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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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denn was sie an allgemeiner Ausbildung erfordern, wird auch
schon in den allgemeinen Grundsätzen mitberücksichtigt. Ebenso
ist eine Beschränkung des Gegenstandes auf das Fraueninteresse
nicht angebracht; denn die Principien bleiben hier dieselben,
gleichviel ob es sich um männliche oder weibliche Zwecke handle.
Nur in einigen besondern Anwendungen wird sich ein Unter-
schied in der Auswahl der Stoffe ergeben.

Auf eine befriedigende Umgestaltung des öffentlichen Unter-
richts ist vorläufig nicht zu rechnen. Nur eine durchgreifende
Umschaffung des ganzen Systems socialer und politischer Ver-
hältnisse könnte so etwas mitsichbringen. Will man also im
Laufe des jetzigen und etwa auch des nächsten Generationsdaseins
nicht schon mit sehr grossen Wendungen, ja mit gewaltigen Trans-
formationen rechnen, so hat man sich gefasst zu machen, die
gegenwärtigen Zustände verlehrten und verschrobenen Unterrichts
sammt dem zugehörigen Zwange auch fernerhin anzutreffen, ja
gelegentlich auch wohl noch in sogenannten Reformen weiter
ausgedehnt zu finden. Geht man beispielsweise irgendwo mit
Erschaffung neuer Unterrichtsgelegenheiten für das weibliche Ge-
schlecht vor, so geschieht dies regelmässig nur, indem man die
alten Verlehrtheiten und Verschrobenheiten in gewohnter Weise
mitschleppt und in die neuen Institute überträgt. Von dieser Seite
wird also dafür gesorgt bleiben, dass die Kluft sich nicht ausfülle,
sondern eher an Weite zunehme. Es ist nämlich etwas Mon-
ströseres, jene verrotteten Dinge auch noch der weiblichen Welt
bieten zu wollen, die in diese Sphäre erst neu eintritt, als den
mumienhaften Kram nur da beizubehalten, wo die Leute längst
daran gewöhnt sind, in jenem Staube der Jahrtausende und Jahr-
hunderte zu hausen. Die fragliche Ungeheuerlichkeit ist aber allem
Anschein nach zunächst unvermeidlich, und so stellt sich in dieser
Richtung um so mehr das Bedürfniss heraus, ein Correctiv und
Gegenmittel zu besitzen, durch welches die Einzelnen den Haupt-
schaden abzuhalten und die unvermeidlichen Nebenschädigungen
aufzuwiegen vermögen. Dieses Gegenmittel ist nun eben die
Selbstausbildung nach Grundsätzen, die nicht aus der Welt der
Verlehrten, ja überhaupt nicht aus den geschichtlichen Ueber-
lieferungen des dem Mittelalter entsprossenen Gelehrtenstandes
geschöpft sind, sondern den Bestrebungen des freien Geistes und
seiner souverändenkenden Vertreter entstammen.

Wird es auch nicht möglich sein, überall dem äussern Zwange

denn was sie an allgemeiner Ausbildung erfordern, wird auch
schon in den allgemeinen Grundsätzen mitberücksichtigt. Ebenso
ist eine Beschränkung des Gegenstandes auf das Fraueninteresse
nicht angebracht; denn die Principien bleiben hier dieselben,
gleichviel ob es sich um männliche oder weibliche Zwecke handle.
Nur in einigen besondern Anwendungen wird sich ein Unter-
schied in der Auswahl der Stoffe ergeben.

