nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters sich dem Leser mittheilt, sondern auch alles opponirende Wirken geht auf das Negative hinaus, und das Negative ist nichts. Wenn ich das Schlechte schlecht nenne, was ist da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute schlecht, so ist viel geschadet. Wer recht wirken will, muß nie schelten, sich um das Verkehrte gar nicht bekümmern, sondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingerissen, sondern daß etwas aufgebaut werde, woran die Menschheit reine Freude empfinde."
Ich erquickte mich an diesen herrlichen Worten und freute mich der köstlichen Maxime.
"Lord Byron, fuhr Goethe fort, ist zu betrachten: als Mensch, als Engländer und als großes Talent. Seine guten Eigenschaften sind vorzüglich vom Menschen herzu¬ leiten; seine schlimmen, daß er ein Engländer und ein Pär von England war; und sein Talent ist incommensurabel."
"Alle Engländer sind als solche ohne eigentliche Re¬ flexion; die Zerstreuung und der Parteygeist lassen sie zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber sie sind groß als praktische Menschen."
"So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken über sich selbst gelangen; deßwegen auch seine Reflexionen überhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie sein Sym¬ bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiset, weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralysirt."
nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters ſich dem Leſer mittheilt, ſondern auch alles opponirende Wirken geht auf das Negative hinaus, und das Negative iſt nichts. Wenn ich das Schlechte ſchlecht nenne, was iſt da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute ſchlecht, ſo iſt viel geſchadet. Wer recht wirken will, muß nie ſchelten, ſich um das Verkehrte gar nicht bekuͤmmern, ſondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt nicht darauf an, daß eingeriſſen, ſondern daß etwas aufgebaut werde, woran die Menſchheit reine Freude empfinde.“
Ich erquickte mich an dieſen herrlichen Worten und freute mich der koͤſtlichen Maxime.
„Lord Byron, fuhr Goethe fort, iſt zu betrachten: als Menſch, als Englaͤnder und als großes Talent. Seine guten Eigenſchaften ſind vorzuͤglich vom Menſchen herzu¬ leiten; ſeine ſchlimmen, daß er ein Englaͤnder und ein Paͤr von England war; und ſein Talent iſt incommenſurabel.“
„Alle Englaͤnder ſind als ſolche ohne eigentliche Re¬ flexion; die Zerſtreuung und der Parteygeiſt laſſen ſie zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber ſie ſind groß als praktiſche Menſchen.“
„So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken uͤber ſich ſelbſt gelangen; deßwegen auch ſeine Reflexionen uͤberhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie ſein Sym¬ bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiſet, weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralyſirt.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0224"n="204"/>
nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters ſich dem<lb/>
Leſer mittheilt, ſondern auch alles opponirende Wirken<lb/>
geht auf das Negative hinaus, und das Negative iſt<lb/>
nichts. Wenn ich das Schlechte ſchlecht nenne, was iſt<lb/>
da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute ſchlecht,<lb/>ſo iſt viel geſchadet. Wer recht wirken will, muß nie<lb/>ſchelten, ſich um das Verkehrte gar nicht bekuͤmmern,<lb/>ſondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt<lb/>
nicht darauf an, daß eingeriſſen, ſondern daß etwas<lb/>
aufgebaut werde, woran die Menſchheit reine Freude<lb/>
empfinde.“</p><lb/><p>Ich erquickte mich an dieſen herrlichen Worten und<lb/>
freute mich der koͤſtlichen Maxime.</p><lb/><p>„Lord Byron, fuhr Goethe fort, iſt zu betrachten:<lb/>
als Menſch, als Englaͤnder und als großes Talent. Seine<lb/>
guten Eigenſchaften ſind vorzuͤglich vom Menſchen herzu¬<lb/>
leiten; ſeine ſchlimmen, daß er ein Englaͤnder und ein Paͤr<lb/>
von England war; und ſein Talent iſt incommenſurabel.“</p><lb/><p>„Alle Englaͤnder ſind als ſolche ohne eigentliche Re¬<lb/>
flexion; die Zerſtreuung und der Parteygeiſt laſſen ſie<lb/>
zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber ſie ſind<lb/>
groß als praktiſche Menſchen.“</p><lb/><p>„So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken uͤber<lb/>ſich ſelbſt gelangen; deßwegen auch ſeine Reflexionen<lb/>
uͤberhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie ſein Sym¬<lb/>
bolum: <hirendition="#g">viel Geld und keine Obrigkeit</hi>! beweiſet,<lb/>
weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralyſirt.“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[204/0224]
nicht allein, daß das Unbehagen des Dichters ſich dem
Leſer mittheilt, ſondern auch alles opponirende Wirken
geht auf das Negative hinaus, und das Negative iſt
nichts. Wenn ich das Schlechte ſchlecht nenne, was iſt
da viel gewonnen? Nenne ich aber gar das Gute ſchlecht,
ſo iſt viel geſchadet. Wer recht wirken will, muß nie
ſchelten, ſich um das Verkehrte gar nicht bekuͤmmern,
ſondern nur immer das Gute thun. Denn es kommt
nicht darauf an, daß eingeriſſen, ſondern daß etwas
aufgebaut werde, woran die Menſchheit reine Freude
empfinde.“
Ich erquickte mich an dieſen herrlichen Worten und
freute mich der koͤſtlichen Maxime.
„Lord Byron, fuhr Goethe fort, iſt zu betrachten:
als Menſch, als Englaͤnder und als großes Talent. Seine
guten Eigenſchaften ſind vorzuͤglich vom Menſchen herzu¬
leiten; ſeine ſchlimmen, daß er ein Englaͤnder und ein Paͤr
von England war; und ſein Talent iſt incommenſurabel.“
„Alle Englaͤnder ſind als ſolche ohne eigentliche Re¬
flexion; die Zerſtreuung und der Parteygeiſt laſſen ſie
zu keiner ruhigen Ausbildung kommen. Aber ſie ſind
groß als praktiſche Menſchen.“
„So konnte Lord Byron nie zum Nachdenken uͤber
ſich ſelbſt gelangen; deßwegen auch ſeine Reflexionen
uͤberhaupt ihm nicht gelingen wollen, wie ſein Sym¬
bolum: viel Geld und keine Obrigkeit! beweiſet,
weil durchaus vieles Geld die Obrigkeit paralyſirt.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/224>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.