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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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Philologe im trägen Schneckengange des sich Wort für Wort und
Zeile für Zeile durchwindenden und meist mühsam keuchenden
Uebersetzens und sogenannten Commentirens stecken! Doch ich
kann diesen Gegenstand hier nicht im Entferntesten erschöpfen.
Es ist genug, wenn die Frauen wissen, dass ihnen die heutige
Todtenmaske der einst lebendigen antiken Literatur nicht blos
übel anstehen, sondern auch noch die Verrenkung ihrer natür-
lichen Geistesglieder mit der altsprachlich grammatischen und
lexikalischen Folter eintragen und sie so zu allen gesunden Lei-
stungen ungeschickt machen würde, - eine Ungeschicklichkeit,
die sie am besten im Voraus an jenen männlichen Blaustrümpfen
studiren können, die als philologische Pedanten auf den Gymna-
sien und Universitäten die heutige Scholastik vertreten. Ueber-
haupt hat die todtsprachliche Bildung ihren Ort bei den übrigen
Leichnamen, die den Gegenstand linguistischer Anatomie bilden,
also bei dem Sanskrit, dem Hebräischen u. dgl. zu suchen und
mag sich äussersten Falls einer ähnlichen gelehrten Winkelpflege,
wie die altorientalischen Sprachen, erfreuen. Was aber das ver-
dorbene Latein anbelangt, in welchem in den neuern Jahr-
hunderten auch noch einige wirkliche Wissenschaft, wie Mathe-
matik und Physik, niedergeschrieben wurde, so ist es nur zum
letzten Quellenstudium, ja, wie die Zuratheziehung antiker griechi-
scher Schriftsteller, eigentlich nur zur Geschichtsschreibung der
Wissenschaft erforderlich, und letzterer Thätigkeit kann unter
natürlichen Verhältnissen über und über genügt werden, wenn
auf 100,000 Menschen, die den Ständen gelehrter Berufsausübung
angehören, einer kommt, der sich mit dieser Art von Erinnerung
befasst. Hiezu genügen aber Gelegenheiten, wie sie ja auch be-
züglich mexikanischer Alterthümer von denen aufgespürt worden
sind, welche die sprachlichen Hülfsmittel zu ihren Forschungen
von keiner Staatsweisheit für sie bereitgestellt fanden.

Das Kramen in Citaten antiker Schriftsteller ist das Merk-
mal der falschen Autoritätsmanier und hat auf den Universitäten
die Lehre der meisten Wissenschaften nicht nur mit Geschmack-
losigkeiten durchwebt, sondern auch in der ganzen Haltung und
Methode verdorben. Alte Musterbücher und sozusagen Bibeln
sowie überhaupt persönliche Meinungen und literarische Urkunden
werden fälschlich als letzte Quellen oder als letzte Gegenstände
des Wissens angesehen. Der stupide Personencultus spielt dabei
eine Hauptrolle und die Wortgelehrten haben nicht einmal in

Philologe im trägen Schneckengange des sich Wort für Wort und
Zeile für Zeile durchwindenden und meist mühsam keuchenden
Uebersetzens und sogenannten Commentirens stecken! Doch ich
kann diesen Gegenstand hier nicht im Entferntesten erschöpfen.
Es ist genug, wenn die Frauen wissen, dass ihnen die heutige
Todtenmaske der einst lebendigen antiken Literatur nicht blos
übel anstehen, sondern auch noch die Verrenkung ihrer natür-
lichen Geistesglieder mit der altsprachlich grammatischen und
lexikalischen Folter eintragen und sie so zu allen gesunden Lei-
stungen ungeschickt machen würde, – eine Ungeschicklichkeit,
die sie am besten im Voraus an jenen männlichen Blaustrümpfen
studiren können, die als philologische Pedanten auf den Gymna-
sien und Universitäten die heutige Scholastik vertreten. Ueber-
haupt hat die todtsprachliche Bildung ihren Ort bei den übrigen
Leichnamen, die den Gegenstand linguistischer Anatomie bilden,
also bei dem Sanskrit, dem Hebräischen u. dgl. zu suchen und
mag sich äussersten Falls einer ähnlichen gelehrten Winkelpflege,
wie die altorientalischen Sprachen, erfreuen. Was aber das ver-
dorbene Latein anbelangt, in welchem in den neuern Jahr-
hunderten auch noch einige wirkliche Wissenschaft, wie Mathe-
matik und Physik, niedergeschrieben wurde, so ist es nur zum
letzten Quellenstudium, ja, wie die Zuratheziehung antiker griechi-
scher Schriftsteller, eigentlich nur zur Geschichtsschreibung der
Wissenschaft erforderlich, und letzterer Thätigkeit kann unter
natürlichen Verhältnissen über und über genügt werden, wenn
auf 100,000 Menschen, die den Ständen gelehrter Berufsausübung
angehören, einer kommt, der sich mit dieser Art von Erinnerung
befasst. Hiezu genügen aber Gelegenheiten, wie sie ja auch be-
züglich mexikanischer Alterthümer von denen aufgespürt worden
sind, welche die sprachlichen Hülfsmittel zu ihren Forschungen
von keiner Staatsweisheit für sie bereitgestellt fanden.

