Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie hat zwar die Universitätszünfte, statt sie wegzuschaffen, nur
einigen ihrer eignen Zwecke dienstbar gemacht und sie ein wenig
in ihren eignen Rahmen hineingezogen; sie hat aber doch bei
dieser Gelegenheit den Zunftgeist wenigstens durch den weniger
unmodernen Typus der Büreaukratie hier und da gemässigt und
hat sich neuerdings oft genug in der Lage gesehen, mit der Ini-
tiative zur Abschneidung einzelner ganz unerträglich gewordener
Zöpfe vorzugehen. Sie hat grade bei den hartnäckigsten Uni-
versitäten den lateinischen Dissertations- und Ceremonialzwang
etwas beschränkt und gelegentlich auch wohl einmal Miene ge-
macht, die Alleinherrschaft der alten Philologie in einigen Rich-
tungen in Frage zu stellen. Solche kleine und langsame Besei-
tigungen bereits überall lächerlich gewordener Ueberlieferungen
haben aber an der Hauptsache nichts geändert. Das Wissen,
welches für die Staatsprüfungen beschafft werden muss, wird zum
grossen Theil auf anderm Wege als durch die Universitätsvor-
lesungen angedrillt. Buchhülfen, sogenannte Paukatur, sowie
allerlei private Nebeninstitute müssen hier aushelfen; denn die
Ohnmacht des sich träge hinschleppenden einseitigen Vortrags
mit seinem semesterlang ausgesponnenen Faden wird immer fühl-
barer, und die unpraktische verrottete Manier, in welcher viele
Wissenschaftsrubriken in nutzloser Ausfüllung mit allerlei ge-
lehrtem Schutt dargeboten werden, drängt sich denn doch den
Candidaten der verschiedenen Berufszweige bei Gelegenheiten,
wo es etwas gilt, einigermaassen auf. Am wenigsten ist dies
freilich da der Fall, wo, wie in der Medicin oder in der Philo-
logie für unsern Staat, die Professoren auch zugleich die staat-
lichen Prüfungscommissionen ausfüllen. In diesem Fall sind sie
aber doch gezwungen, ganz andere Forderungen zu stellen, als
in den spielend tastenden Tentamen, die zur Doctorirung aus-
reichen. Mag der Staatsprüfungscandidat zusehen, woher er den
Stoff sich einverleibe; das Anhören der meisten Universitäts-
vorlesungen, soweit es wirklich noch ertragen wird, verhilft ihm
sicherlich nicht dazu; aber der Umstand, dass der büreaukrat-
ische Staat eingegriffen hat, ist doch wenigstens die Ursache, dass
mehr herauskommen muss, als das, was die Zünfte als Meister-
stück verlangen und als Abschluss der bei ihnen durchgemachten
drei- oder vierjährigen Lehrlingsschaft gelten lassen. Es ist also
nicht ein Verdienst der Universitätszünfte, wenn vermöge der
Staatsanordnungen eine gewisse Summe von Kenntnissen zur

Sie hat zwar die Universitätszünfte, statt sie wegzuschaffen, nur
einigen ihrer eignen Zwecke dienstbar gemacht und sie ein wenig
in ihren eignen Rahmen hineingezogen; sie hat aber doch bei
dieser Gelegenheit den Zunftgeist wenigstens durch den weniger
unmodernen Typus der Büreaukratie hier und da gemässigt und
hat sich neuerdings oft genug in der Lage gesehen, mit der Ini-
tiative zur Abschneidung einzelner ganz unerträglich gewordener
Zöpfe vorzugehen. Sie hat grade bei den hartnäckigsten Uni-
versitäten den lateinischen Dissertations- und Ceremonialzwang
etwas beschränkt und gelegentlich auch wohl einmal Miene ge-
macht, die Alleinherrschaft der alten Philologie in einigen Rich-
tungen in Frage zu stellen. Solche kleine und langsame Besei-
tigungen bereits überall lächerlich gewordener Ueberlieferungen
haben aber an der Hauptsache nichts geändert. Das Wissen,
welches für die Staatsprüfungen beschafft werden muss, wird zum
grossen Theil auf anderm Wege als durch die Universitätsvor-
lesungen angedrillt. Buchhülfen, sogenannte Paukatur, sowie
