Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

"Was hattest Du verbrochen?"

"Nichts!"

"So beschuldigte man Dich mit Unrecht eines Ver-
gehens?"

"Ja."

"Wer war der Urheber Deines Unglücks?"

"Du!"

Krösus fuhr von seinem Sitze auf. Der ernste Ton
und das finstere Gesicht des Spartaners verboten jeden
Gedanken an einen Scherz. Auch die Tischnachbarn der
Beiden, welche dem seltsamen Gespräche gefolgt waren,
erschraken und baten Aristomachos um eine Erklärung
seiner seltsamen Aussage.

Der Spartaner zauderte. Man sah ihm an, daß er
ungern reden möge; endlich aber, als ihn auch der König
zu erzählen aufforderte, begann er:

"Du, Krösus, hattest, dem Orakel folgend 133), uns
Lakedämonier, als die mächtigsten der Hellenen, zu Bun-
desgenossen gegen die Macht der Perser erwählt, und uns
das Gold zu der Apollo Herme auf dem Berge Thornax
geschenkt. Die Ephoren beschlossen daher, Dir dafür ein
riesengroßes, kunstreiches Mischgefäß von Erz zu verehren.
Als Ueberbringer desselben erwählte man mich. Bevor
wir nach Sardes kamen, zerstörte ein Sturm unser Schiff.
Der Mischkrug versank mit ihm. Wir retteten uns mit
dem nackten Leben nach Samos. Als wir heimkehrten,
ward ich von Feinden und Neidern beschuldigt, Schiff und
Mischkrug an samische Händler verkauft zu haben. Weil
man mich nicht überführen konnte und dennoch verderben
wollte, ward ich verurtheilt, zwei Tage und zwei Nächte
lang am Pranger zu stehen. Man schmiedete in der Nacht
meinen Fuß an den Schandblock. Bevor der Morgen

„Was hatteſt Du verbrochen?“

„Nichts!“

„So beſchuldigte man Dich mit Unrecht eines Ver-
gehens?“

„Ja.“

„Wer war der Urheber Deines Unglücks?“

„Du!“

Kröſus fuhr von ſeinem Sitze auf. Der ernſte Ton
und das finſtere Geſicht des Spartaners verboten jeden
Gedanken an einen Scherz. Auch die Tiſchnachbarn der
Beiden, welche dem ſeltſamen Geſpräche gefolgt waren,
erſchraken und baten Ariſtomachos um eine Erklärung
ſeiner ſeltſamen Ausſage.

Der Spartaner zauderte. Man ſah ihm an, daß er
ungern reden möge; endlich aber, als ihn auch der König
zu erzählen aufforderte, begann er:

