>Die er&#x017F;ten politi&#x017F;chen Spitzen jedes Landes &#x017F;ind bei<lb/>
Comte die drei reich&#x017F;ten Bankiers, in deren Händen<lb/>
die höch&#x017F;te weltliche Macht liegt und die ihre Nachfolger &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu wählen haben.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o drei mächtige und völlig unkontrollirte Bankiers an<lb/>
der Spitze jedes Landes und über Allen ein Oberprie&#x017F;ter, der &#x017F;ich<lb/>
anmaßt, alle Jntelligenzen zu beherr&#x017F;chen &#x2014; welch&#x2019; ein raf-<lb/>
finirtes Sy&#x017F;tem der Tyrannei! Mit Recht verurtheilt A. F.<lb/>
Lange die hierarchi&#x017F;chen Neigungen Comte&#x2019;s, indem er &#x017F;agt<note place="foot" n="*)">Ge&#x017F;chichte des Materialismus (2. Auflage) <hi rendition="#aq">II. p.</hi> 507.</note>:<lb/>
&#x201E;Sind nicht die p&#x017F;ychologi&#x017F;chen Ge&#x017F;etze, welche <hi rendition="#g">jede</hi> Hierar-<lb/>
chie, jedes über den Stand des Volkes emporgehobene<lb/>
Prie&#x017F;terthum herr&#x017F;ch&#x017F;üchtig machen und die Eifer&#x017F;ucht auf<lb/>
Autorität in ihm wecken, unabänderlich in der men&#x017F;chlichen<lb/>
Natur gegründet und unabhängig vom Jnhalte des Glau-<lb/>
bens? Jn der That finden wir die&#x017F;e unausbleibliche Wir-<lb/>
kung nicht nur bei den großen typi&#x017F;chen Formen der tibe-<lb/>
tani&#x017F;chen, der chri&#x017F;tlich-mittelalterlichen, der alt-ägypti&#x017F;chen<lb/>
Hierarchie, &#x017F;ondern wie die neueren ethnographi&#x017F;chen For&#x017F;chungen<lb/>
zeigen, auch bei den klein&#x017F;ten Religionsgruppen der entlegen&#x017F;ten<lb/>
Völker, bei den verkommen&#x017F;ten Neger&#x017F;tämmen und auf den<lb/>
klein&#x017F;ten Jn&#x017F;eln des Weltmeeres.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Comte&#x2019;s Religions&#x017F;y&#x017F;tem leidet jedoch noch an viel<lb/>
tieferen Schäden als Hierarchie, politi&#x017F;ches Gewalt&#x017F;y&#x017F;tem und<lb/>
Eingriffe in das individuelle Seelenleben durch Normen wie<lb/>
z. B. die Be&#x017F;timmungen über das Gebet.</p><lb/>
        <p>Unbefriedigend vor Allem i&#x017F;t, worauf wir &#x017F;chon oben hin-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0031] des faibles pour les forts“ baſirt wird. Die bevorzugte Stellung, die der Patrizier genießt, iſt jedoch mit weit ſchwereren Verpflichtungen verbunden, als die des Prole- tariers, deſſen Lage aber im Vergleich mit der gegenwärtigen als eine weſentlich verbeſſerte erſcheint. Die erſten politiſchen Spitzen jedes Landes ſind bei Comte die drei reichſten Bankiers, in deren Händen die höchſte weltliche Macht liegt und die ihre Nachfolger ſelbſt zu wählen haben. Alſo drei mächtige und völlig unkontrollirte Bankiers an der Spitze jedes Landes und über Allen ein Oberprieſter, der ſich anmaßt, alle Jntelligenzen zu beherrſchen — welch’ ein raf- finirtes Syſtem der Tyrannei! Mit Recht verurtheilt A. F. Lange die hierarchiſchen Neigungen Comte’s, indem er ſagt *): „Sind nicht die pſychologiſchen Geſetze, welche jede Hierar- chie, jedes über den Stand des Volkes emporgehobene Prieſterthum herrſchſüchtig machen und die Eiferſucht auf Autorität in ihm wecken, unabänderlich in der menſchlichen Natur gegründet und unabhängig vom Jnhalte des Glau- bens? Jn der That finden wir dieſe unausbleibliche Wir- kung nicht nur bei den großen typiſchen Formen der tibe- taniſchen, der chriſtlich-mittelalterlichen, der alt-ägyptiſchen Hierarchie, ſondern wie die neueren ethnographiſchen Forſchungen zeigen, auch bei den kleinſten Religionsgruppen der entlegenſten Völker, bei den verkommenſten Negerſtämmen und auf den kleinſten Jnſeln des Weltmeeres.“ Comte’s Religionsſyſtem leidet jedoch noch an viel tieferen Schäden als Hierarchie, politiſches Gewaltſyſtem und Eingriffe in das individuelle Seelenleben durch Normen wie z. B. die Beſtimmungen über das Gebet. Unbefriedigend vor Allem iſt, worauf wir ſchon oben hin- *) Geſchichte des Materialismus (2. Auflage) II. p. 507.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/31
Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/31>, abgerufen am 23.11.2024.