jetzt dem Gegenstande zu geben Willens war. Nun aber nach vollendeter Arbeit findet sich jenes ältere Schema wieder und ich freue mich nun, daß ich es nicht früher in Händen gehabt, denn es würde mich nur verwirrt haben. Die Handlung und der Gang der Entwickelung war zwar unverändert, allein im Detail war es doch ein ganz anderes; es war ganz für eine epische Behandlung in Hexametern gedacht und würde also für diese prosaische Darstellung gar nicht anwendbar gewesen seyn."
Das Gespräch lenkte sich auf den Inhalt. Eine schöne Situation, sagte ich, ist die, wo Honorio, der Fürstinn gegenüber, am todt ausgestreckten Tiger steht, die klagende weinende Frau mit dem Knaben herzuge¬ kommen ist, und auch der Fürst mit dem Jagdgefolge zu der seltsamen Gruppe so eben herbeyeilt. Das müßte ein treffliches Bild machen, und ich möchte es gemalt sehen.
"Gewiß, sagte Goethe, das wäre ein schönes Bild; -- doch, fuhr er nach einigem Bedenken fort, der Gegenstand wäre fast zu reich und der Figuren zu viele, so daß die Gruppirung und Vertheilung von Licht und Schatten dem Künstler sehr schwer werden würde. Al¬ lein den früheren Moment, wo Honorio auf dem Tiger kniet und die Fürstinn am Pferde gegenüber steht, habe ich mir wohl als Bild gedacht; und das wäre zu ma¬ chen." Ich empfand, daß Goethe Recht hatte und
jetzt dem Gegenſtande zu geben Willens war. Nun aber nach vollendeter Arbeit findet ſich jenes aͤltere Schema wieder und ich freue mich nun, daß ich es nicht fruͤher in Haͤnden gehabt, denn es wuͤrde mich nur verwirrt haben. Die Handlung und der Gang der Entwickelung war zwar unveraͤndert, allein im Detail war es doch ein ganz anderes; es war ganz fuͤr eine epiſche Behandlung in Hexametern gedacht und wuͤrde alſo fuͤr dieſe proſaiſche Darſtellung gar nicht anwendbar geweſen ſeyn.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf den Inhalt. Eine ſchoͤne Situation, ſagte ich, iſt die, wo Honorio, der Fuͤrſtinn gegenuͤber, am todt ausgeſtreckten Tiger ſteht, die klagende weinende Frau mit dem Knaben herzuge¬ kommen iſt, und auch der Fuͤrſt mit dem Jagdgefolge zu der ſeltſamen Gruppe ſo eben herbeyeilt. Das muͤßte ein treffliches Bild machen, und ich moͤchte es gemalt ſehen.
„Gewiß, ſagte Goethe, das waͤre ein ſchoͤnes Bild; — doch, fuhr er nach einigem Bedenken fort, der Gegenſtand waͤre faſt zu reich und der Figuren zu viele, ſo daß die Gruppirung und Vertheilung von Licht und Schatten dem Kuͤnſtler ſehr ſchwer werden wuͤrde. Al¬ lein den fruͤheren Moment, wo Honorio auf dem Tiger kniet und die Fuͤrſtinn am Pferde gegenuͤber ſteht, habe ich mir wohl als Bild gedacht; und das waͤre zu ma¬ chen.“ Ich empfand, daß Goethe Recht hatte und
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jetzt dem Gegenſtande zu geben Willens war. Nun
aber nach vollendeter Arbeit findet ſich jenes aͤltere
Schema wieder und ich freue mich nun, daß ich es
nicht fruͤher in Haͤnden gehabt, denn es wuͤrde mich
nur verwirrt haben. Die Handlung und der Gang der
Entwickelung war zwar unveraͤndert, allein im Detail
war es doch ein ganz anderes; es war ganz fuͤr eine
epiſche Behandlung in Hexametern gedacht und wuͤrde
alſo fuͤr dieſe proſaiſche Darſtellung gar nicht anwendbar
geweſen ſeyn.“
Das Geſpraͤch lenkte ſich auf den Inhalt. Eine
ſchoͤne Situation, ſagte ich, iſt die, wo Honorio, der
Fuͤrſtinn gegenuͤber, am todt ausgeſtreckten Tiger ſteht,
die klagende weinende Frau mit dem Knaben herzuge¬
kommen iſt, und auch der Fuͤrſt mit dem Jagdgefolge
zu der ſeltſamen Gruppe ſo eben herbeyeilt. Das
muͤßte ein treffliches Bild machen, und ich moͤchte es
gemalt ſehen.
„Gewiß, ſagte Goethe, das waͤre ein ſchoͤnes Bild;
— doch, fuhr er nach einigem Bedenken fort, der
Gegenſtand waͤre faſt zu reich und der Figuren zu viele,
ſo daß die Gruppirung und Vertheilung von Licht und
Schatten dem Kuͤnſtler ſehr ſchwer werden wuͤrde. Al¬
lein den fruͤheren Moment, wo Honorio auf dem Tiger
kniet und die Fuͤrſtinn am Pferde gegenuͤber ſteht, habe
ich mir wohl als Bild gedacht; und das waͤre zu ma¬
chen.“ Ich empfand, daß Goethe Recht hatte und
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/307>, abgerufen am 25.11.2024.
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