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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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auf rein factische und äusserliche Berichte hin haben sich in
Sachen der Astronomie früher sogar namhafte Denker begnügt,
wie John Locke, weil deren Fassungsvermögen zur Capirung der
erforderlichen paar mathematischen Verknüpfungen nicht zureichte.
Zur Entschuldigung mag hinzugefügt sein, dass die astronomischen
Gelehrten, wie im fraglichen Falle Newton, es auch nicht ver-
standen, von ihrem Handwerkszeug und von ihren gewohnten Com-
plicationen der Darlegung genug wegzulassen, um die Hauptsachen
unmittelbar und für den Nichtfachmann verständlich zu machen. Es
ging ihnen darin, wie es gemeiniglich den Ausübern der verschieden-
artigsten Hantirungen und Künste geht. Diese verstehen ihre Sache
wohl zu machen, nicht aber, sich darüber gehörig auszulassen, und
zwar gelingt ihnen die Mittheilung am wenigsten, wenn sie nicht in
gewohnter Weise mit allem zufälligen Nebenwerk fach- und routine-
gemäss einen Lehrling einweihen, sondern ein ausgewähltes Bereich
bestimmter Gegenstände vom Fach ablösen sollen. Diese Schwierig-
keiten, die in der Gewohnheitsknechtschaft der Gelehrten und in
deren Mangel an Abstractionsvermögen ihren Grund haben, dürfen
jedoch nicht abschrecken. Sie sind ein sociales, aber nicht in
der Natur des Wissens selbst liegendes Hinderniss. Man ent-
schliesse sich daher, sich nicht auf dem Kinderstandpunkt fest-
bannen zu lassen, und man ziehe das, was Seitens der Gelehrten
an Wissen nicht von selber kommt, mit eignen Kräften zu sich
heran. Hiefür ist nun aber einige Mathematik als Instrument
unentbehrlich.

Allgemeine Naturwissenschaft ohne Mathematik ist fast ein
Widerspruch in sich selbst. Wie will man die Anordnungen und
Einrichtungen im Raume verstehen oder gar deren Consequenzen
erwägen, wenn man nicht die allgemeinen Grundsätze und Wahr-
heiten kennt, in die alles räumlich Entworfene sich schicken muss?
Wie will man überhaupt die in der Natur aufeinander wirkenden
Grössen und Mengen in der Art, wie diese sich gegenseitig be-
stimmen, beurtheilen, wenn man überhaupt nicht zu rechnen und
das Rechnen nicht auf Raumverhältnisse und Bewegungen auszu-
dehnen weiss? Will man ein letztinstanzliches Wissen, so ist die
Frage der Unentbehrlichkeit der Mathematik mit jenen wenigen
Hinweisungen entschieden. Nur wer sich mit abgerissenen Er-
zählungen aus dem astronomischen Wissensreich begnügen wollte,
könnte allenfalls ohne eigentliche und specielle Mathematik aus-
kommen. Dieses unreife Verhalten haben wir aber nicht vor Augen, wo

auf rein factische und äusserliche Berichte hin haben sich in
Sachen der Astronomie früher sogar namhafte Denker begnügt,
wie John Locke, weil deren Fassungsvermögen zur Capirung der
erforderlichen paar mathematischen Verknüpfungen nicht zureichte.
Zur Entschuldigung mag hinzugefügt sein, dass die astronomischen
Gelehrten, wie im fraglichen Falle Newton, es auch nicht ver-
standen, von ihrem Handwerkszeug und von ihren gewohnten Com-
plicationen der Darlegung genug wegzulassen, um die Hauptsachen
unmittelbar und für den Nichtfachmann verständlich zu machen. Es
ging ihnen darin, wie es gemeiniglich den Ausübern der verschieden-
artigsten Hantirungen und Künste geht. Diese verstehen ihre Sache
wohl zu machen, nicht aber, sich darüber gehörig auszulassen, und
zwar gelingt ihnen die Mittheilung am wenigsten, wenn sie nicht in
gewohnter Weise mit allem zufälligen Nebenwerk fach- und routine-
gemäss einen Lehrling einweihen, sondern ein ausgewähltes Bereich
bestimmter Gegenstände vom Fach ablösen sollen. Diese Schwierig-
keiten, die in der Gewohnheitsknechtschaft der Gelehrten und in
deren Mangel an Abstractionsvermögen ihren Grund haben, dürfen
jedoch nicht abschrecken. Sie sind ein sociales, aber nicht in
der Natur des Wissens selbst liegendes Hinderniss. Man ent-
schliesse sich daher, sich nicht auf dem Kinderstandpunkt fest-
bannen zu lassen, und man ziehe das, was Seitens der Gelehrten
an Wissen nicht von selber kommt, mit eignen Kräften zu sich
heran. Hiefür ist nun aber einige Mathematik als Instrument
unentbehrlich.

