eigenem Geist und Herzen nichts mehr unterlegen. Wie ist es Ihnen? mir bleibt alles in den Ohren hängen." Ich sagte, daß es mir in diesem Falle nicht besser gehe. "Doch das Allegro, fuhr Goethe fort, hatte Character. Dieses ewige Wirbeln und Drehen führte mir die Hexentänze des Blocksbergs vor Augen und ich fand also doch eine Anschauung, die ich der wunderlichen Musik supponiren konnte."
Nach einer Pause, während welcher man sich unter¬ hielt und einige Erfrischungen nahm, ersuchte Goethe Madame Eberwein um den Vortrag einiger Lieder. Sie sang zunächst nach Zelters Composition das schöne Lied: Um Mitternacht, welches den tiefsten Ein¬ druck machte. "Das Lied bleibt schön, sagte Goethe, so oft man es auch hört. Es hat in der Melodie etwas Ewiges, Unverwüstliches." Hierauf folgten einige Lie¬ der aus der Fischerin, von Max Eberwein componirt. Der Erlkönig erhielt entschiedenen Beyfall; sodann die Arie: Ich hab's gesagt der guten Mutter erregte die allgemeine Äußerung: diese Composition er¬ scheine so gut getroffen, daß niemand sie sich anders denken könne. Goethe selbst war im hohen Grade be¬ friedigt.
Zum Schluß des schönen Abends sang Madame Eber¬ wein auf Goethe's Wunsch einige Lieder des Divans, nach den bekannten Compositionen ihres Gatten. Die Stelle: Jussufs Reize möcht' ich borgen gefiel
eigenem Geiſt und Herzen nichts mehr unterlegen. Wie iſt es Ihnen? mir bleibt alles in den Ohren haͤngen.“ Ich ſagte, daß es mir in dieſem Falle nicht beſſer gehe. „Doch das Allegro, fuhr Goethe fort, hatte Character. Dieſes ewige Wirbeln und Drehen fuͤhrte mir die Hexentaͤnze des Blocksbergs vor Augen und ich fand alſo doch eine Anſchauung, die ich der wunderlichen Muſik ſupponiren konnte.“
Nach einer Pauſe, waͤhrend welcher man ſich unter¬ hielt und einige Erfriſchungen nahm, erſuchte Goethe Madame Eberwein um den Vortrag einiger Lieder. Sie ſang zunaͤchſt nach Zelters Compoſition das ſchoͤne Lied: Um Mitternacht, welches den tiefſten Ein¬ druck machte. „Das Lied bleibt ſchoͤn, ſagte Goethe, ſo oft man es auch hoͤrt. Es hat in der Melodie etwas Ewiges, Unverwuͤſtliches.“ Hierauf folgten einige Lie¬ der aus der Fiſcherin, von Max Eberwein componirt. Der Erlkoͤnig erhielt entſchiedenen Beyfall; ſodann die Arie: Ich hab's geſagt der guten Mutter erregte die allgemeine Äußerung: dieſe Compoſition er¬ ſcheine ſo gut getroffen, daß niemand ſie ſich anders denken koͤnne. Goethe ſelbſt war im hohen Grade be¬ friedigt.
Zum Schluß des ſchoͤnen Abends ſang Madame Eber¬ wein auf Goethe's Wunſch einige Lieder des Divans, nach den bekannten Compoſitionen ihres Gatten. Die Stelle: Juſſufs Reize moͤcht' ich borgen gefiel
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eigenem Geiſt und Herzen nichts mehr unterlegen. Wie
iſt es Ihnen? mir bleibt alles in den Ohren haͤngen.“
Ich ſagte, daß es mir in dieſem Falle nicht beſſer gehe.
„Doch das Allegro, fuhr Goethe fort, hatte Character.
Dieſes ewige Wirbeln und Drehen fuͤhrte mir die
Hexentaͤnze des Blocksbergs vor Augen und ich fand
alſo doch eine Anſchauung, die ich der wunderlichen
Muſik ſupponiren konnte.“
Nach einer Pauſe, waͤhrend welcher man ſich unter¬
hielt und einige Erfriſchungen nahm, erſuchte Goethe
Madame Eberwein um den Vortrag einiger Lieder.
Sie ſang zunaͤchſt nach Zelters Compoſition das ſchoͤne
Lied: Um Mitternacht, welches den tiefſten Ein¬
druck machte. „Das Lied bleibt ſchoͤn, ſagte Goethe,
ſo oft man es auch hoͤrt. Es hat in der Melodie etwas
Ewiges, Unverwuͤſtliches.“ Hierauf folgten einige Lie¬
der aus der Fiſcherin, von Max Eberwein componirt.
Der Erlkoͤnig erhielt entſchiedenen Beyfall; ſodann
die Arie: Ich hab's geſagt der guten Mutter
erregte die allgemeine Äußerung: dieſe Compoſition er¬
ſcheine ſo gut getroffen, daß niemand ſie ſich anders
denken koͤnne. Goethe ſelbſt war im hohen Grade be¬
friedigt.
Zum Schluß des ſchoͤnen Abends ſang Madame Eber¬
wein auf Goethe's Wunſch einige Lieder des Divans,
nach den bekannten Compoſitionen ihres Gatten. Die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/303>, abgerufen am 24.11.2024.
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