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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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zu entgehen, so wird es doch auch schon von grossem praktischen
Werthe sein, die innere Freiheit zu wahren. Diese ist nicht nur
an sich das hohe Gut, welches um seiner selbst willen von jedem
Edleren geschätzt wird, sondern sie erspart auch viele unnütze
Bemühungen. Wer sie erringt, kann höchstens von aussen zu
dieser oder jener unnützen Thätigkeit, wie zur Entrichtung eines
Zolles, gezwungen werden; aber er wird sich in der Pflicht und
im Gewissen nicht gebunden fühlen, und dieser Umstand ändert
auch bei der praktischen Ausführung des Aufgenöthigten gar viel.
Hiezu kommt noch, dass der Blick auch für das Bessere frei
bleibt und durch Umschau nach zuträglicheren Stoffen auch positiv
helfen kann. Man unterschätze daher die geistigen Wege zur
Freiheit nicht, weil der Staats- und Gesellschaftszwang zunächst noch
Allerlei mitsichbringt, welchem sich nur der entziehen kann,
der nicht nur über hinreichende Mittel zum Leben verfügt, sondern
auch ausnahmsweise besondere Gelegenheiten antrifft, ganz ohne
Benutzung öffentlicher Schulen und Anstalten seine Zwecke zu
erreichen. Letzteres ist, wie die Dinge heut liegen, freilich das
Beste, aber nur äusserst selten ausführbar. Sonst wird selbst in
den begünstigten Fällen ein Mittelweg eingeschlagen werden
müssen; die Benützung der gegebenen ablenkenden, ja theilweise
gradezu verderblichen Anstalten wird sich mit der Bethätigung
derjenigen Geisteselemente mischen, die aus dem Reiche der Frei-
heit und des Guten durch die eigne Initiative und Selbsthülfe zu-
gänglich werden.

Für die theoretische Ausbildung kommen hauptsächlich zwei
Quellen in Frage, die eigentliche Wissenschaft und die schöne Litera-
tur. Von der praktisch technischen Ausbildung und den Kunstfertig-
keiten, möge es sich dabei um etwas Gemeinsames für Alle oder
um speciellste Fachpraktiken handeln, haben wir hier nicht zu
reden. Unser Ziel ist ein solches, welches wesentlich durch Studium
und Lectüre erreicht werden kann. Die einzige wesentliche Fer-
tigkeit hiefür ist die im Verständniss der Sprache, und es sei
hier nur noch bestimmter, als bereits in den vorangehenden Ab-
schnitten geschehen ist, darauf hingewiesen, dass nach dem heutigen
Stande der Dinge alte Sprachen gar nicht mehr, neuere aber nicht
immer, nicht durchaus oder doch nur in geringem Umfang er-
forderlich sind, um die Früchte der gesammten Wissenschaft und
schönen Literatur einzuernten. Man muss seine eigne Sprache
und vorläufig auch wohl noch für einzelne Gebiete der wissen-

zu entgehen, so wird es doch auch schon von grossem praktischen
Werthe sein, die innere Freiheit zu wahren. Diese ist nicht nur
an sich das hohe Gut, welches um seiner selbst willen von jedem
Edleren geschätzt wird, sondern sie erspart auch viele unnütze
Bemühungen. Wer sie erringt, kann höchstens von aussen zu
dieser oder jener unnützen Thätigkeit, wie zur Entrichtung eines
Zolles, gezwungen werden; aber er wird sich in der Pflicht und
im Gewissen nicht gebunden fühlen, und dieser Umstand ändert
auch bei der praktischen Ausführung des Aufgenöthigten gar viel.
Hiezu kommt noch, dass der Blick auch für das Bessere frei
bleibt und durch Umschau nach zuträglicheren Stoffen auch positiv
helfen kann. Man unterschätze daher die geistigen Wege zur
Freiheit nicht, weil der Staats- und Gesellschaftszwang zunächst noch
Allerlei mitsichbringt, welchem sich nur der entziehen kann,
der nicht nur über hinreichende Mittel zum Leben verfügt, sondern
auch ausnahmsweise besondere Gelegenheiten antrifft, ganz ohne
Benutzung öffentlicher Schulen und Anstalten seine Zwecke zu
erreichen. Letzteres ist, wie die Dinge heut liegen, freilich das
Beste, aber nur äusserst selten ausführbar. Sonst wird selbst in
den begünstigten Fällen ein Mittelweg eingeschlagen werden
müssen; die Benützung der gegebenen ablenkenden, ja theilweise
gradezu verderblichen Anstalten wird sich mit der Bethätigung
derjenigen Geisteselemente mischen, die aus dem Reiche der Frei-
heit und des Guten durch die eigne Initiative und Selbsthülfe zu-
gänglich werden.

