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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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deutschen Aufsatz nennt, dürfte alsdann überflügelt werden; denn
bisher habe ich von der Fähigkeit, die ein als reif entlassener
Gymnasiast im Auffassen eines reicher gegliederten, wissenschaft-
lich gehaltvolleren Stils bekunden wird, keine zu hohe Meinung
erlangt, und wie Universitätsprofessoren von grossem Renommee,
und darunter Philologen, oft genug ein wahres Judendeutsch
schreiben, das kann der Kenner, der hierauf seine Aufmerksam-
keit richten will, grade jetzt in wissenschaftlichen Journalen und
Büchern genugsam beobachten. Fremde moderne Sprachen sind
als materielle und geistige Verkehrsmittel internationaler Art von
grosser praktischer Wichtigkeit, aber darum eben auch ganz
praktisch, mit möglichst wenig Aufwand an grammatischem und
Regelpedantismus, aus unmittelbarer Uebung zu erlernen. Fran-
zösisch, Englisch und nächstdem das praktisch wohl bald an
dritter Stelle in Frage kommende Russisch brauchen und sollen
für uns grundsätzlich nicht als allgemeine Bildungsmittel sondern
nur als specielle Werkzeuge fungiren, deren Gebrauch man sich nur
bei besonderm Bedürfniss und alsdann auf möglichst billige Weise
zu verschaffen sucht. Was bei ihrer Erlernung dennoch neben-
bei als Bildung mitabfällt, mag man willkommen heissen; aber
man wird sich vor dem Abweg zu hüten haben, hier mit argen
Unkosten und mit Schädigung des praktischen Hauptziels die-
jenige Bildung zu suchen, die unmittelbar an dem bereits ge-
läufigsten Stoff, also am Deutschen und nur hier in der kürzesten
und vollkommensten Art erworben werden kann. Man lerne also
vor allen Dingen Lesen, Schreiben und Reden; man begreife,
was es heissen will, dem Gedankengang einer Lectüre oder einer
Verhandlung mit Unterscheidungsvermögen und mit genauer An-
passung an das wirklich Gesagte folgen, sowie die eigne Meinung
zutreffend und verständlich zu Markte bringen, so wird man an
"höherer Vorschulung" für Berufsleben und Wissenschaft mehr
zur Schau stellen können, als heute gemeiniglich zu sehen ist.
Als Nebenfrucht wird dann vielleicht auch an die Stelle der
wüsten, blasirenden Vielleserei gedankenhohler Art etwas Sinn
für grössere Gediegenheit von Rede und Schrift treten und die
oberflächliche Schreibselei gelehrter und ungelehrter Art ein
wenig in Schranken halten.

Um jedoch das, was der Sprachbildung auf der andern Seite
als Aeusserstes gegenübersteht, nicht ganz unberührt zu lassen,
so wird die Mathematik ebenfalls als ein Werkzeug zu betrachten

deutschen Aufsatz nennt, dürfte alsdann überflügelt werden; denn
bisher habe ich von der Fähigkeit, die ein als reif entlassener
Gymnasiast im Auffassen eines reicher gegliederten, wissenschaft-
lich gehaltvolleren Stils bekunden wird, keine zu hohe Meinung
erlangt, und wie Universitätsprofessoren von grossem Renommee,
und darunter Philologen, oft genug ein wahres Judendeutsch
schreiben, das kann der Kenner, der hierauf seine Aufmerksam-
keit richten will, grade jetzt in wissenschaftlichen Journalen und
Büchern genugsam beobachten. Fremde moderne Sprachen sind
als materielle und geistige Verkehrsmittel internationaler Art von
grosser praktischer Wichtigkeit, aber darum eben auch ganz
praktisch, mit möglichst wenig Aufwand an grammatischem und
Regelpedantismus, aus unmittelbarer Uebung zu erlernen. Fran-
zösisch, Englisch und nächstdem das praktisch wohl bald an
dritter Stelle in Frage kommende Russisch brauchen und sollen
für uns grundsätzlich nicht als allgemeine Bildungsmittel sondern
nur als specielle Werkzeuge fungiren, deren Gebrauch man sich nur
bei besonderm Bedürfniss und alsdann auf möglichst billige Weise
zu verschaffen sucht. Was bei ihrer Erlernung dennoch neben-
bei als Bildung mitabfällt, mag man willkommen heissen; aber
man wird sich vor dem Abweg zu hüten haben, hier mit argen
Unkosten und mit Schädigung des praktischen Hauptziels die-
jenige Bildung zu suchen, die unmittelbar an dem bereits ge-
läufigsten Stoff, also am Deutschen und nur hier in der kürzesten
und vollkommensten Art erworben werden kann. Man lerne also
vor allen Dingen Lesen, Schreiben und Reden; man begreife,
was es heissen will, dem Gedankengang einer Lectüre oder einer
Verhandlung mit Unterscheidungsvermögen und mit genauer An-
passung an das wirklich Gesagte folgen, sowie die eigne Meinung
zutreffend und verständlich zu Markte bringen, so wird man an
„höherer Vorschulung“ für Berufsleben und Wissenschaft mehr
zur Schau stellen können, als heute gemeiniglich zu sehen ist.
Als Nebenfrucht wird dann vielleicht auch an die Stelle der
wüsten, blasirenden Vielleserei gedankenhohler Art etwas Sinn
für grössere Gediegenheit von Rede und Schrift treten und die
oberflächliche Schreibselei gelehrter und ungelehrter Art ein
wenig in Schranken halten.

