"Jetzt erfüllt sich, was mir der Gott verhieß. Jetzt darf, jetzt will ich heimkehren; erst aber heb' ich die Hand empor und bitte Dike, die ewigwaltende Gerechtigkeit, daß sie mir die Wonne der Rache nicht versagen möge!"
"Morgen graut der Tag der Vergeltung!" rief Pha- nes in das Gebet des Alten einstimmend. "Morgen schlacht' ich meinem Sohne die Todtenopfer und gehe nicht eher zur Ruhe, bis Kambyses mit den von mir geschnitzten Pfeilen das Herz von Aegypten getroffen hat! -- Komm' jetzt, mein Freund, und laß Dich zum Könige führen. Ein Mann wie Du schlägt einen ganzen Haufen ägypti- scher Schleuderer in die Flucht!"
Die Nacht war hereingebrochen, und die persischen Soldaten standen, da ihr unbefestigtes Lager einen Ueber- fall der Feinde befürchten lassen mußte, in Reih' und Glied auf den ihnen angewiesenen Posten. Die Jnfante- risten lehnten sich an ihre Schilder und Speere, während die Reiter ihre gesattelten und gezäumten Pferde bei den Wachtfeuern hielten. Kambyses ritt an den Schlachtreihen vorüber und begeisterte durch seinen Gruß und Anblick die Schaaren der Streiter 102). Nur das Centrum des Heeres hatte sich noch nicht aufgestellt, denn dieses bestand aus den persischen Leibwachen, den Apfelträgern, Unsterblichen und Verwandten des Königs, welche sich erst zugleich mit demselben den Feinden entgegenzustellen pflegten.
Außerdem waren die kleinasiatischen Griechen auf Befehl des Phanes, statt in die Reihen zu treten, zur Ruhe gegangen. Der Athener wünschte seine Streiter frisch zu erhalten und ließ sie, wenn auch in voller Rü- stung, ruhig schlafen, während er selbst für dieselben
„Jetzt erfüllt ſich, was mir der Gott verhieß. Jetzt darf, jetzt will ich heimkehren; erſt aber heb’ ich die Hand empor und bitte Dike, die ewigwaltende Gerechtigkeit, daß ſie mir die Wonne der Rache nicht verſagen möge!“
„Morgen graut der Tag der Vergeltung!“ rief Pha- nes in das Gebet des Alten einſtimmend. „Morgen ſchlacht’ ich meinem Sohne die Todtenopfer und gehe nicht eher zur Ruhe, bis Kambyſes mit den von mir geſchnitzten Pfeilen das Herz von Aegypten getroffen hat! — Komm’ jetzt, mein Freund, und laß Dich zum Könige führen. Ein Mann wie Du ſchlägt einen ganzen Haufen ägypti- ſcher Schleuderer in die Flucht!“
Die Nacht war hereingebrochen, und die perſiſchen Soldaten ſtanden, da ihr unbefeſtigtes Lager einen Ueber- fall der Feinde befürchten laſſen mußte, in Reih’ und Glied auf den ihnen angewieſenen Poſten. Die Jnfante- riſten lehnten ſich an ihre Schilder und Speere, während die Reiter ihre geſattelten und gezäumten Pferde bei den Wachtfeuern hielten. Kambyſes ritt an den Schlachtreihen vorüber und begeiſterte durch ſeinen Gruß und Anblick die Schaaren der Streiter 102). Nur das Centrum des Heeres hatte ſich noch nicht aufgeſtellt, denn dieſes beſtand aus den perſiſchen Leibwachen, den Apfelträgern, Unſterblichen und Verwandten des Königs, welche ſich erſt zugleich mit demſelben den Feinden entgegenzuſtellen pflegten.
