Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747.Gedanken bei einem bebrütetem Ey. Die denn den Nahrungssaft zur Flüßigkeit bewegtDie Röhren offen hält, wodurch derselbe fliesset, Wodurch er sich hernach selbst in die Frucht ergies- set. Die Frucht wächst täglich mehr in ihrem Aufent- halt, Bis daß sie endlich kommt zur völligen Gestalt: Dann bricht die Schal entzwei, und kaum ist sie zerbrochen, So kommt recht wunderbahr, die Frucht hervor ge- krochen, Die ins Gedärme schließt, was von dem Dotter bleibt, Wie uns Malpighius (*) aufs herrlichste be- schreibt. So weislich sorget GOtt auch vor der Thiere Le- ben, Daß er den Küchelein die Nahrung mitgegeben, Damit sie sich zuerst nach der Gebuhrt ernährn, Wenn sie die Welt erblikt, die mehrers kan beschern. Bedenket Menschen doch wie GOtt ein weises Wesen, Es giebt euch dies so gar ein kleines Ey zu lesen! Wie wunderbahr ist nicht der Allmacht Händewerk, Nehmt dies an einem Ey zu euren Augenmerk, Und lernet auch hieran: wer solche wird betrachten Der muß sie herrlich, schön, der muß sie kostbar achten. Lernt seine Vorsehung die auf die Thiere sieht, Die wunderbahr sie schaft, aus ihrem Kerker zieht, Die wird euch nimmermehr so ganz verlassen kön- nen, So lang er Vater ist, wir Kinder sind zu nennen. Ge- (*) Jn dem Buche de formatione pulli in ovo.
Gedanken bei einem bebruͤtetem Ey. Die denn den Nahrungsſaft zur Fluͤßigkeit bewegtDie Roͤhren offen haͤlt, wodurch derſelbe flieſſet, Wodurch er ſich hernach ſelbſt in die Frucht ergieſ- ſet. Die Frucht waͤchſt taͤglich mehr in ihrem Aufent- halt, Bis daß ſie endlich kommt zur voͤlligen Geſtalt: Dann bricht die Schal entzwei, und kaum iſt ſie zerbrochen, So kommt recht wunderbahr, die Frucht hervor ge- krochen, Die ins Gedaͤrme ſchließt, was von dem Dotter bleibt, Wie uns Malpighius (*) aufs herrlichſte be- ſchreibt. So weislich ſorget GOtt auch vor der Thiere Le- ben, Daß er den Kuͤchelein die Nahrung mitgegeben, Damit ſie ſich zuerſt nach der Gebuhrt ernaͤhrn, Wenn ſie die Welt erblikt, die mehrers kan beſchern. Bedenket Menſchen doch wie GOtt ein weiſes Weſen, Es giebt euch dies ſo gar ein kleines Ey zu leſen! Wie wunderbahr iſt nicht der Allmacht Haͤndewerk, Nehmt dies an einem Ey zu euren Augenmerk, Und lernet auch hieran: wer ſolche wird betrachten Der muß ſie herrlich, ſchoͤn, der muß ſie koſtbar achten. Lernt ſeine Vorſehung die auf die Thiere ſieht, Die wunderbahr ſie ſchaft, aus ihrem Kerker zieht, Die wird euch nimmermehr ſo ganz verlaſſen koͤn- nen, So lang er Vater iſt, wir Kinder ſind zu nennen. Ge- (*) Jn dem Buche de formatione pulli in ovo.
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Gedanken bei einem bebruͤtetem Ey.
Die denn den Nahrungsſaft zur Fluͤßigkeit bewegt
Die Roͤhren offen haͤlt, wodurch derſelbe flieſſet,
Wodurch er ſich hernach ſelbſt in die Frucht ergieſ-
ſet.
Die Frucht waͤchſt taͤglich mehr in ihrem Aufent-
halt,
Bis daß ſie endlich kommt zur voͤlligen Geſtalt:
Dann bricht die Schal entzwei, und kaum iſt ſie
zerbrochen,
So kommt recht wunderbahr, die Frucht hervor ge-
krochen,
Die ins Gedaͤrme ſchließt, was von dem Dotter
bleibt,
Wie uns Malpighius (*) aufs herrlichſte be-
ſchreibt.
So weislich ſorget GOtt auch vor der Thiere Le-
ben,
Daß er den Kuͤchelein die Nahrung mitgegeben,
Damit ſie ſich zuerſt nach der Gebuhrt ernaͤhrn,
Wenn ſie die Welt erblikt, die mehrers kan beſchern.
Bedenket Menſchen doch wie GOtt ein weiſes
Weſen,
Es giebt euch dies ſo gar ein kleines Ey zu leſen!
Wie wunderbahr iſt nicht der Allmacht Haͤndewerk,
Nehmt dies an einem Ey zu euren Augenmerk,
Und lernet auch hieran: wer ſolche wird betrachten
Der muß ſie herrlich, ſchoͤn, der muß ſie koſtbar
achten.
Lernt ſeine Vorſehung die auf die Thiere ſieht,
Die wunderbahr ſie ſchaft, aus ihrem Kerker zieht,
Die wird euch nimmermehr ſo ganz verlaſſen koͤn-
nen,
So lang er Vater iſt, wir Kinder ſind zu nennen.
Ge-
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