Das Kramen in Citaten antiker Schriftsteller ist das Merk-
mal der falschen Autoritätsmanier und hat auf den Universitäten
die Lehre der meisten Wissenschaften nicht nur mit Geschmack-
losigkeiten durchwebt, sondern auch in der ganzen Haltung und
Methode verdorben. Alte Musterbücher und sozusagen Bibeln
sowie überhaupt persönliche Meinungen und literarische Urkunden
werden fälschlich als letzte Quellen oder als letzte Gegenstände
des Wissens angesehen. Der stupide Personencultus spielt dabei
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[50/0059] Philologe im trägen Schneckengange des sich Wort für Wort und Zeile für Zeile durchwindenden und meist mühsam keuchenden Uebersetzens und sogenannten Commentirens stecken! Doch ich kann diesen Gegenstand hier nicht im Entferntesten erschöpfen. Es ist genug, wenn die Frauen wissen, dass ihnen die heutige Todtenmaske der einst lebendigen antiken Literatur nicht blos übel anstehen, sondern auch noch die Verrenkung ihrer natür- lichen Geistesglieder mit der altsprachlich grammatischen und lexikalischen Folter eintragen und sie so zu allen gesunden Lei- stungen ungeschickt machen würde, – eine Ungeschicklichkeit, die sie am besten im Voraus an jenen männlichen Blaustrümpfen studiren können, die als philologische Pedanten auf den Gymna- sien und Universitäten die heutige Scholastik vertreten. Ueber- haupt hat die todtsprachliche Bildung ihren Ort bei den übrigen Leichnamen, die den Gegenstand linguistischer Anatomie bilden, also bei dem Sanskrit, dem Hebräischen u. dgl. zu suchen und mag sich äussersten Falls einer ähnlichen gelehrten Winkelpflege, wie die altorientalischen Sprachen, erfreuen. Was aber das ver- dorbene Latein anbelangt, in welchem in den neuern Jahr- hunderten auch noch einige wirkliche Wissenschaft, wie Mathe- matik und Physik, niedergeschrieben wurde, so ist es nur zum letzten Quellenstudium, ja, wie die Zuratheziehung antiker griechi- scher Schriftsteller, eigentlich nur zur Geschichtsschreibung der Wissenschaft erforderlich, und letzterer Thätigkeit kann unter natürlichen Verhältnissen über und über genügt werden, wenn auf 100,000 Menschen, die den Ständen gelehrter Berufsausübung angehören, einer kommt, der sich mit dieser Art von Erinnerung befasst. Hiezu genügen aber Gelegenheiten, wie sie ja auch be- züglich mexikanischer Alterthümer von denen aufgespürt worden sind, welche die sprachlichen Hülfsmittel zu ihren Forschungen von keiner Staatsweisheit für sie bereitgestellt fanden. Das Kramen in Citaten antiker Schriftsteller ist das Merk- mal der falschen Autoritätsmanier und hat auf den Universitäten die Lehre der meisten Wissenschaften nicht nur mit Geschmack- losigkeiten durchwebt, sondern auch in der ganzen Haltung und Methode verdorben. Alte Musterbücher und sozusagen Bibeln sowie überhaupt persönliche Meinungen und literarische Urkunden werden fälschlich als letzte Quellen oder als letzte Gegenstände des Wissens angesehen. Der stupide Personencultus spielt dabei eine Hauptrolle und die Wortgelehrten haben nicht einmal in

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/59>, abgerufen am 23.11.2024.