allerlei private Nebeninstitute müssen hier aushelfen; denn die
Ohnmacht des sich träge hinschleppenden einseitigen Vortrags
mit seinem semesterlang ausgesponnenen Faden wird immer fühl-
barer, und die unpraktische verrottete Manier, in welcher viele
Wissenschaftsrubriken in nutzloser Ausfüllung mit allerlei ge-
lehrtem Schutt dargeboten werden, drängt sich denn doch den
Candidaten der verschiedenen Berufszweige bei Gelegenheiten,
wo es etwas gilt, einigermaassen auf. Am wenigsten ist dies
freilich da der Fall, wo, wie in der Medicin oder in der Philo-
logie für unsern Staat, die Professoren auch zugleich die staat-
lichen Prüfungscommissionen ausfüllen. In diesem Fall sind sie
aber doch gezwungen, ganz andere Forderungen zu stellen, als
in den spielend tastenden Tentamen, die zur Doctorirung aus-
reichen. Mag der Staatsprüfungscandidat zusehen, woher er den
Stoff sich einverleibe; das Anhören der meisten Universitäts-
vorlesungen, soweit es wirklich noch ertragen wird, verhilft ihm
sicherlich nicht dazu; aber der Umstand, dass der büreaukrat-
ische Staat eingegriffen hat, ist doch wenigstens die Ursache, dass
mehr herauskommen muss, als das, was die Zünfte als Meister-
stück verlangen und als Abschluss der bei ihnen durchgemachten
drei- oder vierjährigen Lehrlingsschaft gelten lassen. Es ist also
nicht ein Verdienst der Universitätszünfte, wenn vermöge der
Staatsanordnungen eine gewisse Summe von Kenntnissen zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="37"/>
Sie hat zwar die Universitätszünfte, statt sie wegzuschaffen, nur<lb/>
einigen ihrer eignen Zwecke dienstbar gemacht und sie ein wenig<lb/>
in ihren eignen Rahmen hineingezogen; sie hat aber doch bei<lb/>
dieser Gelegenheit den Zunftgeist wenigstens durch den weniger<lb/>
unmodernen Typus der Büreaukratie hier und da gemässigt und<lb/>
hat sich neuerdings oft genug in der Lage gesehen, mit der Ini-<lb/>
tiative zur Abschneidung einzelner ganz unerträglich gewordener<lb/>
Zöpfe vorzugehen. Sie hat grade bei den hartnäckigsten Uni-<lb/>
versitäten den lateinischen Dissertations- und Ceremonialzwang<lb/>
etwas beschränkt und gelegentlich auch wohl einmal Miene ge-<lb/>
macht, die Alleinherrschaft der alten Philologie in einigen Rich-<lb/>
tungen in Frage zu stellen. Solche kleine und langsame Besei-<lb/>
tigungen bereits überall lächerlich gewordener Ueberlieferungen<lb/>
haben aber an der Hauptsache nichts geändert. Das Wissen,<lb/>
welches für die Staatsprüfungen beschafft werden muss, wird zum<lb/>
grossen Theil auf anderm Wege als durch die Universitätsvor-<lb/>
lesungen angedrillt. Buchhülfen, sogenannte Paukatur, sowie<lb/>
allerlei private Nebeninstitute müssen hier aushelfen; denn die<lb/>
Ohnmacht des sich träge hinschleppenden einseitigen Vortrags<lb/>
mit seinem semesterlang ausgesponnenen Faden wird immer fühl-<lb/>
barer, und die unpraktische verrottete Manier, in welcher viele<lb/>
Wissenschaftsrubriken in nutzloser Ausfüllung mit allerlei ge-<lb/>
lehrtem Schutt dargeboten werden, drängt sich denn doch den<lb/>
Candidaten der verschiedenen Berufszweige bei Gelegenheiten,<lb/>
wo es etwas gilt, einigermaassen auf. Am wenigsten ist dies<lb/>
freilich da der Fall, wo, wie in der Medicin oder in der Philo-<lb/>
logie für unsern Staat, die Professoren auch zugleich die staat-<lb/>
lichen Prüfungscommissionen ausfüllen. In diesem Fall sind sie<lb/>
aber doch gezwungen, ganz andere Forderungen zu stellen, als<lb/>
in den spielend tastenden Tentamen, die zur Doctorirung aus-<lb/>
reichen. Mag der Staatsprüfungscandidat zusehen, woher er den<lb/>
