Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

haben, was das heutige gymnasial-universitäre System aufzuweisen
hat. Vorläufig kann man sich aber sehr wohl bei der Medicin
als praktischem Zielpunkt beruhigen; es wird an andern Ver-
zweigungen der wissenschaftlichen Berufsthätigkeit auf die Dauer
nicht fehlen, und die höhern Vorschulen werden sozusagen nicht
blos für zwei weibliche Facultäten, nämlich nicht blos für die
Medicin und das Lehrfach, vorarbeiten. Grade der selbständige
Bildungswerth der höheren Vorschulen, vermöge dessen sie auch
für allerlei, nicht grade gelehrte Berufe die natürlichste Vor-
bereitung ergeben, wird weiterhin der Anknüpfungspunkt werden
können, um später den Uebergang zu polytechnischen Verrich-
tungen der Frauen zu vermitteln und schliesslich auch an den
öffentlichen Functionen, also an der Rechtswahrnehmung und
Verwaltung denjenigen Antheil zu erobern, ohne den die bis-
herige unmündige Stellung des Geschlechts doch noch zu einem
grossen Theil fortbestehen und das gesellschaftliche Eingreifen in
das praktische Leben erschweren wurde. Doch ich habe grund-
sätzlich die Erörterung dieses Gegenstandes, als im Rahmen dieser
Schrift zu weit führend und auch als praktisch für den Augen-
blick zu weit vorgreifend, ausschliessen müssen. Die Lehrstoffe
aber, mit denen die höheren Vorschulen vorzugsweise zu schaffen
haben werden, bedürfen noch einer besondern Kennzeichnung.

Das blos Sprachliche sollte in einem modernen Bildungs-
system höchstens 1/20 des Raumes in Anspruch nehmen, so dass
19/20 für die Sachwissenschaften zur Verfügung blieben. Es ist
hauptsächlich auf den Satzbau der eignen Sprache zu concen-
triren und in den oberen Classen der höheren Vorschulen über-
haupt gar nicht mehr zu treiben; denn dort und schon vorher
ist ein grosser Theil der Uebung in Verständniss und Gebrauch
der Sprachmittel mit den sachlichen Auffassungs- und Darstellungs-
nothwendigkeiten unwillkürlich gegeben und überdies grund-
sätzlich zu verbinden. Was die antiken Griechen an ihrer eignen
Sprache in kümmerlicher Weise übten, das können wir, die wir
über die Kindheit der Sprachzergliederung und Sprachgeschichte
hinaus sind, am Deutschen weit besser verrichten. Man lehre
nur, im ernsten Sinne des Worts Deutsch hören, Deutsch lesen
und Deutsch reden, und die Leute beiderlei Geschlechts, die kein
Protocoll mit Verständniss unterschreiben können, und deren es
unter den Gebildeten, ja unter den Gelehrten sehr viele giebt,
werden seltener werden. Auch die Schulungsrubrik, welche man

haben, was das heutige gymnasial-universitäre System aufzuweisen
hat. Vorläufig kann man sich aber sehr wohl bei der Medicin
als praktischem Zielpunkt beruhigen; es wird an andern Ver-
zweigungen der wissenschaftlichen Berufsthätigkeit auf die Dauer
nicht fehlen, und die höhern Vorschulen werden sozusagen nicht
blos für zwei weibliche Facultäten, nämlich nicht blos für die
Medicin und das Lehrfach, vorarbeiten. Grade der selbständige
Bildungswerth der höheren Vorschulen, vermöge dessen sie auch
für allerlei, nicht grade gelehrte Berufe die natürlichste Vor-
bereitung ergeben, wird weiterhin der Anknüpfungspunkt werden
können, um später den Uebergang zu polytechnischen Verrich-
tungen der Frauen zu vermitteln und schliesslich auch an den
öffentlichen Functionen, also an der Rechtswahrnehmung und
Verwaltung denjenigen Antheil zu erobern, ohne den die bis-
herige unmündige Stellung des Geschlechts doch noch zu einem
grossen Theil fortbestehen und das gesellschaftliche Eingreifen in
das praktische Leben erschweren wurde. Doch ich habe grund-
sätzlich die Erörterung dieses Gegenstandes, als im Rahmen dieser
Schrift zu weit führend und auch als praktisch für den Augen-
blick zu weit vorgreifend, ausschliessen müssen. Die Lehrstoffe
aber, mit denen die höheren Vorschulen vorzugsweise zu schaffen
haben werden, bedürfen noch einer besondern Kennzeichnung.

