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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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höchst Savignyromantisch galvanisiren soll, - der Jurist, dem
einige Geschäftskenntniss in den Verkehrs- und Rechtsformen
des wirklichen Lebens Noth thäte, soll statt dessen am rescri-
birten Gajus klauben und, was noch schlimmer ist, gelegentlich
ausser dem byzantinischen Mosaik der Justinianisch-römischen
Rechtsbibel auch noch das Corpus des kanonischen Rechts in der
ganzen Wohlbeleibtheit dieses geistlichen Buches umklammern
und, wie der Theologe seinen hebräischen Psalm, so seine latei-
nische Stelle aus der hierarchischen Ueberlieferung auslegen
können. Aber Griechisch kommt hiebei doch so gut wie gar
nicht in Frage, und das Unleidliche ist die lateinische Wörter-
dressur. Seit sieben Jahrhunderten hat man an der römischen
Rechtsbibel, namentlich aber an den Pandekten, sowie auch an
dem mittelalterlichen Zubehör heruminterpretirt und will noch
immer dieser erläuternden Bedientenverrichtung nicht entwachsen
sein. Diese Armseligkeit der Ergebnisse rührt von dem autori-
tären Princip her. Man hat persönliche Meinungen weiter ge-
geben, aufgereiht und gesammelt; die Ansichten der Doctoren
bildeten die sogenannte Wissenschaft und das lateinische Gewand
war der einzige Umstand, welcher der äusserst platten Sache vor
dem abergläubischen Publicum einen gewissen Schein und eine
Art Vornehmheit verschaffte. Hienach wird man auch begreifen,
warum die Gilde heute im Latein die letzte Stütze ihres An-
sehens wanken sieht, und warum sie diese heilige Sprache als
Scheide ansieht, in welcher das Schwert ihrer Rechtsweisheit
stecke. Eine Scheide ist es nun wohl - dieses Latein; aber
darinnen steckt Nichts, womit sich ernsthaft fechten liesse. Wer
nicht schon vor der umgehängten Scheide Respect bekommen
will, braucht das Uebrige nicht zu fürchten.

Dennoch hat aber ein geringes Maass von Latein grade noch
bei den Juristen am ehesten einen praktischen Sinn; denn manche
noch maassgebende Vertrags- oder Gesetzesurkunde neuerer Zeit
ist in echtem Küchen- oder Kirchenlatein abgefasst und kann
unter Umständen wohl einmal buchstabirt werden müssen, wofür
man freilich auch ebensogut wie für Polnisch eigne Dolmetscher
halten könnte. Was aber die Quellen des wissenschaftlichen
Studiums anbetrifft, so dürften die Kinderschuhe doch endlich
auszuziehen sein. Hat man sieben Jahrhunderte lang glossirt,
ohne selbständig zu werden, so wird man es auch in sieben
Jahrtausenden nicht; und ist man anderweitig durch bessere

höchst Savignyromantisch galvanisiren soll, – der Jurist, dem
einige Geschäftskenntniss in den Verkehrs- und Rechtsformen
des wirklichen Lebens Noth thäte, soll statt dessen am rescri-
birten Gajus klauben und, was noch schlimmer ist, gelegentlich
ausser dem byzantinischen Mosaik der Justinianisch-römischen
Rechtsbibel auch noch das Corpus des kanonischen Rechts in der
ganzen Wohlbeleibtheit dieses geistlichen Buches umklammern
und, wie der Theologe seinen hebräischen Psalm, so seine latei-
nische Stelle aus der hierarchischen Ueberlieferung auslegen
können. Aber Griechisch kommt hiebei doch so gut wie gar
nicht in Frage, und das Unleidliche ist die lateinische Wörter-
dressur. Seit sieben Jahrhunderten hat man an der römischen
Rechtsbibel, namentlich aber an den Pandekten, sowie auch an
dem mittelalterlichen Zubehör heruminterpretirt und will noch
immer dieser erläuternden Bedientenverrichtung nicht entwachsen
sein. Diese Armseligkeit der Ergebnisse rührt von dem autori-
tären Princip her. Man hat persönliche Meinungen weiter ge-
geben, aufgereiht und gesammelt; die Ansichten der Doctoren
bildeten die sogenannte Wissenschaft und das lateinische Gewand
war der einzige Umstand, welcher der äusserst platten Sache vor
dem abergläubischen Publicum einen gewissen Schein und eine
Art Vornehmheit verschaffte. Hienach wird man auch begreifen,
warum die Gilde heute im Latein die letzte Stütze ihres An-
sehens wanken sieht, und warum sie diese heilige Sprache als
Scheide ansieht, in welcher das Schwert ihrer Rechtsweisheit
stecke. Eine Scheide ist es nun wohl – dieses Latein; aber
darinnen steckt Nichts, womit sich ernsthaft fechten liesse. Wer
nicht schon vor der umgehängten Scheide Respect bekommen
will, braucht das Uebrige nicht zu fürchten.

