Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864."Wir trugen," fuhr Phanes sich tief verneigend "Der verwundete Jüngling schien denjenigen, für wel- „Wir trugen,“ fuhr Phanes ſich tief verneigend „Der verwundete Jüngling ſchien denjenigen, für wel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0216" n="214"/> <p>„Wir trugen,“ fuhr Phanes ſich tief verneigend<lb/> fort, „den lebloſen Jüngling in meinen Wagen und brachten<lb/> ihn zum nahe gelegnen Stationshauſe. Dort ſchlug er die<lb/> Augen auf und fragte, mich ängſtlich anſchauend, wer ich<lb/> ſei, und wo er ſich befinde? Der Wirth des Stationshauſes<lb/> ſtand neben uns; darum mußte ich, um den Freipaß, durch<lb/> den ich neue Pferde bekam, nicht Lügen zu ſtrafen, und<lb/> keinen Verdacht in dem Manne aufkommen zu laſſen, mich<lb/> für Gyges, den Sohn des Kröſus, ausgeben.</p><lb/> <p>„Der verwundete Jüngling ſchien denjenigen, für wel-<lb/> chen ich gehalten zu werden wünſchte, zu kennen, denn er<lb/> ſchüttelte bei meinen Worten das Haupt und murmelte:<lb/> „Du biſt nicht der, für den Du Dich ausgibſt.“ Dann<lb/> ſchloß er abermals die Augen und verfiel in ein heftiges<lb/> Fieber. — Nun entkleideten wir ihn, öffneten ihm eine<lb/> Ader und verbanden ſeine Wunden. Mein perſiſcher<lb/> Diener, der Bartja am Hofe des Amaſis, woſelbſt er als<lb/> Stallaufſeher gedient, geſehen hatte, leiſtete, unterſtützt von<lb/> dem ägyptiſchen Greiſe, der mich begleitet, hülfreiche Hand<lb/> und wurde nicht müde zu betheuern, der Verwundete ſei<lb/> Niemand anders, als Dein hoher Bruder. — Auch der<lb/> Wirth des Stationshauſes ſchwur, als wir das Angeſicht<lb/> des Jünglings vom Blute gereinigt hatten, der Ueber-<lb/> fallene ſei ohne jeden Zweifel der jüngere Sohn Deines<lb/> großen Vaters. Jndeſſen war mein ägyptiſcher Begleiter<lb/> hinausgegangen und hatte aus der Reiſeapotheke <hi rendition="#sup">118</hi>), ohne<lb/> die ein Aegypter nur ungern ſeine Heimat verläßt, ein<lb/> Tränkchen geholt, das er dem Kranken reichte. Die Tro-<lb/> pfen wirkten ſo wunderbar, daß ſich das fiebernde Blut<lb/> in wenigen Stunden beruhigte, und der Jüngling, als die<lb/> Sonne aufging, wiederum die Augen öffnete. Nun ver-<lb/> neigten wir uns vor ihm, als vor Deinem Bruder, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [214/0216]
„Wir trugen,“ fuhr Phanes ſich tief verneigend
fort, „den lebloſen Jüngling in meinen Wagen und brachten
ihn zum nahe gelegnen Stationshauſe. Dort ſchlug er die
Augen auf und fragte, mich ängſtlich anſchauend, wer ich
ſei, und wo er ſich befinde? Der Wirth des Stationshauſes
ſtand neben uns; darum mußte ich, um den Freipaß, durch
den ich neue Pferde bekam, nicht Lügen zu ſtrafen, und
keinen Verdacht in dem Manne aufkommen zu laſſen, mich
für Gyges, den Sohn des Kröſus, ausgeben.
„Der verwundete Jüngling ſchien denjenigen, für wel-
chen ich gehalten zu werden wünſchte, zu kennen, denn er
ſchüttelte bei meinen Worten das Haupt und murmelte:
„Du biſt nicht der, für den Du Dich ausgibſt.“ Dann
ſchloß er abermals die Augen und verfiel in ein heftiges
Fieber. — Nun entkleideten wir ihn, öffneten ihm eine
Ader und verbanden ſeine Wunden. Mein perſiſcher
Diener, der Bartja am Hofe des Amaſis, woſelbſt er als
Stallaufſeher gedient, geſehen hatte, leiſtete, unterſtützt von
dem ägyptiſchen Greiſe, der mich begleitet, hülfreiche Hand
und wurde nicht müde zu betheuern, der Verwundete ſei
Niemand anders, als Dein hoher Bruder. — Auch der
Wirth des Stationshauſes ſchwur, als wir das Angeſicht
des Jünglings vom Blute gereinigt hatten, der Ueber-
fallene ſei ohne jeden Zweifel der jüngere Sohn Deines
großen Vaters. Jndeſſen war mein ägyptiſcher Begleiter
hinausgegangen und hatte aus der Reiſeapotheke 118), ohne
die ein Aegypter nur ungern ſeine Heimat verläßt, ein
Tränkchen geholt, das er dem Kranken reichte. Die Tro-
pfen wirkten ſo wunderbar, daß ſich das fiebernde Blut
in wenigen Stunden beruhigte, und der Jüngling, als die
Sonne aufging, wiederum die Augen öffnete. Nun ver-
neigten wir uns vor ihm, als vor Deinem Bruder, und
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