Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886.welchem der vollkommenere Religionserfatz den Menschen zu welchem der vollkommenere Religionserfatz den Menſchen zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0098" n="89"/> welchem der vollkommenere Religionserfatz den Menſchen zu<lb/> ſtreben lehrt, vollkommener und vielſeitiger geſtaltet ſein,<lb/> als es gewöhnlich gekennzeichnet worden iſt. Es wird das<lb/> Jdeal nämlich hauptſächlich als ein moraliſches aufgefaßt.<lb/> Zwar konnte Comte nicht oft genug wiederholen, daß er<lb/> alle Seiten der höheren Natur des Menſchen berückſichtigt<lb/> habe, allein die intellektuelle und äſthetiſche Vervollkomm-<lb/> nung erſcheint in ſeiner Darſtellung doch zu ſehr von den An-<lb/> ſprüchen der Moral beherrſcht. Für die Mehrzahl der<lb/> anderen Denker, deren Jdeen wir würdigten, geht der Be-<lb/> griff Religionserſatz in Bezug auf den ſtrebenden und han-<lb/> delnden Menſchen in dem der Moral auf. Doch handelt es<lb/> ſich, wie wir ſchon einmal bemerkten, nicht nur um Verſitt-<lb/> lichung, ſondern auch um Vergeiſtigung des Lebens. Ein<lb/> neuer Enthuſiasmus für alle höheren Faktoren, — das wäre<lb/> der vollkommenere Erſatz der Religion in der Richtung der<lb/> Lebensführung. Eine idealere Auffaſſung der Dinge, eine<lb/> Vergeiſtigung ſelbſt der geringſten Thätigkeit, eine muth- und<lb/> vertrauensvollere, eine freudigere und höhere Lebensanſchauung<lb/> — das iſt es, was uns noth thut. Die Selbſtſchätzung des<lb/> Menſchen muß eine andere, eine richtigere werden. Eine<lb/> höchſte Macht bekümmert ſich allerdings nicht um jeden ſeiner<lb/> Gedanken und ſeine unſcheinbarſte That, und die Hoffnung<lb/> auf perſönliche Unſterblichkeit iſt wohl der Traum aller Träume.<lb/> Allein das Bewußtſein ſollte in Allen geweckt werden,<lb/> daß der Keim einer höheren Entwicklung in ihnen liegt und<lb/> daß ſelbſt die geringere Natur in eine ideale Sphäre ſich<lb/> zu erheben vermöge. Der Gedanke, daß die Natur ſelbſt den<lb/> Menſchen anruſt, ſeine höheren, ihm allein eigenen Fähigkeiten zu<lb/> entfalten, und daß der Menſch, wenn er ſeinem eigenſten Weſen lebt,<lb/> harmoniſch mit dem tiefſten Grunde der Dinge zuſammen-<lb/> wirkt, muß ein mächtiger Antrieb für ihn ſein. Ein be-<lb/> ſtimmtes Ziel feines Strebens läßt ſich dabei nicht aufſtellen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [89/0098]
welchem der vollkommenere Religionserfatz den Menſchen zu
ſtreben lehrt, vollkommener und vielſeitiger geſtaltet ſein,
als es gewöhnlich gekennzeichnet worden iſt. Es wird das
Jdeal nämlich hauptſächlich als ein moraliſches aufgefaßt.
Zwar konnte Comte nicht oft genug wiederholen, daß er
alle Seiten der höheren Natur des Menſchen berückſichtigt
habe, allein die intellektuelle und äſthetiſche Vervollkomm-
nung erſcheint in ſeiner Darſtellung doch zu ſehr von den An-
ſprüchen der Moral beherrſcht. Für die Mehrzahl der
anderen Denker, deren Jdeen wir würdigten, geht der Be-
griff Religionserſatz in Bezug auf den ſtrebenden und han-
delnden Menſchen in dem der Moral auf. Doch handelt es
ſich, wie wir ſchon einmal bemerkten, nicht nur um Verſitt-
lichung, ſondern auch um Vergeiſtigung des Lebens. Ein
neuer Enthuſiasmus für alle höheren Faktoren, — das wäre
der vollkommenere Erſatz der Religion in der Richtung der
Lebensführung. Eine idealere Auffaſſung der Dinge, eine
Vergeiſtigung ſelbſt der geringſten Thätigkeit, eine muth- und
vertrauensvollere, eine freudigere und höhere Lebensanſchauung
— das iſt es, was uns noth thut. Die Selbſtſchätzung des
Menſchen muß eine andere, eine richtigere werden. Eine
höchſte Macht bekümmert ſich allerdings nicht um jeden ſeiner
Gedanken und ſeine unſcheinbarſte That, und die Hoffnung
auf perſönliche Unſterblichkeit iſt wohl der Traum aller Träume.
Allein das Bewußtſein ſollte in Allen geweckt werden,
daß der Keim einer höheren Entwicklung in ihnen liegt und
daß ſelbſt die geringere Natur in eine ideale Sphäre ſich
zu erheben vermöge. Der Gedanke, daß die Natur ſelbſt den
Menſchen anruſt, ſeine höheren, ihm allein eigenen Fähigkeiten zu
entfalten, und daß der Menſch, wenn er ſeinem eigenſten Weſen lebt,
harmoniſch mit dem tiefſten Grunde der Dinge zuſammen-
wirkt, muß ein mächtiger Antrieb für ihn ſein. Ein be-
ſtimmtes Ziel feines Strebens läßt ſich dabei nicht aufſtellen.
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Zitationshilfe: | Druskowitz, Helene von: Moderne Versuche eines Religionsersatzes. Heidelberg, 1886, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/druskowitz_religionsersatz_1886/98>, abgerufen am 16.02.2025. |