Stoff sich einverleibe; das Anhören der meisten Universitäts-<lb/>
vorlesungen, soweit es wirklich noch ertragen wird, verhilft ihm<lb/>
sicherlich nicht dazu; aber der Umstand, dass der büreaukrat-<lb/>
ische Staat eingegriffen hat, ist doch wenigstens die Ursache, dass<lb/>
mehr herauskommen muss, als das, was die Zünfte als Meister-<lb/>
stück verlangen und als Abschluss der bei ihnen durchgemachten<lb/>
drei- oder vierjährigen Lehrlingsschaft gelten lassen. Es ist also<lb/>
nicht ein Verdienst der Universitätszünfte, wenn vermöge der<lb/>
Staatsanordnungen eine gewisse Summe von Kenntnissen zur<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0046] Sie hat zwar die Universitätszünfte, statt sie wegzuschaffen, nur einigen ihrer eignen Zwecke dienstbar gemacht und sie ein wenig in ihren eignen Rahmen hineingezogen; sie hat aber doch bei dieser Gelegenheit den Zunftgeist wenigstens durch den weniger unmodernen Typus der Büreaukratie hier und da gemässigt und hat sich neuerdings oft genug in der Lage gesehen, mit der Ini- tiative zur Abschneidung einzelner ganz unerträglich gewordener Zöpfe vorzugehen. Sie hat grade bei den hartnäckigsten Uni- versitäten den lateinischen Dissertations- und Ceremonialzwang etwas beschränkt und gelegentlich auch wohl einmal Miene ge- macht, die Alleinherrschaft der alten Philologie in einigen Rich- tungen in Frage zu stellen. Solche kleine und langsame Besei- tigungen bereits überall lächerlich gewordener Ueberlieferungen haben aber an der Hauptsache nichts geändert. Das Wissen, welches für die Staatsprüfungen beschafft werden muss, wird zum grossen Theil auf anderm Wege als durch die Universitätsvor- lesungen angedrillt. Buchhülfen, sogenannte Paukatur, sowie allerlei private Nebeninstitute müssen hier aushelfen; denn die Ohnmacht des sich träge hinschleppenden einseitigen Vortrags mit seinem semesterlang ausgesponnenen Faden wird immer fühl- barer, und die unpraktische verrottete Manier, in welcher viele Wissenschaftsrubriken in nutzloser Ausfüllung mit allerlei ge- lehrtem Schutt dargeboten werden, drängt sich denn doch den Candidaten der verschiedenen Berufszweige bei Gelegenheiten, wo es etwas gilt, einigermaassen auf. Am wenigsten ist dies freilich da der Fall, wo, wie in der Medicin oder in der Philo- logie für unsern Staat, die Professoren auch zugleich die staat- lichen Prüfungscommissionen ausfüllen. In diesem Fall sind sie aber doch gezwungen, ganz andere Forderungen zu stellen, als in den spielend tastenden Tentamen, die zur Doctorirung aus- reichen. Mag der Staatsprüfungscandidat zusehen, woher er den Stoff sich einverleibe; das Anhören der meisten Universitäts- vorlesungen, soweit es wirklich noch ertragen wird, verhilft ihm sicherlich nicht dazu; aber der Umstand, dass der büreaukrat- ische Staat eingegriffen hat, ist doch wenigstens die Ursache, dass mehr herauskommen muss, als das, was die Zünfte als Meister- stück verlangen und als Abschluss der bei ihnen durchgemachten drei- oder vierjährigen Lehrlingsschaft gelten lassen. Es ist also nicht ein Verdienst der Universitätszünfte, wenn vermöge der Staatsanordnungen eine gewisse Summe von Kenntnissen zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-13T16:46:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-06-13T16:46:57Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Druckfehler: ignoriert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • i/j nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • I/J nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/46
Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/46>, abgerufen am 03.12.2024.