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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Spitzbüberei und Narrheit. Ganz besonders werfe man aber
Alles zur Seite, was sich Psychologie nennt; denn unter dieser
Rubrik ist in der Welt noch nichts Gescheutes geschrieben und
docirt worden. Der metaphysische Ichwahn steckt speciell dieser
Disciplin nicht blos im Titel, sondern auch regelmässig im Leibe.

Man könnte den entschieden materialistischen Standpunkt
ausnehmen wollen; aber er wird von den Universitätlern ohnehin
gar nicht zur Philosophie gerechnet, was ihm zur Ehre gereicht.
Jedoch ist er meist roh und überdies leicht mit einer eignen Art
Metaphysik der Materie behaftet. Aber auch dann, wenn er sich
rein hält, kann er nur die unterste Grundlage abgeben. Eine
echte Weisheitslehre kann sich mit diesem Piedestal nicht be-
gnügen. Sie richtet sich auf die Wirklichkeit nicht blos im
Untergrunde, sondern auch auf den Höhen. Eine von philoso-
phastrischem Gespensterglauben freie und überdies redliche Wirk-
lichkeitslehre kennt anstatt Metaphysik nur Seins und Sach-
schematik, ein klares Gebiet, welches allenfalls auch Sachlogik
heissen könnte, obwohl auch der Name Logik nicht blos durch
Hohlheit, sondern auch durch metaphysische Verzerrung als ge-
meiniglich prostituirt gelten muss. An Stelle der abergläubischen
und ungediegenen Psychologie tritt Bewusstseinslehre, ein deut-
liches, von der Selbstwahrnehmung getragenes und glücklicher-
weise auch nicht sehr umfangreiches Gebiet.

Doch ich kann hier nicht weiter auf Philosophie eingehen.
Den Namen habe ich auch in den Titeln meiner eignen Bücher
zu brauchen gehabt; die Sache aber ist doch etwas wesentlich
Anderes geworden, ais sie in der bisherigen Geschichte, selbst in
den verhältnissmilssig besten Vertretungen, irgend gewesen. Wenn
Jemand; wie ich, sein ganzes Leben dazu aufgewendet hat, nicht
nur echte Aufklärung grade in den am meisten umdunkelten
und mit dem feinsten Truge verschleierten Gebieten zu schaffen,
sondern vor allen Dingen auch neue positive Wahrheiten auf-
zufinden, so muss ihn schon der blosse Name Philosophie, auch
wenn er ihn selber des Herkommens wegen nicht immer ver-
meiden kann, unter den heutigen Verhältnissen anwidern. Das
möge man nun, als sehr ernstgemeint, bei allem Studium be-
herzigen und Dinge, die dem frischen Leben und der Zukunft
angehören, nicht mit den geistigen Verwesungsresten eines ab-
gestorbenen Zustandes der Menschheit oder gar mit dem, was
jederzeit Lug und Trug war, zusammenwerfen.

Spitzbüberei und Narrheit. Ganz besonders werfe man aber
Alles zur Seite, was sich Psychologie nennt; denn unter dieser
Rubrik ist in der Welt noch nichts Gescheutes geschrieben und
docirt worden. Der metaphysische Ichwahn steckt speciell dieser
Disciplin nicht blos im Titel, sondern auch regelmässig im Leibe.

Man könnte den entschieden materialistischen Standpunkt
ausnehmen wollen; aber er wird von den Universitätlern ohnehin
gar nicht zur Philosophie gerechnet, was ihm zur Ehre gereicht.
Jedoch ist er meist roh und überdies leicht mit einer eignen Art
Metaphysik der Materie behaftet. Aber auch dann, wenn er sich
rein hält, kann er nur die unterste Grundlage abgeben. Eine
echte Weisheitslehre kann sich mit diesem Piedestal nicht be-
gnügen. Sie richtet sich auf die Wirklichkeit nicht blos im
Untergrunde, sondern auch auf den Höhen. Eine von philoso-
phastrischem Gespensterglauben freie und überdies redliche Wirk-
lichkeitslehre kennt anstatt Metaphysik nur Seins und Sach-
schematik, ein klares Gebiet, welches allenfalls auch Sachlogik
heissen könnte, obwohl auch der Name Logik nicht blos durch
Hohlheit, sondern auch durch metaphysische Verzerrung als ge-
meiniglich prostituirt gelten muss. An Stelle der abergläubischen
und ungediegenen Psychologie tritt Bewusstseinslehre, ein deut-
liches, von der Selbstwahrnehmung getragenes und glücklicher-
weise auch nicht sehr umfangreiches Gebiet.