Allgemeine Naturwissenschaft ohne Mathematik ist fast ein
Widerspruch in sich selbst. Wie will man die Anordnungen und
Einrichtungen im Raume verstehen oder gar deren Consequenzen
erwägen, wenn man nicht die allgemeinen Grundsätze und Wahr-
heiten kennt, in die alles räumlich Entworfene sich schicken muss?
Wie will man überhaupt die in der Natur aufeinander wirkenden
Grössen und Mengen in der Art, wie diese sich gegenseitig be-
stimmen, beurtheilen, wenn man überhaupt nicht zu rechnen und
das Rechnen nicht auf Raumverhältnisse und Bewegungen auszu-
dehnen weiss? Will man ein letztinstanzliches Wissen, so ist die
Frage der Unentbehrlichkeit der Mathematik mit jenen wenigen
Hinweisungen entschieden. Nur wer sich mit abgerissenen Er-
zählungen aus dem astronomischen Wissensreich begnügen wollte,
könnte allenfalls ohne eigentliche und specielle Mathematik aus-
kommen. Dieses unreife Verhalten haben wir aber nicht vor Augen, wo

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[87/0096] auf rein factische und äusserliche Berichte hin haben sich in Sachen der Astronomie früher sogar namhafte Denker begnügt, wie John Locke, weil deren Fassungsvermögen zur Capirung der erforderlichen paar mathematischen Verknüpfungen nicht zureichte. Zur Entschuldigung mag hinzugefügt sein, dass die astronomischen Gelehrten, wie im fraglichen Falle Newton, es auch nicht ver- standen, von ihrem Handwerkszeug und von ihren gewohnten Com- plicationen der Darlegung genug wegzulassen, um die Hauptsachen unmittelbar und für den Nichtfachmann verständlich zu machen. Es ging ihnen darin, wie es gemeiniglich den Ausübern der verschieden- artigsten Hantirungen und Künste geht. Diese verstehen ihre Sache wohl zu machen, nicht aber, sich darüber gehörig auszulassen, und zwar gelingt ihnen die Mittheilung am wenigsten, wenn sie nicht in gewohnter Weise mit allem zufälligen Nebenwerk fach- und routine- gemäss einen Lehrling einweihen, sondern ein ausgewähltes Bereich bestimmter Gegenstände vom Fach ablösen sollen. Diese Schwierig- keiten, die in der Gewohnheitsknechtschaft der Gelehrten und in deren Mangel an Abstractionsvermögen ihren Grund haben, dürfen jedoch nicht abschrecken. Sie sind ein sociales, aber nicht in der Natur des Wissens selbst liegendes Hinderniss. Man ent- schliesse sich daher, sich nicht auf dem Kinderstandpunkt fest- bannen zu lassen, und man ziehe das, was Seitens der Gelehrten an Wissen nicht von selber kommt, mit eignen Kräften zu sich heran. Hiefür ist nun aber einige Mathematik als Instrument unentbehrlich. Allgemeine Naturwissenschaft ohne Mathematik ist fast ein Widerspruch in sich selbst. Wie will man die Anordnungen und Einrichtungen im Raume verstehen oder gar deren Consequenzen erwägen, wenn man nicht die allgemeinen Grundsätze und Wahr- heiten kennt, in die alles räumlich Entworfene sich schicken muss? Wie will man überhaupt die in der Natur aufeinander wirkenden Grössen und Mengen in der Art, wie diese sich gegenseitig be- stimmen, beurtheilen, wenn man überhaupt nicht zu rechnen und das Rechnen nicht auf Raumverhältnisse und Bewegungen auszu- dehnen weiss? Will man ein letztinstanzliches Wissen, so ist die Frage der Unentbehrlichkeit der Mathematik mit jenen wenigen Hinweisungen entschieden. Nur wer sich mit abgerissenen Er- zählungen aus dem astronomischen Wissensreich begnügen wollte, könnte allenfalls ohne eigentliche und specielle Mathematik aus- kommen. Dieses unreife Verhalten haben wir aber nicht vor Augen, wo

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/96>, abgerufen am 28.04.2024.