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Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.

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geführt haben und mit tausend Wurzeln der Phantasie, der
Erinnerung an geweihte schöne Stunden sich an den vertrauten
Boden anklammern." Allein wir können in dieser Anhäng-
lichkeit aufgeklärter Männer an die Religion nichts anderes
als eben ein Zeichen sehen, daß der Mensch in der That eines
festen Vertrauens bedarf, ein Verlangen, das den Aufgeklärten
den Gläubigen beneiden läßt, um so mehr, je weniger er
selbst dazu gelangt ist, sich einen vollkommeneren Religions-
ersatz zu schaffen. Würde man Männern, wie Lange sie
denkt, jedoch zumuthen, sich ernstlich mit christlichen Vor-
stellungen, dieselben symbolisch betrachtet, zu beschäftigen, so
würden sie sich dessen für unfähig erklären. Der Grund ist,
daß religiöse Vorstellungen, sobald sie nicht mehr gläubig
hingenommen werden, sehr bald alles Gewicht verlieren.

Denn, sollen wir an alten symbolischen Vorstellungen
festhalten, so müssen dieselben erstens einen tieferen Sinn
enthalten, zweitens in wahrhaft poetischer Form ausgedrückt
sein. Die Wahrheit aber ist, daß keine Religion, von
einigen ethischen Vorschriften abgesehen, haltbare Jdeen bietet
und daß die meisten ihrer Vorstellungen, geht man denselben
auf den Grund, sich als unpoetisch und roh erweisen.

Und wie wäre es denn möglich, die Religion in der
Form, wie Lange sie denkt, aufrecht zu erhalten? Entweder
läßt sich durch Vorstellung von, wenn auch noch so ehrwürdigen,
Symbolen, ein religiöses Gefühl überhaupt nicht hervor-
bringen, oder es würde dasselbe sehr bald entweder allen
Halt verlieren oder in den "Buchstabenglauben" übergehen.
Räumt doch Lange selbst ein: "ohnehin haftet der Jdeologie
gar zu leicht das Gift des Buchstabenglaubens an, das
Symbol wird unwillkürlich und allmälig zum starren Dogma,
wie das Heiligenbild zum Götzen."

Jst Lange's Auffassung der Religion, welche er mit der
Dichtung identifizirt, eine irrige, so ist seine Anschauung

geführt haben und mit tauſend Wurzeln der Phantaſie, der
Erinnerung an geweihte ſchöne Stunden ſich an den vertrauten
Boden anklammern.“ Allein wir können in dieſer Anhäng-
lichkeit aufgeklärter Männer an die Religion nichts anderes
als eben ein Zeichen ſehen, daß der Menſch in der That eines
feſten Vertrauens bedarf, ein Verlangen, das den Aufgeklärten
den Gläubigen beneiden läßt, um ſo mehr, je weniger er
ſelbſt dazu gelangt iſt, ſich einen vollkommeneren Religions-
erſatz zu ſchaffen. Würde man Männern, wie Lange ſie
denkt, jedoch zumuthen, ſich ernſtlich mit chriſtlichen Vor-
ſtellungen, dieſelben ſymboliſch betrachtet, zu beſchäftigen, ſo
würden ſie ſich deſſen für unfähig erklären. Der Grund iſt,
daß religiöſe Vorſtellungen, ſobald ſie nicht mehr gläubig
hingenommen werden, ſehr bald alles Gewicht verlieren.

Denn, ſollen wir an alten ſymboliſchen Vorſtellungen
feſthalten, ſo müſſen dieſelben erſtens einen tieferen Sinn
enthalten, zweitens in wahrhaft poetiſcher Form ausgedrückt
ſein. Die Wahrheit aber iſt, daß keine Religion, von
einigen ethiſchen Vorſchriften abgeſehen, haltbare Jdeen bietet
und daß die meiſten ihrer Vorſtellungen, geht man denſelben
auf den Grund, ſich als unpoetiſch und roh erweiſen.

Und wie wäre es denn möglich, die Religion in der
Form, wie Lange ſie denkt, aufrecht zu erhalten? Entweder
läßt ſich durch Vorſtellung von, wenn auch noch ſo ehrwürdigen,
Symbolen, ein religiöſes Gefühl überhaupt nicht hervor-
bringen, oder es würde dasſelbe ſehr bald entweder allen
Halt verlieren oder in den „Buchſtabenglauben“ übergehen.
Räumt doch Lange ſelbſt ein: „ohnehin haftet der Jdeologie
gar zu leicht das Gift des Buchſtabenglaubens an, das
Symbol wird unwillkürlich und allmälig zum ſtarren Dogma,
wie das Heiligenbild zum Götzen.“

Jſt Lange’s Auffaſſung der Religion, welche er mit der
Dichtung identifizirt, eine irrige, ſo iſt ſeine Anſchauung

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[44/0053] geführt haben und mit tauſend Wurzeln der Phantaſie, der Erinnerung an geweihte ſchöne Stunden ſich an den vertrauten Boden anklammern.“ Allein wir können in dieſer Anhäng- lichkeit aufgeklärter Männer an die Religion nichts anderes als eben ein Zeichen ſehen, daß der Menſch in der That eines feſten Vertrauens bedarf, ein Verlangen, das den Aufgeklärten den Gläubigen beneiden läßt, um ſo mehr, je weniger er ſelbſt dazu gelangt iſt, ſich einen vollkommeneren Religions- erſatz zu ſchaffen. Würde man Männern, wie Lange ſie denkt, jedoch zumuthen, ſich ernſtlich mit chriſtlichen Vor- ſtellungen, dieſelben ſymboliſch betrachtet, zu beſchäftigen, ſo würden ſie ſich deſſen für unfähig erklären. Der Grund iſt, daß religiöſe Vorſtellungen, ſobald ſie nicht mehr gläubig hingenommen werden, ſehr bald alles Gewicht verlieren. Denn, ſollen wir an alten ſymboliſchen Vorſtellungen feſthalten, ſo müſſen dieſelben erſtens einen tieferen Sinn enthalten, zweitens in wahrhaft poetiſcher Form ausgedrückt ſein. Die Wahrheit aber iſt, daß keine Religion, von einigen ethiſchen Vorſchriften abgeſehen, haltbare Jdeen bietet und daß die meiſten ihrer Vorſtellungen, geht man denſelben auf den Grund, ſich als unpoetiſch und roh erweiſen. Und wie wäre es denn möglich, die Religion in der Form, wie Lange ſie denkt, aufrecht zu erhalten? Entweder läßt ſich durch Vorſtellung von, wenn auch noch ſo ehrwürdigen, Symbolen, ein religiöſes Gefühl überhaupt nicht hervor- bringen, oder es würde dasſelbe ſehr bald entweder allen Halt verlieren oder in den „Buchſtabenglauben“ übergehen. Räumt doch Lange ſelbſt ein: „ohnehin haftet der Jdeologie gar zu leicht das Gift des Buchſtabenglaubens an, das Symbol wird unwillkürlich und allmälig zum ſtarren Dogma, wie das Heiligenbild zum Götzen.“ Jſt Lange’s Auffaſſung der Religion, welche er mit der Dichtung identifizirt, eine irrige, ſo iſt ſeine Anſchauung

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Zitationshilfe: Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/53>, abgerufen am 24.11.2024.