Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886."Die Stunde, wo ihr fagt: Was liegt an meinem Mit- "Spracht ihr schon so? schriet ihr schon so? Ach, daß "Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge leckte? "Seht, ich lehre euch den Uebermenschen, der ist dieser "Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und "Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches auf dem "Was groß ist im Menschen, das ist, daß er eine Brücke *) Daß der Gedanke von diesem "Uebergang" und "Untergang"
des Menschen ganz plötzlich in Nietzsche erwacht ist, ersehen wir aus folgender Stelle in "Morgenröthe", woselbst Nietzsche der entgegen- gesetzten Anschauung Ausdruck giebt (p. 44 Nr. 49): "Ehemals suchte „Die Stunde, wo ihr fagt: Was liegt an meinem Mit- „Spracht ihr ſchon ſo? ſchriet ihr ſchon ſo? Ach, daß „Wo iſt doch der Blitz, der euch mit ſeiner Zunge leckte? „Seht, ich lehre euch den Uebermenſchen, der iſt dieſer „Der Menſch iſt ein Seil, geknüpft zwiſchen Thier und „Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches auf dem „Was groß iſt im Menſchen, das iſt, daß er eine Brücke *) Daß der Gedanke von dieſem „Uebergang“ und „Untergang“
des Menſchen ganz plötzlich in Nietzſche erwacht iſt, erſehen wir aus folgender Stelle in „Morgenröthe“, woſelbſt Nietzſche der entgegen- geſetzten Anſchauung Ausdruck giebt (p. 44 Nr. 49): „Ehemals ſuchte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0066" n="57"/> <p>„Die Stunde, wo ihr fagt: Was liegt an meinem Mit-<lb/> leiden! Jſt nicht Mitleid das Kreuz, an das der genagelt<lb/> wird, der die Menſchen liebt? Aber mein Mitleiden iſt<lb/> keine Kreuzigung!“</p><lb/> <p>„Spracht ihr ſchon ſo? ſchriet ihr ſchon ſo? Ach, daß<lb/> ich euch ſchon ſo ſchreien gehört hätte! Nicht eure Sünde<lb/> — eure Genügſamkeit ſchreit zum Himmel, euer Geiz ſelbſt<lb/> in euern Sünden ſchreit gegen Himmel!“</p><lb/> <p>„Wo iſt doch der Blitz, der euch mit ſeiner Zunge leckte?<lb/> Wo iſt der Wahnſinn, mit dem ihr geimpft werden müßtet?“</p><lb/> <p>„Seht, ich lehre euch den Uebermenſchen, der iſt dieſer<lb/> Blitz, der iſt dieſer Wahnſinn!“ ......</p><lb/> <p>„Der Menſch iſt ein Seil, geknüpft zwiſchen Thier und<lb/> Uebermenſch — ein Seil über einem Abgrunde!“</p><lb/> <p>„Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches auf dem<lb/> Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schau-<lb/> dern und Stehenbleiben.“</p><lb/> <p>„Was groß iſt im Menſchen, das iſt, daß er eine Brücke<lb/> und kein Zweck iſt; was geliebt werden kann am Menſchen,<lb/> das iſt, daß er ein <hi rendition="#g">Uebergang</hi> und ein <hi rendition="#g">Untergang</hi> iſt!“<note place="foot" n="*)">Daß der Gedanke von dieſem „Uebergang“ und „Untergang“<lb/> des Menſchen ganz plötzlich in Nietzſche erwacht iſt, erſehen wir aus<lb/> folgender Stelle in „Morgenröthe“, woſelbſt Nietzſche der entgegen-<lb/><cit><quote>geſetzten Anſchauung Ausdruck giebt (<hi rendition="#aq">p.</hi> 44 Nr. 49): „Ehemals ſuchte<lb/> man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menſchen zu kommen, indem man<lb/> auf eine göttliche Abkunft hinzeigte; dies iſt jetzt ein verbotener Weg<lb/> geworden, denn an ſeiner Thüre ſteht jetzt der Affe nebſt anderem<lb/> greulichen Gethier.... So verſucht man es jetzt in der entgegenge-<lb/> ſetzten Richtung. Der Weg, <hi rendition="#g">wohin</hi> die Menſchheit geht, ſoll zum Be-<lb/> weiſe ihrer Herrlichkeit und Gottesverwandtſchaft dienen. Ach, auch<lb/> damit iſt es Nichts! ... Wie hoch die Menſchheit ſich entwickelt haben<lb/> möge — und vielleicht wird ſie gar tiefer als am Anfange ſtehen! — es giebt<lb/> für ſie <hi rendition="#g">keinen Uebergang in eine höhere Ordnung,</hi> ſo wenig<lb/> wie die Ameiſe und der Ohrwurm am Ende ihrer Erdenbahn zur<lb/> Gottesverwandtſchaft und Ewigkeit emporſteigen.“</quote></cit></note></p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [57/0066]
„Die Stunde, wo ihr fagt: Was liegt an meinem Mit-
leiden! Jſt nicht Mitleid das Kreuz, an das der genagelt
wird, der die Menſchen liebt? Aber mein Mitleiden iſt
keine Kreuzigung!“
„Spracht ihr ſchon ſo? ſchriet ihr ſchon ſo? Ach, daß
ich euch ſchon ſo ſchreien gehört hätte! Nicht eure Sünde
— eure Genügſamkeit ſchreit zum Himmel, euer Geiz ſelbſt
in euern Sünden ſchreit gegen Himmel!“
„Wo iſt doch der Blitz, der euch mit ſeiner Zunge leckte?
Wo iſt der Wahnſinn, mit dem ihr geimpft werden müßtet?“
„Seht, ich lehre euch den Uebermenſchen, der iſt dieſer
Blitz, der iſt dieſer Wahnſinn!“ ......
„Der Menſch iſt ein Seil, geknüpft zwiſchen Thier und
Uebermenſch — ein Seil über einem Abgrunde!“
„Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches auf dem
Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schau-
dern und Stehenbleiben.“
„Was groß iſt im Menſchen, das iſt, daß er eine Brücke
und kein Zweck iſt; was geliebt werden kann am Menſchen,
das iſt, daß er ein Uebergang und ein Untergang iſt!“ *)
*) Daß der Gedanke von dieſem „Uebergang“ und „Untergang“
des Menſchen ganz plötzlich in Nietzſche erwacht iſt, erſehen wir aus
folgender Stelle in „Morgenröthe“, woſelbſt Nietzſche der entgegen-
geſetzten Anſchauung Ausdruck giebt (p. 44 Nr. 49): „Ehemals ſuchte
man zum Gefühl der Herrlichkeit des Menſchen zu kommen, indem man
auf eine göttliche Abkunft hinzeigte; dies iſt jetzt ein verbotener Weg
geworden, denn an ſeiner Thüre ſteht jetzt der Affe nebſt anderem
greulichen Gethier.... So verſucht man es jetzt in der entgegenge-
ſetzten Richtung. Der Weg, wohin die Menſchheit geht, ſoll zum Be-
weiſe ihrer Herrlichkeit und Gottesverwandtſchaft dienen. Ach, auch
damit iſt es Nichts! ... Wie hoch die Menſchheit ſich entwickelt haben
möge — und vielleicht wird ſie gar tiefer als am Anfange ſtehen! — es giebt
für ſie keinen Uebergang in eine höhere Ordnung, ſo wenig
wie die Ameiſe und der Ohrwurm am Ende ihrer Erdenbahn zur
Gottesverwandtſchaft und Ewigkeit emporſteigen.“
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