Doch ich kann hier nicht weiter auf Philosophie eingehen.
Den Namen habe ich auch in den Titeln meiner eignen Bücher
zu brauchen gehabt; die Sache aber ist doch etwas wesentlich
Anderes geworden, ais sie in der bisherigen Geschichte, selbst in
den verhältnissmilssig besten Vertretungen, irgend gewesen. Wenn
Jemand; wie ich, sein ganzes Leben dazu aufgewendet hat, nicht
nur echte Aufklärung grade in den am meisten umdunkelten
und mit dem feinsten Truge verschleierten Gebieten zu schaffen,
sondern vor allen Dingen auch neue positive Wahrheiten auf-
zufinden, so muss ihn schon der blosse Name Philosophie, auch
wenn er ihn selber des Herkommens wegen nicht immer ver-
meiden kann, unter den heutigen Verhältnissen anwidern. Das
möge man nun, als sehr ernstgemeint, bei allem Studium be-
herzigen und Dinge, die dem frischen Leben und der Zukunft
angehören, nicht mit den geistigen Verwesungsresten eines ab-
gestorbenen Zustandes der Menschheit oder gar mit dem, was
jederzeit Lug und Trug war, zusammenwerfen.

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[105/0114] Spitzbüberei und Narrheit. Ganz besonders werfe man aber Alles zur Seite, was sich Psychologie nennt; denn unter dieser Rubrik ist in der Welt noch nichts Gescheutes geschrieben und docirt worden. Der metaphysische Ichwahn steckt speciell dieser Disciplin nicht blos im Titel, sondern auch regelmässig im Leibe. Man könnte den entschieden materialistischen Standpunkt ausnehmen wollen; aber er wird von den Universitätlern ohnehin gar nicht zur Philosophie gerechnet, was ihm zur Ehre gereicht. Jedoch ist er meist roh und überdies leicht mit einer eignen Art Metaphysik der Materie behaftet. Aber auch dann, wenn er sich rein hält, kann er nur die unterste Grundlage abgeben. Eine echte Weisheitslehre kann sich mit diesem Piedestal nicht be- gnügen. Sie richtet sich auf die Wirklichkeit nicht blos im Untergrunde, sondern auch auf den Höhen. Eine von philoso- phastrischem Gespensterglauben freie und überdies redliche Wirk- lichkeitslehre kennt anstatt Metaphysik nur Seins und Sach- schematik, ein klares Gebiet, welches allenfalls auch Sachlogik heissen könnte, obwohl auch der Name Logik nicht blos durch Hohlheit, sondern auch durch metaphysische Verzerrung als ge- meiniglich prostituirt gelten muss. An Stelle der abergläubischen und ungediegenen Psychologie tritt Bewusstseinslehre, ein deut- liches, von der Selbstwahrnehmung getragenes und glücklicher- weise auch nicht sehr umfangreiches Gebiet. Doch ich kann hier nicht weiter auf Philosophie eingehen. Den Namen habe ich auch in den Titeln meiner eignen Bücher zu brauchen gehabt; die Sache aber ist doch etwas wesentlich Anderes geworden, ais sie in der bisherigen Geschichte, selbst in den verhältnissmilssig besten Vertretungen, irgend gewesen. Wenn Jemand; wie ich, sein ganzes Leben dazu aufgewendet hat, nicht nur echte Aufklärung grade in den am meisten umdunkelten und mit dem feinsten Truge verschleierten Gebieten zu schaffen, sondern vor allen Dingen auch neue positive Wahrheiten auf- zufinden, so muss ihn schon der blosse Name Philosophie, auch wenn er ihn selber des Herkommens wegen nicht immer ver- meiden kann, unter den heutigen Verhältnissen anwidern. Das möge man nun, als sehr ernstgemeint, bei allem Studium be- herzigen und Dinge, die dem frischen Leben und der Zukunft angehören, nicht mit den geistigen Verwesungsresten eines ab- gestorbenen Zustandes der Menschheit oder gar mit dem, was jederzeit Lug und Trug war, zusammenwerfen.

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/114>, abgerufen am 29.04.2024.