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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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sind, ungeachtet einer oft unvergleichbaren Ueberlegenheit ihres
Verstandes, als von der Natur ausgeschlossen gelten?

An bedeutenden Leistungen in den schwierigsten Wissen-
schaften hat es unter den Frauen nicht gefehlt. Um nur an das
grösste Beispiel der letzten hundert Jahre zu erinnern, so über-
ragte im Gebiet der Mathematik Sophie Germain Schaaren von
Professoren und Akademikern. Die hundertjährige Wiederkehr
ihres Geburtsjahres (1776) erinnerte, wenn auch freilich ganz
geräuschlos und nur für den denkenden Geschichtsschreiber der
Wissenschaft daran, was bisher das Loos solcher weiblichen Aus-
zeichnungen gewesen ist. Sophie Germain hatte zwar die An-
erkennung Lagranges, des grössten Mathematikers der letzten
hundert Jahre, für sich, von dem Beifall nicht zu reden, den sie
von Seiten der Grössen niedern Ranges, wie namentlich von einem
Gauss, einerntete. Verglichen mit den heute tonangebenden oder,
besser gesagt, an der Oberfläche befindlichen, selbstverständlich
männlichen Persönlichkeiten, stellte sie eine Figur vor, die offen-
bar theils durch speciell mathematische Vorzüge theils durch
Ueberlegenheit des Gesammtgeistes im Ganzen einen so bedeuten-
den Eindruck macht, dass ein Hinausragen ihrer Fähigkeiten
über die Anlagen, mit denen heute die Tagesautoritäten aus-
reichen, für den Kenner der Geschichte und Gegenwart der Ma-
thematik keinem Zweifel unterworfen ist. Ueberdies war sie eine
feinsinnige Denkerin über allgemeine Wissenschaft und Philo-
sophie, und wer sich für die Ergebnisse ihres freien Blicks in
dieser Richtung interessirt, mag ausser den Anführungen in meiner
Geschichte der Mechanik auch die Gesammtkennzeichnung nach-
lesen, mit der ich ihr in meiner Geschichte der Philosophie eine
auf diesem Gebiet noch ungewohnte Erinnerung zu stiften ver-
sucht habe. Aber alle jene vorzüglichen Eigenschaften und
Leistungen haben es dennoch nicht bewirken können, dass der
Name Sophie Germains gebührend zur Erwähnung gelangt. Der
Neid der kleingeistigen Autoritätchen, die tief unter ihr stehen,
regt sich jedesmal, wenn die wissenschaftlichen Leistungen eines
Weibes neben den hölzernen Gestellen der gemeinen männlichen
Fabrikwaare an Hauptprofessoren und Hauptakademikern in
Frage kommen. Es sind daher nur die höchstbegabten und da-
her neidlosen Naturen, die gleich einem Lagrange für solche
Fähigkeiten und Verdienste die gebührende Werthschätzung
haben konnten.

sind, ungeachtet einer oft unvergleichbaren Ueberlegenheit ihres
Verstandes, als von der Natur ausgeschlossen gelten?

An bedeutenden Leistungen in den schwierigsten Wissen-
schaften hat es unter den Frauen nicht gefehlt. Um nur an das
grösste Beispiel der letzten hundert Jahre zu erinnern, so über-
ragte im Gebiet der Mathematik Sophie Germain Schaaren von
Professoren und Akademikern. Die hundertjährige Wiederkehr
ihres Geburtsjahres (1776) erinnerte, wenn auch freilich ganz
geräuschlos und nur für den denkenden Geschichtsschreiber der
Wissenschaft daran, was bisher das Loos solcher weiblichen Aus-
zeichnungen gewesen ist. Sophie Germain hatte zwar die An-
erkennung Lagranges, des grössten Mathematikers der letzten
hundert Jahre, für sich, von dem Beifall nicht zu reden, den sie
von Seiten der Grössen niedern Ranges, wie namentlich von einem
Gauss, einerntete. Verglichen mit den heute tonangebenden oder,
besser gesagt, an der Oberfläche befindlichen, selbstverständlich
männlichen Persönlichkeiten, stellte sie eine Figur vor, die offen-
bar theils durch speciell mathematische Vorzüge theils durch
Ueberlegenheit des Gesammtgeistes im Ganzen einen so bedeuten-
den Eindruck macht, dass ein Hinausragen ihrer Fähigkeiten
über die Anlagen, mit denen heute die Tagesautoritäten aus-
reichen, für den Kenner der Geschichte und Gegenwart der Ma-
thematik keinem Zweifel unterworfen ist. Ueberdies war sie eine
feinsinnige Denkerin über allgemeine Wissenschaft und Philo-
sophie, und wer sich für die Ergebnisse ihres freien Blicks in
dieser Richtung interessirt, mag ausser den Anführungen in meiner
Geschichte der Mechanik auch die Gesammtkennzeichnung nach-
lesen, mit der ich ihr in meiner Geschichte der Philosophie eine
auf diesem Gebiet noch ungewohnte Erinnerung zu stiften ver-
sucht habe. Aber alle jene vorzüglichen Eigenschaften und
Leistungen haben es dennoch nicht bewirken können, dass der
Name Sophie Germains gebührend zur Erwähnung gelangt. Der
Neid der kleingeistigen Autoritätchen, die tief unter ihr stehen,
regt sich jedesmal, wenn die wissenschaftlichen Leistungen eines
Weibes neben den hölzernen Gestellen der gemeinen männlichen
Fabrikwaare an Hauptprofessoren und Hauptakademikern in
Frage kommen. Es sind daher nur die höchstbegabten und da-
her neidlosen Naturen, die gleich einem Lagrange für solche
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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/17>, abgerufen am 23.11.2024.