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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Aegypten begnügen, während eine Niederlage der Perser
auch den geknechteten Joniern die Freiheit bringen kann.
Jch wußte, daß Du mir zustimmen würdest, Neithoteph,
denn im Grunde meinst Du es gut mit Aegypten. Jetzt
bitte ich Dich, mir die heiligen Gebete vorzulesen. Jch
fühle mich sehr erschöpft; bald ist's vorbei! Könnte ich nur
der armen Nitetis vergessen! Mögen sich die Todtenrichter
und Osiris unserer Seelen erbarmen! -- Setze Dich hier-
her, Ladike, und lege die Hand auf meine heiße Stirn';
Du aber, Psamtik, schwöre in Gegenwart dieser Zeugen,
daß Du Deine Stiefmutter hochhalten und ehren willst,
als wärest Du ihr eigenes Kind. Armes Weib! Du soll-
test mich bald aufsuchen bei Osiris. Was willst Du noch
ohne Gatten und Kinder auf dieser Erde? Wir haben
Nitetis wie unsre eigne Tochter auferzogen, und dennoch
werden wir um ihretwillen so schwer bestraft. Aber ihr
Fluch trifft uns allein; nicht Dich, Psamtik, nicht Deine
Kinder! Bringt mir jetzt meinen Enkel! Jch glaube wahr-
haftig, daß das eine Thräne war. Nun, man pflegt sich
gewöhnlich von kleinen Dingen, an die man sich gewöhnt
hat, am schwersten zu trennen!"



Ein neuer Gast war am selben Abend bei Rhodopis
eingetroffen; Kallias, der Sohn des Phaenippos *), den
wir bereits als Erzähler des Verlaufs der olympischen
Spiele kennen gelernt haben.

Der muntere Athener kam soeben aus seiner Heimat
zurück und war, als alter, bewährter Freund, mit Freuden

*) Siehe I. Theil Anmerk. 63 u. 69.

Aegypten begnügen, während eine Niederlage der Perſer
auch den geknechteten Joniern die Freiheit bringen kann.
Jch wußte, daß Du mir zuſtimmen würdeſt, Neithoteph,
denn im Grunde meinſt Du es gut mit Aegypten. Jetzt
bitte ich Dich, mir die heiligen Gebete vorzuleſen. Jch
fühle mich ſehr erſchöpft; bald iſt’s vorbei! Könnte ich nur
der armen Nitetis vergeſſen! Mögen ſich die Todtenrichter
und Oſiris unſerer Seelen erbarmen! — Setze Dich hier-
her, Ladike, und lege die Hand auf meine heiße Stirn’;
Du aber, Pſamtik, ſchwöre in Gegenwart dieſer Zeugen,
daß Du Deine Stiefmutter hochhalten und ehren willſt,
als wäreſt Du ihr eigenes Kind. Armes Weib! Du ſoll-
teſt mich bald aufſuchen bei Oſiris. Was willſt Du noch
ohne Gatten und Kinder auf dieſer Erde? Wir haben
Nitetis wie unſre eigne Tochter auferzogen, und dennoch
werden wir um ihretwillen ſo ſchwer beſtraft. Aber ihr
Fluch trifft uns allein; nicht Dich, Pſamtik, nicht Deine
Kinder! Bringt mir jetzt meinen Enkel! Jch glaube wahr-
haftig, daß das eine Thräne war. Nun, man pflegt ſich
gewöhnlich von kleinen Dingen, an die man ſich gewöhnt
hat, am ſchwerſten zu trennen!“



Ein neuer Gaſt war am ſelben Abend bei Rhodopis
eingetroffen; Kallias, der Sohn des Phaenippos *), den
wir bereits als Erzähler des Verlaufs der olympiſchen
Spiele kennen gelernt haben.

Der muntere Athener kam ſoeben aus ſeiner Heimat
zurück und war, als alter, bewährter Freund, mit Freuden

*) Siehe I. Theil Anmerk. 63 u. 69.
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[127/0137] Aegypten begnügen, während eine Niederlage der Perſer auch den geknechteten Joniern die Freiheit bringen kann. Jch wußte, daß Du mir zuſtimmen würdeſt, Neithoteph, denn im Grunde meinſt Du es gut mit Aegypten. Jetzt bitte ich Dich, mir die heiligen Gebete vorzuleſen. Jch fühle mich ſehr erſchöpft; bald iſt’s vorbei! Könnte ich nur der armen Nitetis vergeſſen! Mögen ſich die Todtenrichter und Oſiris unſerer Seelen erbarmen! — Setze Dich hier- her, Ladike, und lege die Hand auf meine heiße Stirn’; Du aber, Pſamtik, ſchwöre in Gegenwart dieſer Zeugen, daß Du Deine Stiefmutter hochhalten und ehren willſt, als wäreſt Du ihr eigenes Kind. Armes Weib! Du ſoll- teſt mich bald aufſuchen bei Oſiris. Was willſt Du noch ohne Gatten und Kinder auf dieſer Erde? Wir haben Nitetis wie unſre eigne Tochter auferzogen, und dennoch werden wir um ihretwillen ſo ſchwer beſtraft. Aber ihr Fluch trifft uns allein; nicht Dich, Pſamtik, nicht Deine Kinder! Bringt mir jetzt meinen Enkel! Jch glaube wahr- haftig, daß das eine Thräne war. Nun, man pflegt ſich gewöhnlich von kleinen Dingen, an die man ſich gewöhnt hat, am ſchwerſten zu trennen!“ Ein neuer Gaſt war am ſelben Abend bei Rhodopis eingetroffen; Kallias, der Sohn des Phaenippos *), den wir bereits als Erzähler des Verlaufs der olympiſchen Spiele kennen gelernt haben. Der muntere Athener kam ſoeben aus ſeiner Heimat zurück und war, als alter, bewährter Freund, mit Freuden *) Siehe I. Theil Anmerk. 63 u. 69.

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/137>, abgerufen am 27.11.2024.