diesen Tagen, bey Durchsicht unserer Briefe, ist mir al¬ les recht lebendig geworden, und ich kann nicht ohne Verdruß an jene Unternehmungen zurückdenken, wobey die Welt uns mißbrauchte und die für uns selbst ganz ohne Folge waren. Das Talent glaubt freylich, es könne das auch, was es andere Leute thun sieht, allein es ist nicht so und es wird seine Faux-frais bereuen. Was haben wir davon, wenn unsere Haare auf eine Nacht gewickelt sind? -- Wir haben Papier in den Haaren, das ist alles, und am andern Abend sind sie doch wieder schlicht."
"Es kommt darauf an, fuhr Goethe fort, daß Sie sich ein Capital bilden, das nie ausgeht. Dieses wer¬ den Sie erlangen in dem begonnenen Studium der englischen Sprache und Literatur. Halten Sie sich dazu und benutzen Sie die treffliche Gelegenheit der jungen Engländer zu jeder Stunde. Die alten Sprachen sind Ihnen in der Jugend größtentheils entgangen, deßhalb suchen Sie in der Literatur einer so tüchtigen Nation wie die Engländer einen Halt. Zudem ist ja unsere eigene Literatur größtentheils aus der ihrigen hergekom¬ men. Unsere Romane, unsere Trauerspiele, woher ha¬ ben wir sie denn als von Goldsmith, Fielding und Shakspeare? Und noch heut zu Tage, wo wollen Sie denn in Deutschland drey literarische Helden finden, die dem Lord Byron, Moore und Walter Scott an die Seite zu setzen wären? -- Also noch einmal, befestigen
dieſen Tagen, bey Durchſicht unſerer Briefe, iſt mir al¬ les recht lebendig geworden, und ich kann nicht ohne Verdruß an jene Unternehmungen zuruͤckdenken, wobey die Welt uns mißbrauchte und die fuͤr uns ſelbſt ganz ohne Folge waren. Das Talent glaubt freylich, es koͤnne das auch, was es andere Leute thun ſieht, allein es iſt nicht ſo und es wird ſeine Faux-frais bereuen. Was haben wir davon, wenn unſere Haare auf eine Nacht gewickelt ſind? — Wir haben Papier in den Haaren, das iſt alles, und am andern Abend ſind ſie doch wieder ſchlicht.“
„Es kommt darauf an, fuhr Goethe fort, daß Sie ſich ein Capital bilden, das nie ausgeht. Dieſes wer¬ den Sie erlangen in dem begonnenen Studium der engliſchen Sprache und Literatur. Halten Sie ſich dazu und benutzen Sie die treffliche Gelegenheit der jungen Englaͤnder zu jeder Stunde. Die alten Sprachen ſind Ihnen in der Jugend groͤßtentheils entgangen, deßhalb ſuchen Sie in der Literatur einer ſo tuͤchtigen Nation wie die Englaͤnder einen Halt. Zudem iſt ja unſere eigene Literatur groͤßtentheils aus der ihrigen hergekom¬ men. Unſere Romane, unſere Trauerſpiele, woher ha¬ ben wir ſie denn als von Goldſmith, Fielding und Shakſpeare? Und noch heut zu Tage, wo wollen Sie denn in Deutſchland drey literariſche Helden finden, die dem Lord Byron, Moore und Walter Scott an die Seite zu ſetzen waͤren? — Alſo noch einmal, befeſtigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0193"n="173"/>
dieſen Tagen, bey Durchſicht unſerer Briefe, iſt mir al¬<lb/>
les recht lebendig geworden, und ich kann nicht ohne<lb/>
Verdruß an jene Unternehmungen zuruͤckdenken, wobey<lb/>
die Welt uns mißbrauchte und die fuͤr uns ſelbſt ganz<lb/>
ohne Folge waren. Das Talent glaubt freylich, es<lb/>
koͤnne das auch, was es andere Leute thun ſieht, allein<lb/>
es iſt nicht ſo und es wird ſeine <hirendition="#aq">Faux-frais</hi> bereuen.<lb/>
Was haben wir davon, wenn unſere Haare auf eine<lb/>
Nacht gewickelt ſind? — Wir haben Papier in den<lb/>
Haaren, das iſt alles, und am andern Abend ſind ſie<lb/>
doch wieder ſchlicht.“</p><lb/><p>„Es kommt darauf an, fuhr Goethe fort, daß Sie<lb/>ſich ein Capital bilden, das nie ausgeht. Dieſes wer¬<lb/>
den Sie erlangen in dem begonnenen Studium der<lb/>
engliſchen Sprache und Literatur. Halten Sie ſich dazu<lb/>
und benutzen Sie die treffliche Gelegenheit der jungen<lb/>
Englaͤnder zu jeder Stunde. Die alten Sprachen ſind<lb/>
Ihnen in der Jugend groͤßtentheils entgangen, deßhalb<lb/>ſuchen Sie in der Literatur einer ſo tuͤchtigen Nation<lb/>
wie die Englaͤnder einen Halt. Zudem iſt ja unſere<lb/>
eigene Literatur groͤßtentheils aus der ihrigen hergekom¬<lb/>
men. Unſere Romane, unſere Trauerſpiele, woher ha¬<lb/>
ben wir ſie denn als von Goldſmith, Fielding und<lb/>
Shakſpeare? Und noch heut zu Tage, wo wollen Sie<lb/>
denn in Deutſchland drey literariſche Helden finden, die<lb/>
dem Lord Byron, Moore und Walter Scott an die<lb/>
Seite zu ſetzen waͤren? — Alſo noch einmal, befeſtigen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[173/0193]
dieſen Tagen, bey Durchſicht unſerer Briefe, iſt mir al¬
les recht lebendig geworden, und ich kann nicht ohne
Verdruß an jene Unternehmungen zuruͤckdenken, wobey
die Welt uns mißbrauchte und die fuͤr uns ſelbſt ganz
ohne Folge waren. Das Talent glaubt freylich, es
koͤnne das auch, was es andere Leute thun ſieht, allein
es iſt nicht ſo und es wird ſeine Faux-frais bereuen.
Was haben wir davon, wenn unſere Haare auf eine
Nacht gewickelt ſind? — Wir haben Papier in den
Haaren, das iſt alles, und am andern Abend ſind ſie
doch wieder ſchlicht.“
„Es kommt darauf an, fuhr Goethe fort, daß Sie
ſich ein Capital bilden, das nie ausgeht. Dieſes wer¬
den Sie erlangen in dem begonnenen Studium der
engliſchen Sprache und Literatur. Halten Sie ſich dazu
und benutzen Sie die treffliche Gelegenheit der jungen
Englaͤnder zu jeder Stunde. Die alten Sprachen ſind
Ihnen in der Jugend groͤßtentheils entgangen, deßhalb
ſuchen Sie in der Literatur einer ſo tuͤchtigen Nation
wie die Englaͤnder einen Halt. Zudem iſt ja unſere
eigene Literatur groͤßtentheils aus der ihrigen hergekom¬
men. Unſere Romane, unſere Trauerſpiele, woher ha¬
ben wir ſie denn als von Goldſmith, Fielding und
Shakſpeare? Und noch heut zu Tage, wo wollen Sie
denn in Deutſchland drey literariſche Helden finden, die
dem Lord Byron, Moore und Walter Scott an die
Seite zu ſetzen waͤren? — Alſo noch einmal, befeſtigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/193>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.