Nicht ohne Rührung hatte ich die Handlung des Schlusses lesen können. Doch wußte ich nicht, was ich sagen sollte, ich war überrascht aber nicht befriedigt. Es war mir, als wäre der Ausgang zu einsam, zu ideal, zu lyrisch und als hätten wenigstens Einige der übrigen Figuren wieder hervortreten und, das Ganze abschließend, dem Ende mehr Breite geben sollen.
Goethe merkte, daß ich einen Zweifel im Herzen hatte und suchte mich ins Gleiche zu bringen. "Hätte ich, sagte er, einige der übrigen Figuren am Ende wieder hervortreten lassen, so wäre der Schluß prosaisch geworden. Und was sollten sie handeln und sagen, da Alles abgethan war? Der Fürst mit den Seinigen ist in die Stadt geritten, wo seine Hülfe nöthig seyn wird; Honorio, sobald er hört, daß der Löwe oben in Sicher¬ heit ist, wird mit seinen Jägern folgen; der Mann aber wird sehr bald mit dem eisernen Käfich aus der Stadt da seyn und den Löwen darin zurückführen. Dieses sind alles Dinge, die man voraus sieht und die deßhalb nicht gesagt und ausgeführt werden müssen. Thäte man es, so würde man prosaisch werden."
"Aber ein ideeller, ja lyrischer Schluß war nöthig und mußte folgen; denn nach der pathetischen Rede des Mannes, die schon poetische Prosa ist, mußte eine Steigerung kommen, ich mußte zur lyrischen Poesie, ja zum Liede selbst übergehen."
"Um für den Gang dieser Novelle ein Gleichniß zu
Nicht ohne Ruͤhrung hatte ich die Handlung des Schluſſes leſen koͤnnen. Doch wußte ich nicht, was ich ſagen ſollte, ich war uͤberraſcht aber nicht befriedigt. Es war mir, als waͤre der Ausgang zu einſam, zu ideal, zu lyriſch und als haͤtten wenigſtens Einige der uͤbrigen Figuren wieder hervortreten und, das Ganze abſchließend, dem Ende mehr Breite geben ſollen.
Goethe merkte, daß ich einen Zweifel im Herzen hatte und ſuchte mich ins Gleiche zu bringen. „Haͤtte ich, ſagte er, einige der uͤbrigen Figuren am Ende wieder hervortreten laſſen, ſo waͤre der Schluß proſaiſch geworden. Und was ſollten ſie handeln und ſagen, da Alles abgethan war? Der Fuͤrſt mit den Seinigen iſt in die Stadt geritten, wo ſeine Huͤlfe noͤthig ſeyn wird; Honorio, ſobald er hoͤrt, daß der Loͤwe oben in Sicher¬ heit iſt, wird mit ſeinen Jaͤgern folgen; der Mann aber wird ſehr bald mit dem eiſernen Kaͤfich aus der Stadt da ſeyn und den Loͤwen darin zuruͤckfuͤhren. Dieſes ſind alles Dinge, die man voraus ſieht und die deßhalb nicht geſagt und ausgefuͤhrt werden muͤſſen. Thaͤte man es, ſo wuͤrde man proſaiſch werden.“
„Aber ein ideeller, ja lyriſcher Schluß war noͤthig und mußte folgen; denn nach der pathetiſchen Rede des Mannes, die ſchon poetiſche Proſa iſt, mußte eine Steigerung kommen, ich mußte zur lyriſchen Poeſie, ja zum Liede ſelbſt uͤbergehen.“
„Um fuͤr den Gang dieſer Novelle ein Gleichniß zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0321"n="301"/><p>Nicht ohne Ruͤhrung hatte ich die Handlung des<lb/>
Schluſſes leſen koͤnnen. Doch wußte ich nicht, was ich<lb/>ſagen ſollte, ich war uͤberraſcht aber nicht befriedigt.<lb/>
