Sein Gruß, wie er durch die Reihen der Menschen ging und mit sehr weniger Verneigung den Finger an den Hut legte, hatte etwas ungemein Freundliches.
Goethe hörte meiner Beschreibung mit sichtbarem Interesse zu. "Da haben Sie einen Helden mehr ge¬ sehen, sagte er, und das will immer etwas heißen."
Wir kamen auf Napoleon und ich bedauerte, daß ich den nicht gesehen. "Freylich, sagte Goethe, das war auch der Mühe werth. -- Dieses Compendium der Welt! --" Er sah wohl nach etwas aus? fragte ich. "Er war es, antwortete Goethe, und man sah ihm an, daß er es war; das war alles."
Ich hatte für Goethe ein sehr merkwürdiges Gedicht mitgebracht, wovon ich ihm einige Abende vorher schon erzählt hatte; ein Gedicht von ihm selbst, dessen er sich jedoch nicht mehr erinnerte, so tief lag es in der Zeit zurück. Zu Anfange des Jahres 1766 in den Sicht¬ baren, einer damals in Frankfurt erschienenen Zeitschrift, abgedruckt, war es durch einen alten Diener Goethe's mit nach Weimar gebracht worden, durch dessen Nach¬ kommen es in meine Hände gelangt war. Ohne Zwei¬ fel das älteste aller von Goethe bekannten Gedichte. Es hatte die Höllenfahrt Christi zum Gegenstand, wobey es mir merkwürdig war, wie dem sehr jungen Verfasser die religiösen Vorstellungsarten so geläufig ge¬ wesen. Der Gesinnung nach konnte das Gedicht von Klopstock herkommen, allein in der Ausführung war es
Sein Gruß, wie er durch die Reihen der Menſchen ging und mit ſehr weniger Verneigung den Finger an den Hut legte, hatte etwas ungemein Freundliches.
Goethe hoͤrte meiner Beſchreibung mit ſichtbarem Intereſſe zu. „Da haben Sie einen Helden mehr ge¬ ſehen, ſagte er, und das will immer etwas heißen.“
Wir kamen auf Napoleon und ich bedauerte, daß ich den nicht geſehen. „Freylich, ſagte Goethe, das war auch der Muͤhe werth. — Dieſes Compendium der Welt! —“ Er ſah wohl nach etwas aus? fragte ich. „Er war es, antwortete Goethe, und man ſah ihm an, daß er es war; das war alles.“
Ich hatte fuͤr Goethe ein ſehr merkwuͤrdiges Gedicht mitgebracht, wovon ich ihm einige Abende vorher ſchon erzaͤhlt hatte; ein Gedicht von ihm ſelbſt, deſſen er ſich jedoch nicht mehr erinnerte, ſo tief lag es in der Zeit zuruͤck. Zu Anfange des Jahres 1766 in den Sicht¬ baren, einer damals in Frankfurt erſchienenen Zeitſchrift, abgedruckt, war es durch einen alten Diener Goethe's mit nach Weimar gebracht worden, durch deſſen Nach¬ kommen es in meine Haͤnde gelangt war. Ohne Zwei¬ fel das aͤlteſte aller von Goethe bekannten Gedichte. Es hatte die Hoͤllenfahrt Chriſti zum Gegenſtand, wobey es mir merkwuͤrdig war, wie dem ſehr jungen Verfaſſer die religioͤſen Vorſtellungsarten ſo gelaͤufig ge¬ weſen. Der Geſinnung nach konnte das Gedicht von Klopſtock herkommen, allein in der Ausfuͤhrung war es
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Sein Gruß, wie er durch die Reihen der Menſchen
ging und mit ſehr weniger Verneigung den Finger an
den Hut legte, hatte etwas ungemein Freundliches.
Goethe hoͤrte meiner Beſchreibung mit ſichtbarem
Intereſſe zu. „Da haben Sie einen Helden mehr ge¬
ſehen, ſagte er, und das will immer etwas heißen.“
Wir kamen auf Napoleon und ich bedauerte, daß
ich den nicht geſehen. „Freylich, ſagte Goethe, das
war auch der Muͤhe werth. — Dieſes Compendium
der Welt! —“ Er ſah wohl nach etwas aus? fragte
ich. „Er war es, antwortete Goethe, und man ſah
ihm an, daß er es war; das war alles.“
Ich hatte fuͤr Goethe ein ſehr merkwuͤrdiges Gedicht
mitgebracht, wovon ich ihm einige Abende vorher ſchon
erzaͤhlt hatte; ein Gedicht von ihm ſelbſt, deſſen er ſich
jedoch nicht mehr erinnerte, ſo tief lag es in der Zeit
zuruͤck. Zu Anfange des Jahres 1766 in den Sicht¬
baren, einer damals in Frankfurt erſchienenen Zeitſchrift,
abgedruckt, war es durch einen alten Diener Goethe's
mit nach Weimar gebracht worden, durch deſſen Nach¬
kommen es in meine Haͤnde gelangt war. Ohne Zwei¬
fel das aͤlteſte aller von Goethe bekannten Gedichte. Es
hatte die Hoͤllenfahrt Chriſti zum Gegenſtand,
wobey es mir merkwuͤrdig war, wie dem ſehr jungen
Verfaſſer die religioͤſen Vorſtellungsarten ſo gelaͤufig ge¬
weſen. Der Geſinnung nach konnte das Gedicht von
Klopſtock herkommen, allein in der Ausfuͤhrung war es
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/265>, abgerufen am 24.11.2024.
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