„Du, Kröſus, hatteſt, dem Orakel folgend 133), uns
Lakedämonier, als die mächtigſten der Hellenen, zu Bun-
desgenoſſen gegen die Macht der Perſer erwählt, und uns
das Gold zu der Apollo Herme auf dem Berge Thornax
geſchenkt. Die Ephoren beſchloſſen daher, Dir dafür ein
rieſengroßes, kunſtreiches Miſchgefäß von Erz zu verehren.
Als Ueberbringer deſſelben erwählte man mich. Bevor
wir nach Sardes kamen, zerſtörte ein Sturm unſer Schiff.
Der Miſchkrug verſank mit ihm. Wir retteten uns mit
dem nackten Leben nach Samos. Als wir heimkehrten,
ward ich von Feinden und Neidern beſchuldigt, Schiff und
Miſchkrug an ſamiſche Händler verkauft zu haben. Weil
man mich nicht überführen konnte und dennoch verderben
wollte, ward ich verurtheilt, zwei Tage und zwei Nächte
lang am Pranger zu ſtehen. Man ſchmiedete in der Nacht
meinen Fuß an den Schandblock. Bevor der Morgen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0100" n="82"/>
        <p>&#x201E;Was hatte&#x017F;t Du verbrochen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nichts!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;So be&#x017F;chuldigte man Dich mit Unrecht eines Ver-<lb/>
gehens?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer war der Urheber Deines Unglücks?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Krö&#x017F;us fuhr von &#x017F;einem Sitze auf. Der ern&#x017F;te Ton<lb/>
und das fin&#x017F;tere Ge&#x017F;icht des Spartaners verboten jeden<lb/>
Gedanken an einen Scherz. Auch die Ti&#x017F;chnachbarn der<lb/>
Beiden, welche dem &#x017F;elt&#x017F;amen Ge&#x017F;präche gefolgt waren,<lb/>
er&#x017F;chraken und baten Ari&#x017F;tomachos um eine Erklärung<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;elt&#x017F;amen Aus&#x017F;age.</p><lb/>
        <p>Der Spartaner zauderte. Man &#x017F;ah ihm an, daß er<lb/>
ungern reden möge; endlich aber, als ihn auch der König<lb/>
zu erzählen aufforderte, begann er:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du, Krö&#x017F;us, hatte&#x017F;t, dem Orakel folgend <hi rendition="#sup">133</hi>), uns<lb/>
Lakedämonier, als die mächtig&#x017F;ten der Hellenen, zu Bun-<lb/>
desgeno&#x017F;&#x017F;en gegen die Macht der Per&#x017F;er erwählt, und uns<lb/>
das Gold zu der Apollo Herme auf dem Berge Thornax<lb/>
ge&#x017F;chenkt. Die Ephoren be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en daher, Dir dafür ein<lb/>
rie&#x017F;engroßes, kun&#x017F;treiches Mi&#x017F;chgefäß von Erz zu verehren.<lb/>
Als Ueberbringer de&#x017F;&#x017F;elben erwählte man mich. Bevor<lb/>
wir nach Sardes kamen, zer&#x017F;törte ein Sturm un&#x017F;er Schiff.<lb/>
Der Mi&#x017F;chkrug ver&#x017F;ank mit ihm. Wir retteten uns mit<lb/>
dem nackten Leben nach Samos. Als wir heimkehrten,<lb/>
ward ich von Feinden und Neidern be&#x017F;chuldigt, Schiff und<lb/>
Mi&#x017F;chkrug an &#x017F;ami&#x017F;che Händler verkauft zu haben. Weil<lb/>
man mich nicht überführen konnte und dennoch verderben<lb/>
wollte, ward ich verurtheilt, zwei Tage und zwei Nächte<lb/>
lang am Pranger zu &#x017F;tehen. Man &#x017F;chmiedete in der Nacht<lb/>
meinen Fuß an den Schandblock. Bevor der Morgen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0100] „Was hatteſt Du verbrochen?“ „Nichts!“ „So beſchuldigte man Dich mit Unrecht eines Ver- gehens?“ „Ja.“ „Wer war der Urheber Deines Unglücks?“ „Du!“ Kröſus fuhr von ſeinem Sitze auf. Der ernſte Ton und das finſtere Geſicht des Spartaners verboten jeden Gedanken an einen Scherz. Auch die Tiſchnachbarn der Beiden, welche dem ſeltſamen Geſpräche gefolgt waren, erſchraken und baten Ariſtomachos um eine Erklärung ſeiner ſeltſamen Ausſage. Der Spartaner zauderte. Man ſah ihm an, daß er ungern reden möge; endlich aber, als ihn auch der König zu erzählen aufforderte, begann er: „Du, Kröſus, hatteſt, dem Orakel folgend 133), uns Lakedämonier, als die mächtigſten der Hellenen, zu Bun- desgenoſſen gegen die Macht der Perſer erwählt, und uns das Gold zu der Apollo Herme auf dem Berge Thornax geſchenkt. Die Ephoren beſchloſſen daher, Dir dafür ein rieſengroßes, kunſtreiches Miſchgefäß von Erz zu verehren. Als Ueberbringer deſſelben erwählte man mich. Bevor wir nach Sardes kamen, zerſtörte ein Sturm unſer Schiff. Der Miſchkrug verſank mit ihm. Wir retteten uns mit dem nackten Leben nach Samos. Als wir heimkehrten, ward ich von Feinden und Neidern beſchuldigt, Schiff und Miſchkrug an ſamiſche Händler verkauft zu haben. Weil man mich nicht überführen konnte und dennoch verderben wollte, ward ich verurtheilt, zwei Tage und zwei Nächte lang am Pranger zu ſtehen. Man ſchmiedete in der Nacht meinen Fuß an den Schandblock. Bevor der Morgen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/100
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/100>, abgerufen am 28.11.2024.