Das blos Sprachliche sollte in einem modernen Bildungs-
system höchstens 1⁄20 des Raumes in Anspruch nehmen, so dass
19⁄20 für die Sachwissenschaften zur Verfügung blieben. Es ist
hauptsächlich auf den Satzbau der eignen Sprache zu concen-
triren und in den oberen Classen der höheren Vorschulen über-
haupt gar nicht mehr zu treiben; denn dort und schon vorher
ist ein grosser Theil der Uebung in Verständniss und Gebrauch
der Sprachmittel mit den sachlichen Auffassungs- und Darstellungs-
nothwendigkeiten unwillkürlich gegeben und überdies grund-
sätzlich zu verbinden. Was die antiken Griechen an ihrer eignen
Sprache in kümmerlicher Weise übten, das können wir, die wir
über die Kindheit der Sprachzergliederung und Sprachgeschichte
hinaus sind, am Deutschen weit besser verrichten. Man lehre
nur, im ernsten Sinne des Worts Deutsch hören, Deutsch lesen
und Deutsch reden, und die Leute beiderlei Geschlechts, die kein
Protocoll mit Verständniss unterschreiben können, und deren es
unter den Gebildeten, ja unter den Gelehrten sehr viele giebt,
werden seltener werden. Auch die Schulungsrubrik, welche man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="59"/>
haben, was das heutige gymnasial-universitäre System aufzuweisen<lb/>
hat. Vorläufig kann man sich aber sehr wohl bei der Medicin<lb/>
als praktischem Zielpunkt beruhigen; es wird an andern Ver-<lb/>
zweigungen der wissenschaftlichen Berufsthätigkeit auf die Dauer<lb/>
nicht fehlen, und die höhern Vorschulen werden sozusagen nicht<lb/>
blos für zwei weibliche Facultäten, nämlich nicht blos für die<lb/>
Medicin und das Lehrfach, vorarbeiten. Grade der selbständige<lb/>
Bildungswerth der höheren Vorschulen, vermöge dessen sie auch<lb/>
für allerlei, nicht grade gelehrte Berufe die natürlichste Vor-<lb/>
bereitung ergeben, wird weiterhin der Anknüpfungspunkt werden<lb/>
können, um später den Uebergang zu polytechnischen Verrich-<lb/>
tungen der Frauen zu vermitteln und schliesslich auch an den<lb/>
öffentlichen Functionen, also an der Rechtswahrnehmung und<lb/>
Verwaltung denjenigen Antheil zu erobern, ohne den die bis-<lb/>
herige unmündige Stellung des Geschlechts doch noch zu einem<lb/>
grossen Theil fortbestehen und das gesellschaftliche Eingreifen in<lb/>
das praktische Leben erschweren wurde. Doch ich habe grund-<lb/>
sätzlich die Erörterung dieses Gegenstandes, als im Rahmen dieser<lb/>
Schrift zu weit führend und auch als praktisch für den Augen-<lb/>
blick zu weit vorgreifend, ausschliessen müssen. Die Lehrstoffe<lb/>
aber, mit denen die höheren Vorschulen vorzugsweise zu schaffen<lb/>
haben werden, bedürfen noch einer besondern Kennzeichnung.</p><lb/>
        <p>Das blos Sprachliche sollte in einem modernen Bildungs-<lb/>
system höchstens 1&#x2044;20 des Raumes in Anspruch nehmen, so dass<lb/>
19&#x2044;20 für die Sachwissenschaften zur Verfügung blieben. Es ist<lb/>
hauptsächlich auf den Satzbau der eignen Sprache zu concen-<lb/>
triren und in den oberen Classen der höheren Vorschulen über-<lb/>
haupt gar nicht mehr zu treiben; denn dort und schon vorher<lb/>
ist ein grosser Theil der Uebung in Verständniss und Gebrauch<lb/>
der Sprachmittel mit den sachlichen Auffassungs- und Darstellungs-<lb/>
nothwendigkeiten unwillkürlich gegeben und überdies grund-<lb/>
sätzlich zu verbinden. Was die antiken Griechen an ihrer eignen<lb/>
Sprache in kümmerlicher Weise übten, das können wir, die wir<lb/>