Um jedoch das, was der Sprachbildung auf der andern Seite
als Aeusserstes gegenübersteht, nicht ganz unberührt zu lassen,
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[60/0069] deutschen Aufsatz nennt, dürfte alsdann überflügelt werden; denn bisher habe ich von der Fähigkeit, die ein als reif entlassener Gymnasiast im Auffassen eines reicher gegliederten, wissenschaft- lich gehaltvolleren Stils bekunden wird, keine zu hohe Meinung erlangt, und wie Universitätsprofessoren von grossem Renommee, und darunter Philologen, oft genug ein wahres Judendeutsch schreiben, das kann der Kenner, der hierauf seine Aufmerksam- keit richten will, grade jetzt in wissenschaftlichen Journalen und Büchern genugsam beobachten. Fremde moderne Sprachen sind als materielle und geistige Verkehrsmittel internationaler Art von grosser praktischer Wichtigkeit, aber darum eben auch ganz praktisch, mit möglichst wenig Aufwand an grammatischem und Regelpedantismus, aus unmittelbarer Uebung zu erlernen. Fran- zösisch, Englisch und nächstdem das praktisch wohl bald an dritter Stelle in Frage kommende Russisch brauchen und sollen für uns grundsätzlich nicht als allgemeine Bildungsmittel sondern nur als specielle Werkzeuge fungiren, deren Gebrauch man sich nur bei besonderm Bedürfniss und alsdann auf möglichst billige Weise zu verschaffen sucht. Was bei ihrer Erlernung dennoch neben- bei als Bildung mitabfällt, mag man willkommen heissen; aber man wird sich vor dem Abweg zu hüten haben, hier mit argen Unkosten und mit Schädigung des praktischen Hauptziels die- jenige Bildung zu suchen, die unmittelbar an dem bereits ge- läufigsten Stoff, also am Deutschen und nur hier in der kürzesten und vollkommensten Art erworben werden kann. Man lerne also vor allen Dingen Lesen, Schreiben und Reden; man begreife, was es heissen will, dem Gedankengang einer Lectüre oder einer Verhandlung mit Unterscheidungsvermögen und mit genauer An- passung an das wirklich Gesagte folgen, sowie die eigne Meinung zutreffend und verständlich zu Markte bringen, so wird man an „höherer Vorschulung“ für Berufsleben und Wissenschaft mehr zur Schau stellen können, als heute gemeiniglich zu sehen ist. Als Nebenfrucht wird dann vielleicht auch an die Stelle der wüsten, blasirenden Vielleserei gedankenhohler Art etwas Sinn für grössere Gediegenheit von Rede und Schrift treten und die oberflächliche Schreibselei gelehrter und ungelehrter Art ein wenig in Schranken halten. Um jedoch das, was der Sprachbildung auf der andern Seite als Aeusserstes gegenübersteht, nicht ganz unberührt zu lassen, so wird die Mathematik ebenfalls als ein Werkzeug zu betrachten

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/69>, abgerufen am 29.04.2024.