Auf eine befriedigende Umgestaltung des öffentlichen Unter-
richts ist vorläufig nicht zu rechnen. Nur eine durchgreifende
Umschaffung des ganzen Systems socialer und politischer Ver-
hältnisse könnte so etwas mitsichbringen. Will man also im
Laufe des jetzigen und etwa auch des nächsten Generationsdaseins
nicht schon mit sehr grossen Wendungen, ja mit gewaltigen Trans-
formationen rechnen, so hat man sich gefasst zu machen, die
gegenwärtigen Zustände verlehrten und verschrobenen Unterrichts
sammt dem zugehörigen Zwange auch fernerhin anzutreffen, ja
gelegentlich auch wohl noch in sogenannten Reformen weiter
ausgedehnt zu finden. Geht man beispielsweise irgendwo mit
Erschaffung neuer Unterrichtsgelegenheiten für das weibliche Ge-
schlecht vor, so geschieht dies regelmässig nur, indem man die
alten Verlehrtheiten und Verschrobenheiten in gewohnter Weise
mitschleppt und in die neuen Institute überträgt. Von dieser Seite
wird also dafür gesorgt bleiben, dass die Kluft sich nicht ausfülle,
sondern eher an Weite zunehme. Es ist nämlich etwas Mon-
ströseres, jene verrotteten Dinge auch noch der weiblichen Welt
bieten zu wollen, die in diese Sphäre erst neu eintritt, als den
mumienhaften Kram nur da beizubehalten, wo die Leute längst
daran gewöhnt sind, in jenem Staube der Jahrtausende und Jahr-
hunderte zu hausen. Die fragliche Ungeheuerlichkeit ist aber allem
Anschein nach zunächst unvermeidlich, und so stellt sich in dieser
Richtung um so mehr das Bedürfniss heraus, ein Correctiv und
Gegenmittel zu besitzen, durch welches die Einzelnen den Haupt-
schaden abzuhalten und die unvermeidlichen Nebenschädigungen
aufzuwiegen vermögen. Dieses Gegenmittel ist nun eben die
Selbstausbildung nach Grundsätzen, die nicht aus der Welt der
Verlehrten, ja überhaupt nicht aus den geschichtlichen Ueber-
lieferungen des dem Mittelalter entsprossenen Gelehrtenstandes
geschöpft sind, sondern den Bestrebungen des freien Geistes und
seiner souverändenkenden Vertreter entstammen.

Wird es auch nicht möglich sein, überall dem äussern Zwange

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[82/0091] denn was sie an allgemeiner Ausbildung erfordern, wird auch schon in den allgemeinen Grundsätzen mitberücksichtigt. Ebenso ist eine Beschränkung des Gegenstandes auf das Fraueninteresse nicht angebracht; denn die Principien bleiben hier dieselben, gleichviel ob es sich um männliche oder weibliche Zwecke handle. Nur in einigen besondern Anwendungen wird sich ein Unter- schied in der Auswahl der Stoffe ergeben. Auf eine befriedigende Umgestaltung des öffentlichen Unter- richts ist vorläufig nicht zu rechnen. Nur eine durchgreifende Umschaffung des ganzen Systems socialer und politischer Ver- hältnisse könnte so etwas mitsichbringen. Will man also im Laufe des jetzigen und etwa auch des nächsten Generationsdaseins nicht schon mit sehr grossen Wendungen, ja mit gewaltigen Trans- formationen rechnen, so hat man sich gefasst zu machen, die gegenwärtigen Zustände verlehrten und verschrobenen Unterrichts sammt dem zugehörigen Zwange auch fernerhin anzutreffen, ja gelegentlich auch wohl noch in sogenannten Reformen weiter ausgedehnt zu finden. Geht man beispielsweise irgendwo mit Erschaffung neuer Unterrichtsgelegenheiten für das weibliche Ge- schlecht vor, so geschieht dies regelmässig nur, indem man die alten Verlehrtheiten und Verschrobenheiten in gewohnter Weise mitschleppt und in die neuen Institute überträgt. Von dieser Seite wird also dafür gesorgt bleiben, dass die Kluft sich nicht ausfülle, sondern eher an Weite zunehme. Es ist nämlich etwas Mon- ströseres, jene verrotteten Dinge auch noch der weiblichen Welt bieten zu wollen, die in diese Sphäre erst neu eintritt, als den mumienhaften Kram nur da beizubehalten, wo die Leute längst daran gewöhnt sind, in jenem Staube der Jahrtausende und Jahr- hunderte zu hausen. Die fragliche Ungeheuerlichkeit ist aber allem Anschein nach zunächst unvermeidlich, und so stellt sich in dieser Richtung um so mehr das Bedürfniss heraus, ein Correctiv und Gegenmittel zu besitzen, durch welches die Einzelnen den Haupt- schaden abzuhalten und die unvermeidlichen Nebenschädigungen aufzuwiegen vermögen. Dieses Gegenmittel ist nun eben die Selbstausbildung nach Grundsätzen, die nicht aus der Welt der Verlehrten, ja überhaupt nicht aus den geschichtlichen Ueber- lieferungen des dem Mittelalter entsprossenen Gelehrtenstandes geschöpft sind, sondern den Bestrebungen des freien Geistes und seiner souverändenkenden Vertreter entstammen. Wird es auch nicht möglich sein, überall dem äussern Zwange

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/91>, abgerufen am 28.04.2024.