über die Kindheit der Sprachzergliederung und Sprachgeschichte<lb/>
hinaus sind, am Deutschen weit besser verrichten. Man lehre<lb/>
nur, im ernsten Sinne des Worts Deutsch hören, Deutsch lesen<lb/>
und Deutsch reden, und die Leute beiderlei Geschlechts, die kein<lb/>
Protocoll mit Verständniss unterschreiben können, und deren es<lb/>
unter den Gebildeten, ja unter den Gelehrten sehr viele giebt,<lb/>
werden seltener werden. Auch die Schulungsrubrik, welche man<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0068] haben, was das heutige gymnasial-universitäre System aufzuweisen hat. Vorläufig kann man sich aber sehr wohl bei der Medicin als praktischem Zielpunkt beruhigen; es wird an andern Ver- zweigungen der wissenschaftlichen Berufsthätigkeit auf die Dauer nicht fehlen, und die höhern Vorschulen werden sozusagen nicht blos für zwei weibliche Facultäten, nämlich nicht blos für die Medicin und das Lehrfach, vorarbeiten. Grade der selbständige Bildungswerth der höheren Vorschulen, vermöge dessen sie auch für allerlei, nicht grade gelehrte Berufe die natürlichste Vor- bereitung ergeben, wird weiterhin der Anknüpfungspunkt werden können, um später den Uebergang zu polytechnischen Verrich- tungen der Frauen zu vermitteln und schliesslich auch an den öffentlichen Functionen, also an der Rechtswahrnehmung und Verwaltung denjenigen Antheil zu erobern, ohne den die bis- herige unmündige Stellung des Geschlechts doch noch zu einem grossen Theil fortbestehen und das gesellschaftliche Eingreifen in das praktische Leben erschweren wurde. Doch ich habe grund- sätzlich die Erörterung dieses Gegenstandes, als im Rahmen dieser Schrift zu weit führend und auch als praktisch für den Augen- blick zu weit vorgreifend, ausschliessen müssen. Die Lehrstoffe aber, mit denen die höheren Vorschulen vorzugsweise zu schaffen haben werden, bedürfen noch einer besondern Kennzeichnung. Das blos Sprachliche sollte in einem modernen Bildungs- system höchstens 1⁄20 des Raumes in Anspruch nehmen, so dass 19⁄20 für die Sachwissenschaften zur Verfügung blieben. Es ist hauptsächlich auf den Satzbau der eignen Sprache zu concen- triren und in den oberen Classen der höheren Vorschulen über- haupt gar nicht mehr zu treiben; denn dort und schon vorher ist ein grosser Theil der Uebung in Verständniss und Gebrauch der Sprachmittel mit den sachlichen Auffassungs- und Darstellungs- nothwendigkeiten unwillkürlich gegeben und überdies grund- sätzlich zu verbinden. Was die antiken Griechen an ihrer eignen Sprache in kümmerlicher Weise übten, das können wir, die wir über die Kindheit der Sprachzergliederung und Sprachgeschichte hinaus sind, am Deutschen weit besser verrichten. Man lehre nur, im ernsten Sinne des Worts Deutsch hören, Deutsch lesen und Deutsch reden, und die Leute beiderlei Geschlechts, die kein Protocoll mit Verständniss unterschreiben können, und deren es unter den Gebildeten, ja unter den Gelehrten sehr viele giebt, werden seltener werden. Auch die Schulungsrubrik, welche man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-13T16:46:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-06-13T16:46:57Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Druckfehler: ignoriert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • i/j nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • I/J nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/68
Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/68>, abgerufen am 24.11.2024.