Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.ihrem eignen Gebiet eine Ahnung von freier und unmittelbarer ihrem eignen Gebiet eine Ahnung von freier und unmittelbarer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0060" n="51"/> ihrem eignen Gebiet eine Ahnung von freier und unmittelbarer<lb/> Sachwissenschaft. Selbst Mathematik und Naturwissenschaft sind<lb/> hievon angesteckt und zeigen die Spuren einer Ablenkung zum<lb/> scholastischen Verfall, der allerdings auch zugleich auf die Wir-<lb/> kungen der Zunftcorruption und der servilen Personenauswahl<lb/> zu verrechnen ist. Eine Universitätsvorlesung, die sich ein Semester<lb/> hindurchschleppt, trägt meist das Gepräge jener Autoritätsmanier.<lb/> Sie ist der späte Nachkömmling jenes mittelalterlichen Ersatzes<lb/> der Bücher durch dictirendes Uebermitteln eines wohlzusammen-<lb/> gestoppelten Professorheftes. Sie benimmt sich heute noch so,<lb/> als wenn es keinen Buchdruck gäbe, und als wenn die Weisheit<lb/> der Kathederpfründner ein Geheimniss wäre, das nur im ver-<lb/> traulichen engern Kreise offenbart würde. In Wahrheit bleiben<lb/> aber die Hefte gewaltig hinter den Grundwerken der Wissen-<lb/> schaft zurück. Der gemeine Professor hält sich stets unterhalb<lb/> des Niveaus seiner Wissenschaft; denn er käut nur wieder, was<lb/> ihm schon mannichfaltig vorgekaut und von seinem einstigen<lb/> Hauptprofessor übergeben worden ist. Dieser selbst aber hat<lb/> Mühe und Noth gehabt, etwas zusammenzudrechseln, worin<lb/> wenigstens die an der Oberfläche greifbarsten Ansichten wirk-<lb/> licher Grössen und Grundwerke der vorangehenden Generation<lb/> oder des abgelaufenen Jahrhunderts registratormässig angeführt<lb/> wären. Er ist damit freilich auch meist im Rückstande, und in<lb/> der Gegenwart versagt sein Urtheil ganz; denn es beruht auf<lb/> demjenigen anderer Leute, die für ihn schon entschieden haben<lb/> müssen. Das Verfahren eines auf dem Wege zur Docentur Be-<lb/> griffenen macht die Art kenntlich, wie die Vorlesungshefte ent-<lb/> stehen. So ein Candidat pflegt, nachdem er die drei oder vier<lb/> Jahre Studien hinter sich hat, noch ein paar Jahre auf ver-<lb/> schiedenen Universitäten herumzuhausiren. Dort sieht er zu, wo<lb/> er etwas abgucken und in sein Stammheft, welches er einst vor-<lb/> zulesen gedenkt, buchstäblich zusammentragen könne. Das Heft<lb/> seines Hauptprofessors bildet den Rahmen, falls nicht irgend ein<lb/> anderes Renommee tributpflichtig gemacht werden kann, wobei<lb/> auch die nichtofficiösen Vortragenden, die allerdings eine seltene<lb/> Ausnahme bilden, mit der verstohlenen Anwesenheit solcher can-<lb/> didirenden Freibeuter heimgesucht werden. Uebrigens hält sich<lb/> der Candidat zu seinem Patron und verleugnet öffentlich Alles,<lb/> was diesem und seiner Clique nicht genehm sein würde. Die<lb/> gekennzeichnete Heftmache aber ist darum nothwendig, weil es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0060]
ihrem eignen Gebiet eine Ahnung von freier und unmittelbarer
Sachwissenschaft. Selbst Mathematik und Naturwissenschaft sind
hievon angesteckt und zeigen die Spuren einer Ablenkung zum
scholastischen Verfall, der allerdings auch zugleich auf die Wir-
kungen der Zunftcorruption und der servilen Personenauswahl
zu verrechnen ist. Eine Universitätsvorlesung, die sich ein Semester
hindurchschleppt, trägt meist das Gepräge jener Autoritätsmanier.
Sie ist der späte Nachkömmling jenes mittelalterlichen Ersatzes
der Bücher durch dictirendes Uebermitteln eines wohlzusammen-
gestoppelten Professorheftes. Sie benimmt sich heute noch so,
als wenn es keinen Buchdruck gäbe, und als wenn die Weisheit
der Kathederpfründner ein Geheimniss wäre, das nur im ver-
traulichen engern Kreise offenbart würde. In Wahrheit bleiben
aber die Hefte gewaltig hinter den Grundwerken der Wissen-
schaft zurück. Der gemeine Professor hält sich stets unterhalb
des Niveaus seiner Wissenschaft; denn er käut nur wieder, was
ihm schon mannichfaltig vorgekaut und von seinem einstigen
Hauptprofessor übergeben worden ist. Dieser selbst aber hat
Mühe und Noth gehabt, etwas zusammenzudrechseln, worin
wenigstens die an der Oberfläche greifbarsten Ansichten wirk-
licher Grössen und Grundwerke der vorangehenden Generation
oder des abgelaufenen Jahrhunderts registratormässig angeführt
wären. Er ist damit freilich auch meist im Rückstande, und in
der Gegenwart versagt sein Urtheil ganz; denn es beruht auf
demjenigen anderer Leute, die für ihn schon entschieden haben
müssen. Das Verfahren eines auf dem Wege zur Docentur Be-
griffenen macht die Art kenntlich, wie die Vorlesungshefte ent-
stehen. So ein Candidat pflegt, nachdem er die drei oder vier
Jahre Studien hinter sich hat, noch ein paar Jahre auf ver-
schiedenen Universitäten herumzuhausiren. Dort sieht er zu, wo
er etwas abgucken und in sein Stammheft, welches er einst vor-
zulesen gedenkt, buchstäblich zusammentragen könne. Das Heft
seines Hauptprofessors bildet den Rahmen, falls nicht irgend ein
anderes Renommee tributpflichtig gemacht werden kann, wobei
auch die nichtofficiösen Vortragenden, die allerdings eine seltene
Ausnahme bilden, mit der verstohlenen Anwesenheit solcher can-
didirenden Freibeuter heimgesucht werden. Uebrigens hält sich
der Candidat zu seinem Patron und verleugnet öffentlich Alles,
was diesem und seiner Clique nicht genehm sein würde. Die
gekennzeichnete Heftmache aber ist darum nothwendig, weil es
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(2013-06-13T16:46:57Z)
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Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition.
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