Für die theoretische Ausbildung kommen hauptsächlich zwei
Quellen in Frage, die eigentliche Wissenschaft und die schöne Litera-
tur. Von der praktisch technischen Ausbildung und den Kunstfertig-
keiten, möge es sich dabei um etwas Gemeinsames für Alle oder
um speciellste Fachpraktiken handeln, haben wir hier nicht zu
reden. Unser Ziel ist ein solches, welches wesentlich durch Studium
und Lectüre erreicht werden kann. Die einzige wesentliche Fer-
tigkeit hiefür ist die im Verständniss der Sprache, und es sei
hier nur noch bestimmter, als bereits in den vorangehenden Ab-
schnitten geschehen ist, darauf hingewiesen, dass nach dem heutigen
Stande der Dinge alte Sprachen gar nicht mehr, neuere aber nicht
immer, nicht durchaus oder doch nur in geringem Umfang er-
forderlich sind, um die Früchte der gesammten Wissenschaft und
schönen Literatur einzuernten. Man muss seine eigne Sprache
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[83/0092] zu entgehen, so wird es doch auch schon von grossem praktischen Werthe sein, die innere Freiheit zu wahren. Diese ist nicht nur an sich das hohe Gut, welches um seiner selbst willen von jedem Edleren geschätzt wird, sondern sie erspart auch viele unnütze Bemühungen. Wer sie erringt, kann höchstens von aussen zu dieser oder jener unnützen Thätigkeit, wie zur Entrichtung eines Zolles, gezwungen werden; aber er wird sich in der Pflicht und im Gewissen nicht gebunden fühlen, und dieser Umstand ändert auch bei der praktischen Ausführung des Aufgenöthigten gar viel. Hiezu kommt noch, dass der Blick auch für das Bessere frei bleibt und durch Umschau nach zuträglicheren Stoffen auch positiv helfen kann. Man unterschätze daher die geistigen Wege zur Freiheit nicht, weil der Staats- und Gesellschaftszwang zunächst noch Allerlei mitsichbringt, welchem sich nur der entziehen kann, der nicht nur über hinreichende Mittel zum Leben verfügt, sondern auch ausnahmsweise besondere Gelegenheiten antrifft, ganz ohne Benutzung öffentlicher Schulen und Anstalten seine Zwecke zu erreichen. Letzteres ist, wie die Dinge heut liegen, freilich das Beste, aber nur äusserst selten ausführbar. Sonst wird selbst in den begünstigten Fällen ein Mittelweg eingeschlagen werden müssen; die Benützung der gegebenen ablenkenden, ja theilweise gradezu verderblichen Anstalten wird sich mit der Bethätigung derjenigen Geisteselemente mischen, die aus dem Reiche der Frei- heit und des Guten durch die eigne Initiative und Selbsthülfe zu- gänglich werden. Für die theoretische Ausbildung kommen hauptsächlich zwei Quellen in Frage, die eigentliche Wissenschaft und die schöne Litera- tur. Von der praktisch technischen Ausbildung und den Kunstfertig- keiten, möge es sich dabei um etwas Gemeinsames für Alle oder um speciellste Fachpraktiken handeln, haben wir hier nicht zu reden. Unser Ziel ist ein solches, welches wesentlich durch Studium und Lectüre erreicht werden kann. Die einzige wesentliche Fer- tigkeit hiefür ist die im Verständniss der Sprache, und es sei hier nur noch bestimmter, als bereits in den vorangehenden Ab- schnitten geschehen ist, darauf hingewiesen, dass nach dem heutigen Stande der Dinge alte Sprachen gar nicht mehr, neuere aber nicht immer, nicht durchaus oder doch nur in geringem Umfang er- forderlich sind, um die Früchte der gesammten Wissenschaft und schönen Literatur einzuernten. Man muss seine eigne Sprache und vorläufig auch wohl noch für einzelne Gebiete der wissen-

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/92>, abgerufen am 29.04.2024.