Dennoch hat aber ein geringes Maass von Latein grade noch
bei den Juristen am ehesten einen praktischen Sinn; denn manche
noch maassgebende Vertrags- oder Gesetzesurkunde neuerer Zeit
ist in echtem Küchen- oder Kirchenlatein abgefasst und kann
unter Umständen wohl einmal buchstabirt werden müssen, wofür
man freilich auch ebensogut wie für Polnisch eigne Dolmetscher
halten könnte. Was aber die Quellen des wissenschaftlichen
Studiums anbetrifft, so dürften die Kinderschuhe doch endlich
auszuziehen sein. Hat man sieben Jahrhunderte lang glossirt,
ohne selbständig zu werden, so wird man es auch in sieben
Jahrtausenden nicht; und ist man anderweitig durch bessere

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[44/0053] höchst Savignyromantisch galvanisiren soll, – der Jurist, dem einige Geschäftskenntniss in den Verkehrs- und Rechtsformen des wirklichen Lebens Noth thäte, soll statt dessen am rescri- birten Gajus klauben und, was noch schlimmer ist, gelegentlich ausser dem byzantinischen Mosaik der Justinianisch-römischen Rechtsbibel auch noch das Corpus des kanonischen Rechts in der ganzen Wohlbeleibtheit dieses geistlichen Buches umklammern und, wie der Theologe seinen hebräischen Psalm, so seine latei- nische Stelle aus der hierarchischen Ueberlieferung auslegen können. Aber Griechisch kommt hiebei doch so gut wie gar nicht in Frage, und das Unleidliche ist die lateinische Wörter- dressur. Seit sieben Jahrhunderten hat man an der römischen Rechtsbibel, namentlich aber an den Pandekten, sowie auch an dem mittelalterlichen Zubehör heruminterpretirt und will noch immer dieser erläuternden Bedientenverrichtung nicht entwachsen sein. Diese Armseligkeit der Ergebnisse rührt von dem autori- tären Princip her. Man hat persönliche Meinungen weiter ge- geben, aufgereiht und gesammelt; die Ansichten der Doctoren bildeten die sogenannte Wissenschaft und das lateinische Gewand war der einzige Umstand, welcher der äusserst platten Sache vor dem abergläubischen Publicum einen gewissen Schein und eine Art Vornehmheit verschaffte. Hienach wird man auch begreifen, warum die Gilde heute im Latein die letzte Stütze ihres An- sehens wanken sieht, und warum sie diese heilige Sprache als Scheide ansieht, in welcher das Schwert ihrer Rechtsweisheit stecke. Eine Scheide ist es nun wohl – dieses Latein; aber darinnen steckt Nichts, womit sich ernsthaft fechten liesse. Wer nicht schon vor der umgehängten Scheide Respect bekommen will, braucht das Uebrige nicht zu fürchten. Dennoch hat aber ein geringes Maass von Latein grade noch bei den Juristen am ehesten einen praktischen Sinn; denn manche noch maassgebende Vertrags- oder Gesetzesurkunde neuerer Zeit ist in echtem Küchen- oder Kirchenlatein abgefasst und kann unter Umständen wohl einmal buchstabirt werden müssen, wofür man freilich auch ebensogut wie für Polnisch eigne Dolmetscher halten könnte. Was aber die Quellen des wissenschaftlichen Studiums anbetrifft, so dürften die Kinderschuhe doch endlich auszuziehen sein. Hat man sieben Jahrhunderte lang glossirt, ohne selbständig zu werden, so wird man es auch in sieben Jahrtausenden nicht; und ist man anderweitig durch bessere

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/53>, abgerufen am 29.04.2024.