Es war mir, als waͤre der Ausgang zu einſam, zu ideal,<lb/>
zu lyriſch und als haͤtten wenigſtens Einige der uͤbrigen<lb/>
Figuren wieder hervortreten und, das Ganze abſchließend,<lb/>
dem Ende mehr Breite geben ſollen.</p><lb/><p>Goethe merkte, daß ich einen Zweifel im Herzen<lb/>
hatte und ſuchte mich ins Gleiche zu bringen. „Haͤtte<lb/>
ich, ſagte er, einige der uͤbrigen Figuren am Ende<lb/>
wieder hervortreten laſſen, ſo waͤre der Schluß proſaiſch<lb/>
geworden. Und was ſollten ſie handeln und ſagen, da<lb/>
Alles abgethan war? Der Fuͤrſt mit den Seinigen iſt<lb/>
in die Stadt geritten, wo ſeine Huͤlfe noͤthig ſeyn wird;<lb/>
Honorio, ſobald er hoͤrt, daß der Loͤwe oben in Sicher¬<lb/>
heit iſt, wird mit ſeinen Jaͤgern folgen; der Mann aber<lb/>
wird ſehr bald mit dem eiſernen Kaͤfich aus der Stadt<lb/>
da ſeyn und den Loͤwen darin zuruͤckfuͤhren. Dieſes<lb/>ſind alles Dinge, die man voraus ſieht und die deßhalb<lb/>
nicht geſagt und ausgefuͤhrt werden muͤſſen. Thaͤte man<lb/>
es, ſo wuͤrde man proſaiſch werden.“</p><lb/><p>„Aber ein ideeller, ja lyriſcher Schluß war noͤthig<lb/>
und mußte folgen; denn nach der pathetiſchen Rede des<lb/>
Mannes, die ſchon poetiſche Proſa iſt, mußte eine<lb/>
Steigerung kommen, ich mußte zur lyriſchen Poeſie,<lb/>
ja zum Liede ſelbſt uͤbergehen.“</p><lb/><p>„Um fuͤr den Gang dieſer Novelle ein Gleichniß zu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[301/0321]
Nicht ohne Ruͤhrung hatte ich die Handlung des
Schluſſes leſen koͤnnen. Doch wußte ich nicht, was ich
ſagen ſollte, ich war uͤberraſcht aber nicht befriedigt.
Es war mir, als waͤre der Ausgang zu einſam, zu ideal,
zu lyriſch und als haͤtten wenigſtens Einige der uͤbrigen
Figuren wieder hervortreten und, das Ganze abſchließend,
dem Ende mehr Breite geben ſollen.
Goethe merkte, daß ich einen Zweifel im Herzen
hatte und ſuchte mich ins Gleiche zu bringen. „Haͤtte
ich, ſagte er, einige der uͤbrigen Figuren am Ende
wieder hervortreten laſſen, ſo waͤre der Schluß proſaiſch
geworden. Und was ſollten ſie handeln und ſagen, da
Alles abgethan war? Der Fuͤrſt mit den Seinigen iſt
in die Stadt geritten, wo ſeine Huͤlfe noͤthig ſeyn wird;
Honorio, ſobald er hoͤrt, daß der Loͤwe oben in Sicher¬
heit iſt, wird mit ſeinen Jaͤgern folgen; der Mann aber
wird ſehr bald mit dem eiſernen Kaͤfich aus der Stadt
da ſeyn und den Loͤwen darin zuruͤckfuͤhren. Dieſes
ſind alles Dinge, die man voraus ſieht und die deßhalb
nicht geſagt und ausgefuͤhrt werden muͤſſen. Thaͤte man
es, ſo wuͤrde man proſaiſch werden.“
„Aber ein ideeller, ja lyriſcher Schluß war noͤthig
und mußte folgen; denn nach der pathetiſchen Rede des
Mannes, die ſchon poetiſche Proſa iſt, mußte eine
Steigerung kommen, ich mußte zur lyriſchen Poeſie,
ja zum Liede ſelbſt uͤbergehen.“
„Um fuͤr den Gang dieſer Novelle ein Gleichniß zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/321>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.