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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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wir nicht, daß Jemand vor Comte diese Jdee in der ganzen
majestätifchen Erhabenheit erfaßt hätte, deren sie fähig ist.
Sie steigt hinauf in das unergründliche Dunkel der Ver-
gangenheit, sie umfaßt die vielgetheilte Gegenwart, sie steigt
hinab in die unabsehbaren Fernen der Zukunft. Da sie mit
einem Gesammtdasein zu thun hat, das keinen nachweisbaren
Anfang und kein nachweisbares Ende hat, so berührt sie die
Gefühlssaite des Unendlichen in uns, die tief in der mensch-
lichen Natur wurzelt und ein unerläßliches Element der
Größe aller unserer erhabensten Vorstellungen zu bilden
scheint. Von dem ungeheuren sich stetig entrollenden Gewebe
des menschlichen Lebens ist jener Theil, den wir am besten kennen,
unwiederbringlich dahingegangen, ihm können wir nicht mehr
dienen, wohl aber ihn lieben. Für die meisten von uns um-
schließt jener Theil die weitaus größere Zahl von jenen, die
uns geliebt und uns Wohlthaten erwiesen haben, wie auch
die lange Reihe derjenigen, die durch ihre der Menschheit
gewidmeten Mühen und Opfer ein Anrecht erworben haben
auf ein unauslöschliches, dankbares Gedächtniß. Die höchsten
Geister leben, wie Comte mit Recht bemerkt, selbst heutzutage
in Gedanken weit mehr mit den großen Dahingeschiedenen
als mit den Lebenden und, den Todten zunächst, mit jenen
idealen menschlichen Wesen der Zukunft, die zu erblicken ihnen
niemals vergönnt sein wird. Wenn wir jene, die der Mensch-
heit in der Vergangenheit gedient haben, nach Gebühr hoch-
halten, so werden wir auch fühlen, daß wir diese Wohlthäter
ehren, indem wir denselben Zwecken dienen, denen ihr Leben
geweiht war. Und wenn uns unser Nachdenken an der Hand
der Geschichte gezeigt hat, wie innig jedes Zeitalter der Menschheit
mit jedem andern verknüpft ist, und wenn wir in dem Erden-
schicksal des Menschengeschlechtes den Verlauf eines großen Dra-
mas oder die Handlung einer weitgedehnten Epopöe erblicken
lernen, dann verschmelzen alle Generationen unauflösbar zu einem

wir nicht, daß Jemand vor Comte dieſe Jdee in der ganzen
majeſtätifchen Erhabenheit erfaßt hätte, deren ſie fähig iſt.
Sie ſteigt hinauf in das unergründliche Dunkel der Ver-
gangenheit, ſie umfaßt die vielgetheilte Gegenwart, ſie ſteigt
hinab in die unabſehbaren Fernen der Zukunft. Da ſie mit
einem Geſammtdaſein zu thun hat, das keinen nachweisbaren
Anfang und kein nachweisbares Ende hat, ſo berührt ſie die
Gefühlsſaite des Unendlichen in uns, die tief in der menſch-
lichen Natur wurzelt und ein unerläßliches Element der
Größe aller unſerer erhabenſten Vorſtellungen zu bilden
ſcheint. Von dem ungeheuren ſich ſtetig entrollenden Gewebe
des menſchlichen Lebens iſt jener Theil, den wir am beſten kennen,
unwiederbringlich dahingegangen, ihm können wir nicht mehr
dienen, wohl aber ihn lieben. Für die meiſten von uns um-
ſchließt jener Theil die weitaus größere Zahl von jenen, die
uns geliebt und uns Wohlthaten erwieſen haben, wie auch
die lange Reihe derjenigen, die durch ihre der Menſchheit
gewidmeten Mühen und Opfer ein Anrecht erworben haben
auf ein unauslöſchliches, dankbares Gedächtniß. Die höchſten
Geiſter leben, wie Comte mit Recht bemerkt, ſelbſt heutzutage
in Gedanken weit mehr mit den großen Dahingeſchiedenen
als mit den Lebenden und, den Todten zunächſt, mit jenen
idealen menſchlichen Weſen der Zukunft, die zu erblicken ihnen
niemals vergönnt ſein wird. Wenn wir jene, die der Menſch-
heit in der Vergangenheit gedient haben, nach Gebühr hoch-
halten, ſo werden wir auch fühlen, daß wir dieſe Wohlthäter
ehren, indem wir denſelben Zwecken dienen, denen ihr Leben
geweiht war. Und wenn uns unſer Nachdenken an der Hand
der Geſchichte gezeigt hat, wie innig jedes Zeitalter der Menſchheit
mit jedem andern verknüpft iſt, und wenn wir in dem Erden-
ſchickſal des Menſchengeſchlechtes den Verlauf eines großen Dra-
mas oder die Handlung einer weitgedehnten Epopöe erblicken
lernen, dann verſchmelzen alle Generationen unauflösbar zu einem

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[25/0034] wir nicht, daß Jemand vor Comte dieſe Jdee in der ganzen majeſtätifchen Erhabenheit erfaßt hätte, deren ſie fähig iſt. Sie ſteigt hinauf in das unergründliche Dunkel der Ver- gangenheit, ſie umfaßt die vielgetheilte Gegenwart, ſie ſteigt hinab in die unabſehbaren Fernen der Zukunft. Da ſie mit einem Geſammtdaſein zu thun hat, das keinen nachweisbaren Anfang und kein nachweisbares Ende hat, ſo berührt ſie die Gefühlsſaite des Unendlichen in uns, die tief in der menſch- lichen Natur wurzelt und ein unerläßliches Element der Größe aller unſerer erhabenſten Vorſtellungen zu bilden ſcheint. Von dem ungeheuren ſich ſtetig entrollenden Gewebe des menſchlichen Lebens iſt jener Theil, den wir am beſten kennen, unwiederbringlich dahingegangen, ihm können wir nicht mehr dienen, wohl aber ihn lieben. Für die meiſten von uns um- ſchließt jener Theil die weitaus größere Zahl von jenen, die uns geliebt und uns Wohlthaten erwieſen haben, wie auch die lange Reihe derjenigen, die durch ihre der Menſchheit gewidmeten Mühen und Opfer ein Anrecht erworben haben auf ein unauslöſchliches, dankbares Gedächtniß. Die höchſten Geiſter leben, wie Comte mit Recht bemerkt, ſelbſt heutzutage in Gedanken weit mehr mit den großen Dahingeſchiedenen als mit den Lebenden und, den Todten zunächſt, mit jenen idealen menſchlichen Weſen der Zukunft, die zu erblicken ihnen niemals vergönnt ſein wird. Wenn wir jene, die der Menſch- heit in der Vergangenheit gedient haben, nach Gebühr hoch- halten, ſo werden wir auch fühlen, daß wir dieſe Wohlthäter ehren, indem wir denſelben Zwecken dienen, denen ihr Leben geweiht war. Und wenn uns unſer Nachdenken an der Hand der Geſchichte gezeigt hat, wie innig jedes Zeitalter der Menſchheit mit jedem andern verknüpft iſt, und wenn wir in dem Erden- ſchickſal des Menſchengeſchlechtes den Verlauf eines großen Dra- mas oder die Handlung einer weitgedehnten Epopöe erblicken lernen, dann verſchmelzen alle Generationen unauflösbar zu einem

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/34>, abgerufen am 21.11.2024.