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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

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Töchterlein seines Freundes nicht ohne Säumen freilassen
und eine genügende Auskunft über das Ende des verschwun-
denen Knaben geben würde. Der Thronerbe versprach, sich
die Sache zu überlegen. Als der Spartaner zwei Tage
später eine nächtliche Nilfahrt nach Memphis unternahm,
wurde er von äthiopischen Kriegern angegriffen, überwäl-
tigt und mit geknebelten Gliedern in den finstern Raum
eines Fahrzeugs geworfen, welches, nach einer Reise von
vielen Tagen und Nächten, an einem ihm unbekannten
Ufer die Anker auswarf. Nun befreite man den Ge-
fangenen aus seinem Kerker und führte ihn, bei glühen-
der Hitze, durch wunderbar gestaltete dichte Wälder, in
denen seltsame Thiere hausten. Endlich kam er zu einem
Gebirge, an dessen Fuß zahlreiche Hütten gebaut waren,
in denen viele Menschen wohnten, die, mit Ketten an den
Füßen, alle Morgen in den Schacht eines Bergwerks ge-
trieben wurden, um dort Goldkörner aus dem harten Ge-
fels zu hacken 101). Manche der unglücklichen Gruben-
arbeiter verweilten schon länger als vierzig Jahre an
dieser Stätte des Elends; die meisten derselben verfielen
aber durch die ungeheure Anstrengung, welche man ihnen
auferlegte, und die entsetzliche Hitze, die ihnen, sobald sie
den kühlen Schacht verließen, entgegenstrahlte, einem früh-
zeitigen Tode.

"Meine Genossen," so erzählte Aristomachos, "waren
theils zum Tode verurtheilte und begnadigte Mörder,
theils ihrer Zunge beraubte Staatsverräther, theils dem
Könige gefährliche und von demselben gefürchtete Menschen,
wie ich. Drei Monate arbeitete ich mit diesem Gesindel,
von dem Stock der Vögte geschlagen, verschmachtend in
der Hitze des Mittags, erstarrend, wenn der kalte Thau
der Nächte auf meine nackten Glieder herniederfiel, dem

Töchterlein ſeines Freundes nicht ohne Säumen freilaſſen
und eine genügende Auskunft über das Ende des verſchwun-
denen Knaben geben würde. Der Thronerbe verſprach, ſich
die Sache zu überlegen. Als der Spartaner zwei Tage
ſpäter eine nächtliche Nilfahrt nach Memphis unternahm,
wurde er von äthiopiſchen Kriegern angegriffen, überwäl-
tigt und mit geknebelten Gliedern in den finſtern Raum
eines Fahrzeugs geworfen, welches, nach einer Reiſe von
vielen Tagen und Nächten, an einem ihm unbekannten
Ufer die Anker auswarf. Nun befreite man den Ge-
fangenen aus ſeinem Kerker und führte ihn, bei glühen-
der Hitze, durch wunderbar geſtaltete dichte Wälder, in
denen ſeltſame Thiere hausten. Endlich kam er zu einem
Gebirge, an deſſen Fuß zahlreiche Hütten gebaut waren,
in denen viele Menſchen wohnten, die, mit Ketten an den
Füßen, alle Morgen in den Schacht eines Bergwerks ge-
trieben wurden, um dort Goldkörner aus dem harten Ge-
fels zu hacken 101). Manche der unglücklichen Gruben-
arbeiter verweilten ſchon länger als vierzig Jahre an
dieſer Stätte des Elends; die meiſten derſelben verfielen
aber durch die ungeheure Anſtrengung, welche man ihnen
auferlegte, und die entſetzliche Hitze, die ihnen, ſobald ſie
den kühlen Schacht verließen, entgegenſtrahlte, einem früh-
zeitigen Tode.

„Meine Genoſſen,“ ſo erzählte Ariſtomachos, „waren
theils zum Tode verurtheilte und begnadigte Mörder,
theils ihrer Zunge beraubte Staatsverräther, theils dem
Könige gefährliche und von demſelben gefürchtete Menſchen,
wie ich. Drei Monate arbeitete ich mit dieſem Geſindel,
von dem Stock der Vögte geſchlagen, verſchmachtend in
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[149/0159] Töchterlein ſeines Freundes nicht ohne Säumen freilaſſen und eine genügende Auskunft über das Ende des verſchwun- denen Knaben geben würde. Der Thronerbe verſprach, ſich die Sache zu überlegen. Als der Spartaner zwei Tage ſpäter eine nächtliche Nilfahrt nach Memphis unternahm, wurde er von äthiopiſchen Kriegern angegriffen, überwäl- tigt und mit geknebelten Gliedern in den finſtern Raum eines Fahrzeugs geworfen, welches, nach einer Reiſe von vielen Tagen und Nächten, an einem ihm unbekannten Ufer die Anker auswarf. Nun befreite man den Ge- fangenen aus ſeinem Kerker und führte ihn, bei glühen- der Hitze, durch wunderbar geſtaltete dichte Wälder, in denen ſeltſame Thiere hausten. Endlich kam er zu einem Gebirge, an deſſen Fuß zahlreiche Hütten gebaut waren, in denen viele Menſchen wohnten, die, mit Ketten an den Füßen, alle Morgen in den Schacht eines Bergwerks ge- trieben wurden, um dort Goldkörner aus dem harten Ge- fels zu hacken 101). Manche der unglücklichen Gruben- arbeiter verweilten ſchon länger als vierzig Jahre an dieſer Stätte des Elends; die meiſten derſelben verfielen aber durch die ungeheure Anſtrengung, welche man ihnen auferlegte, und die entſetzliche Hitze, die ihnen, ſobald ſie den kühlen Schacht verließen, entgegenſtrahlte, einem früh- zeitigen Tode. „Meine Genoſſen,“ ſo erzählte Ariſtomachos, „waren theils zum Tode verurtheilte und begnadigte Mörder, theils ihrer Zunge beraubte Staatsverräther, theils dem Könige gefährliche und von demſelben gefürchtete Menſchen, wie ich. Drei Monate arbeitete ich mit dieſem Geſindel, von dem Stock der Vögte geſchlagen, verſchmachtend in der Hitze des Mittags, erſtarrend, wenn der kalte Thau der Nächte auf meine nackten Glieder herniederfiel, dem

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/159>, abgerufen am 29.11.2024.