Außerdem waren die kleinaſiatiſchen Griechen auf Befehl des Phanes, ſtatt in die Reihen zu treten, zur Ruhe gegangen. Der Athener wünſchte ſeine Streiter friſch zu erhalten und ließ ſie, wenn auch in voller Rü- ſtung, ruhig ſchlafen, während er ſelbſt für dieſelben
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0162"n="152"/><p>„Jetzt erfüllt ſich, was mir der Gott verhieß. Jetzt<lb/>
darf, jetzt will ich heimkehren; erſt aber heb’ ich die Hand<lb/>
empor und bitte Dike, die ewigwaltende Gerechtigkeit, daß<lb/>ſie mir die Wonne der Rache nicht verſagen möge!“</p><lb/><p>„Morgen graut der Tag der Vergeltung!“ rief Pha-<lb/>
nes in das Gebet des Alten einſtimmend. „Morgen<lb/>ſchlacht’ ich meinem Sohne die Todtenopfer und gehe nicht<lb/>
eher zur Ruhe, bis Kambyſes mit den von mir geſchnitzten<lb/>
Pfeilen das Herz von Aegypten getroffen hat! — Komm’<lb/>
jetzt, mein Freund, und laß Dich zum Könige führen.<lb/>
Ein Mann wie Du ſchlägt einen ganzen Haufen ägypti-<lb/>ſcher Schleuderer in die Flucht!“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Die Nacht war hereingebrochen, und die perſiſchen<lb/>
Soldaten ſtanden, da ihr unbefeſtigtes Lager einen Ueber-<lb/>
fall der Feinde befürchten laſſen mußte, in Reih’ und<lb/>
Glied auf den ihnen angewieſenen Poſten. Die Jnfante-<lb/>
riſten lehnten ſich an ihre Schilder und Speere, während<lb/>
die Reiter ihre geſattelten und gezäumten Pferde bei den<lb/>
Wachtfeuern hielten. Kambyſes ritt an den Schlachtreihen<lb/>
vorüber und begeiſterte durch ſeinen Gruß und Anblick die<lb/>
Schaaren der Streiter <hirendition="#sup">102</hi>). Nur das Centrum des Heeres<lb/>
hatte ſich noch nicht aufgeſtellt, denn dieſes beſtand aus<lb/>
den perſiſchen Leibwachen, den Apfelträgern, Unſterblichen<lb/>
und Verwandten des Königs, welche ſich erſt zugleich mit<lb/>
demſelben den Feinden entgegenzuſtellen pflegten.</p><lb/><p>Außerdem waren die kleinaſiatiſchen Griechen auf<lb/>
Befehl des Phanes, ſtatt in die Reihen zu treten, zur<lb/>
Ruhe gegangen. Der Athener wünſchte ſeine Streiter<lb/>
friſch zu erhalten und ließ ſie, wenn auch in voller Rü-<lb/>ſtung, ruhig ſchlafen, während er ſelbſt für dieſelben<lb/></p></div></body></text></TEI>
[152/0162]
„Jetzt erfüllt ſich, was mir der Gott verhieß. Jetzt
darf, jetzt will ich heimkehren; erſt aber heb’ ich die Hand
empor und bitte Dike, die ewigwaltende Gerechtigkeit, daß
ſie mir die Wonne der Rache nicht verſagen möge!“
„Morgen graut der Tag der Vergeltung!“ rief Pha-
nes in das Gebet des Alten einſtimmend. „Morgen
ſchlacht’ ich meinem Sohne die Todtenopfer und gehe nicht
eher zur Ruhe, bis Kambyſes mit den von mir geſchnitzten
Pfeilen das Herz von Aegypten getroffen hat! — Komm’
jetzt, mein Freund, und laß Dich zum Könige führen.
Ein Mann wie Du ſchlägt einen ganzen Haufen ägypti-
ſcher Schleuderer in die Flucht!“
Die Nacht war hereingebrochen, und die perſiſchen
Soldaten ſtanden, da ihr unbefeſtigtes Lager einen Ueber-
fall der Feinde befürchten laſſen mußte, in Reih’ und
Glied auf den ihnen angewieſenen Poſten. Die Jnfante-
riſten lehnten ſich an ihre Schilder und Speere, während
die Reiter ihre geſattelten und gezäumten Pferde bei den
Wachtfeuern hielten. Kambyſes ritt an den Schlachtreihen
vorüber und begeiſterte durch ſeinen Gruß und Anblick die
Schaaren der Streiter 102). Nur das Centrum des Heeres
hatte ſich noch nicht aufgeſtellt, denn dieſes beſtand aus
den perſiſchen Leibwachen, den Apfelträgern, Unſterblichen
und Verwandten des Königs, welche ſich erſt zugleich mit
demſelben den Feinden entgegenzuſtellen pflegten.
Außerdem waren die kleinaſiatiſchen Griechen auf
Befehl des Phanes, ſtatt in die Reihen zu treten, zur
Ruhe gegangen. Der Athener wünſchte ſeine Streiter
friſch zu erhalten und ließ ſie, wenn auch in voller Rü-
ſtung, ruhig ſchlafen, während er ſelbſt für dieſelben
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/162>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.