sehen aber wohl, daß ich mit der Prosa jetzt am besten gefahren bin. Denn es kam sehr auf genaue Zeichnung der Localität an, wobey man doch in solchen Reimen wäre genirt gewesen. Und dann ließ sich auch der anfänglich ganz reale und am Schluß ganz ideelle Cha¬ racter der Novelle in Prosa am besten geben, so wie sich auch die Liederchen jetzt gar hübsch ausnehmen, welches doch so wenig in Hexametern, als in den acht¬ zeiligen Reimen möglich gewesen wäre."
Die übrigen einzelnen Erzählungen und Novellen der Wanderjahre kamen zur Sprache und es ward be¬ merkt, daß jede sich von der andern durch einen beson¬ deren Character und Ton unterscheide.
"Woher dieses entstanden, sagte Goethe, will ich Ihnen erklären. Ich ging dabey zu Werke wie ein Maler, der bey gewissen Gegenständen gewisse Farben vermeidet und gewisse andere dagegen vorwalten läßt. Er wird z. B. bey einer Morgenlandschaft viel Blau auf seine Palette setzen, aber wenig Gelb. Malt er dagegen einen Abend, so wird er viel Gelb nehmen und die blaue Farbe fast ganz fehlen lassen. Auf eine ähn¬ liche Weise verfuhr ich bey meinen verschiedenartigen schriftstellerischen Productionen und wenn man ihnen einen verschiedenen Character zugesteht, so mag es daher rühren."
Ich dachte bey mir, daß dieß eine höchst kluge Ma¬ xime sey und freute mich, daß Goethe sie ausgesprochen.
ſehen aber wohl, daß ich mit der Proſa jetzt am beſten gefahren bin. Denn es kam ſehr auf genaue Zeichnung der Localitaͤt an, wobey man doch in ſolchen Reimen waͤre genirt geweſen. Und dann ließ ſich auch der anfaͤnglich ganz reale und am Schluß ganz ideelle Cha¬ racter der Novelle in Proſa am beſten geben, ſo wie ſich auch die Liederchen jetzt gar huͤbſch ausnehmen, welches doch ſo wenig in Hexametern, als in den acht¬ zeiligen Reimen moͤglich geweſen waͤre.“
Die uͤbrigen einzelnen Erzaͤhlungen und Novellen der Wanderjahre kamen zur Sprache und es ward be¬ merkt, daß jede ſich von der andern durch einen beſon¬ deren Character und Ton unterſcheide.
„Woher dieſes entſtanden, ſagte Goethe, will ich Ihnen erklaͤren. Ich ging dabey zu Werke wie ein Maler, der bey gewiſſen Gegenſtaͤnden gewiſſe Farben vermeidet und gewiſſe andere dagegen vorwalten laͤßt. Er wird z. B. bey einer Morgenlandſchaft viel Blau auf ſeine Palette ſetzen, aber wenig Gelb. Malt er dagegen einen Abend, ſo wird er viel Gelb nehmen und die blaue Farbe faſt ganz fehlen laſſen. Auf eine aͤhn¬ liche Weiſe verfuhr ich bey meinen verſchiedenartigen ſchriftſtelleriſchen Productionen und wenn man ihnen einen verſchiedenen Character zugeſteht, ſo mag es daher ruͤhren.“
Ich dachte bey mir, daß dieß eine hoͤchſt kluge Ma¬ xime ſey und freute mich, daß Goethe ſie ausgeſprochen.
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ſehen aber wohl, daß ich mit der Proſa jetzt am beſten
gefahren bin. Denn es kam ſehr auf genaue Zeichnung
der Localitaͤt an, wobey man doch in ſolchen Reimen
waͤre genirt geweſen. Und dann ließ ſich auch der
anfaͤnglich ganz reale und am Schluß ganz ideelle Cha¬
racter der Novelle in Proſa am beſten geben, ſo wie
ſich auch die Liederchen jetzt gar huͤbſch ausnehmen,
welches doch ſo wenig in Hexametern, als in den acht¬
zeiligen Reimen moͤglich geweſen waͤre.“
Die uͤbrigen einzelnen Erzaͤhlungen und Novellen
der Wanderjahre kamen zur Sprache und es ward be¬
merkt, daß jede ſich von der andern durch einen beſon¬
deren Character und Ton unterſcheide.
„Woher dieſes entſtanden, ſagte Goethe, will ich
Ihnen erklaͤren. Ich ging dabey zu Werke wie ein
Maler, der bey gewiſſen Gegenſtaͤnden gewiſſe Farben
vermeidet und gewiſſe andere dagegen vorwalten laͤßt.
Er wird z. B. bey einer Morgenlandſchaft viel Blau
auf ſeine Palette ſetzen, aber wenig Gelb. Malt er
dagegen einen Abend, ſo wird er viel Gelb nehmen und
die blaue Farbe faſt ganz fehlen laſſen. Auf eine aͤhn¬
liche Weiſe verfuhr ich bey meinen verſchiedenartigen
ſchriftſtelleriſchen Productionen und wenn man ihnen
einen verſchiedenen Character zugeſteht, ſo mag es daher
ruͤhren.“
Ich dachte bey mir, daß dieß eine hoͤchſt kluge Ma¬
xime ſey und freute mich, daß Goethe ſie ausgeſprochen.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/324>, abgerufen am 25.11.2024.
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