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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell
sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen
des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in
der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder
in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu-
sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das
übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb
dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des
Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen-
schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die
Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist
es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis
zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe-
matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran
schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem
Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un-
willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas
ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur
leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe,
das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig-
stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem
veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik
eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch-
schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An-
gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles
menschlichen Vorstellens und Denkens ist.

Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu-
nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den
Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und
in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik
ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver-
gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden
sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes-
gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge-
wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es
ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und
fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung
des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein
zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu-
gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird

sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell
sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen
des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in
der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder
in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu-
sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das
übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb
dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des
Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen-
schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die
Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist
es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis
zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe-
matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran
schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem
Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un-
willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas
ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur
leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe,
das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig-
stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem
veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik
eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch-
schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An-
gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles
menschlichen Vorstellens und Denkens ist.

Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu-
nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den
Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und
in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik
ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver-
gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden
sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes-
gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge-
wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es
ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und
fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung
des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein
zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu-
gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird

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[61/0070] sein, dessen Handhabung immer mit Rücksicht auf den speciell sachlichen Zweck zu erlernen ist. Nur ein sehr kleines Theilchen des mathematischen Feldes ist wirklich fruchtbar, sei es nun in der allgemeinen Formung des Vorstellens und Urtheilens, oder in der Bereitstellung von Mitteln für die Ergründung des Zu- sammenhangs der Natur und technischer Mechanismen. Das übrige Gebiet ist eine Wüste von speculativem Sande, innerhalb dessen allenfalls noch ein paar Oasen das blosse Vergnügen des Geistes ein klein wenig anfächeln. Wenn irgend ein Wissen- schaftszweig in erster Linie und grade im Hinblick auf die Frauenbildung einer Sichtung und Umgestaltung bedarf, so ist es die Mathematik und zwar von ihren tiefsten Niederungen bis zu ihren äussersten Höhen hinauf. Die verrottete Art, Mathe- matik zu lehren oder vielmehr ungeniessbar zu machen, ist daran schuld, dass auf den Gymnasien höchstens Einer auf Zehn seinem Pensum leidlich gewachsen ist, während die übrigen Neun un- willkürlich zu dem Aberglauben kommen, es gehöre zu so etwas ein besonderer Naturberuf. Wo aber ausnahmsweise auch nur leidlich unterrichtet wurde, war, wie ich selbst beobachtet habe, das Gegentheil der Fall, und auch der Simpelste gelangte wenig- stens dazu, seiner Aufgabe nothdürftig zu entsprechen. Bei einem veränderten Lehrsystem müssten aber grade in der Mathematik eher als in allen andern Richtungen die verlässlichsten Durch- schnittsergebnisse gesichert werden können, weil grade diese An- gelegenheit ihrer Natur nach eine elementar gemeinsame alles menschlichen Vorstellens und Denkens ist. Die rationelleren Theile der Naturwissenschaft, die sich zu- nächst mit den Grundbeschaffenheiten alles Stoffes und mit den Gesetzen der Bewegung materieller Theilchen beschäftigen und in der modernen, seit Galilei immer mehr ausgebildeten Physik ihren Ausgangspunkt haben, sind zwar von einem formell unver- gleichlich besser bildenden Einfluss, als was man auf dem Boden sprachlicher Uebungen für den Zweck der geordneten Geistes- gestaltung geltend machen kann; aber man muss auch diesen ge- wichtigeren Einfluss nicht zum leitenden Zielpunkt machen. Es ist vielmehr gerathen, den wirklichen Inhalt an bedeutenden und fruchtbaren Einsichten bei der Auswahl und Zusammenstellung des zu Erlernenden in entscheidender Weise maassgebend sein zu lassen. Ein ausdrückliches Bewusstsein über die hiemit zu- gleich angeeigneten Fähigkeiten zum Denken und Gestalten wird

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/70>, abgerufen am 29.04.2024.