Wenn ich aber die reiche Fülle seiner Äuße¬ rungen bedenke, die während eines Zeitraumes von neun Jahren mich beglückten, und nun das We¬ nige betrachte, das mir davon schriftlich aufzufassen gelungen ist, so komme ich mir vor wie ein Kind, das den erquicklichen Frühlingsregen in offenen Händen aufzufangen bemüht ist, dem aber das Meiste durch die Finger läuft.
Doch wie man zu sagen pflegt, daß Bücher ihre Schicksale haben, und wie dieses Wort eben sowohl auf ihr Entstehen als auf ihr späteres Hinaustreten in die weite und breite Welt anzu¬ wenden ist, so dürfte es auch von der Entstehung des gegenwärtigen Buches gelten. Monate ver¬ gingen oft wo die Gestirne ungünstig standen, und wo Unbefinden, Geschäfte und mancherley Be¬ mühungen um die tägliche Existenz keine Zeile aufkommen ließen; dann aber traten wieder gün¬ stige Sterne ein und es vereinigten sich Wohlseyn, Muße und Lust zu schreiben, um wieder einen er¬ freulichen Schritt vorwärts zu thun. Und dann, wo tritt bey einem längeren Zusammenleben nicht
Wenn ich aber die reiche Fuͤlle ſeiner Äuße¬ rungen bedenke, die waͤhrend eines Zeitraumes von neun Jahren mich begluͤckten, und nun das We¬ nige betrachte, das mir davon ſchriftlich aufzufaſſen gelungen iſt, ſo komme ich mir vor wie ein Kind, das den erquicklichen Fruͤhlingsregen in offenen Haͤnden aufzufangen bemuͤht iſt, dem aber das Meiſte durch die Finger laͤuft.
Doch wie man zu ſagen pflegt, daß Buͤcher ihre Schickſale haben, und wie dieſes Wort eben ſowohl auf ihr Entſtehen als auf ihr ſpaͤteres Hinaustreten in die weite und breite Welt anzu¬ wenden iſt, ſo duͤrfte es auch von der Entſtehung des gegenwaͤrtigen Buches gelten. Monate ver¬ gingen oft wo die Geſtirne unguͤnſtig ſtanden, und wo Unbefinden, Geſchaͤfte und mancherley Be¬ muͤhungen um die taͤgliche Exiſtenz keine Zeile aufkommen ließen; dann aber traten wieder guͤn¬ ſtige Sterne ein und es vereinigten ſich Wohlſeyn, Muße und Luſt zu ſchreiben, um wieder einen er¬ freulichen Schritt vorwaͤrts zu thun. Und dann, wo tritt bey einem laͤngeren Zuſammenleben nicht
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[VIII/0014]
Wenn ich aber die reiche Fuͤlle ſeiner Äuße¬
rungen bedenke, die waͤhrend eines Zeitraumes von
neun Jahren mich begluͤckten, und nun das We¬
nige betrachte, das mir davon ſchriftlich aufzufaſſen
gelungen iſt, ſo komme ich mir vor wie ein Kind,
das den erquicklichen Fruͤhlingsregen in offenen
Haͤnden aufzufangen bemuͤht iſt, dem aber das
Meiſte durch die Finger laͤuft.
Doch wie man zu ſagen pflegt, daß Buͤcher
ihre Schickſale haben, und wie dieſes Wort eben
ſowohl auf ihr Entſtehen als auf ihr ſpaͤteres
Hinaustreten in die weite und breite Welt anzu¬
wenden iſt, ſo duͤrfte es auch von der Entſtehung
des gegenwaͤrtigen Buches gelten. Monate ver¬
gingen oft wo die Geſtirne unguͤnſtig ſtanden,
und wo Unbefinden, Geſchaͤfte und mancherley Be¬
muͤhungen um die taͤgliche Exiſtenz keine Zeile
aufkommen ließen; dann aber traten wieder guͤn¬
ſtige Sterne ein und es vereinigten ſich Wohlſeyn,
Muße und Luſt zu ſchreiben, um wieder einen er¬
freulichen Schritt vorwaͤrts zu thun. Und dann,
wo tritt bey einem laͤngeren Zuſammenleben nicht
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/14>, abgerufen am 23.11.2024.
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