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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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da der Schluß seiner Novelle noch in mir fortwirkte
und eine Stimmung von Frömmigkeit in mir hervor¬
gebracht hatte, wie ich sie lange nicht in dem Grade
empfunden. Wie rein und innig, dachte ich bey mir
selbst, müssen doch in einem so hohen Alter noch die
Gefühle des Dichters seyn, daß er etwas so Schönes
hat machen können! Ich enthielt mich nicht, mich dar¬
über gegen Goethe auszusprechen, so wie überhaupt mich
zu freuen, daß diese in ihrer Art einzige Production
doch nun existire.

"Es ist mir lieb, sagte Goethe, wenn Sie zufrieden
sind, und ich freue mich nun selbst, daß ich einen Ge¬
genstand, den ich seit dreyßig Jahren in mir herum¬
getragen, nun endlich los bin. Schiller und Humboldt,
denen ich damals mein Vorhaben mittheilte, riethen
mir ab, weil sie nicht wissen konnten, was in der Sache
lag, und weil nur der Dichter allein weiß, welche
Reize er seinem Gegenstande zu geben fähig ist. Man
soll daher nie jemanden fragen, wenn man etwas schrei¬
ben will. Hätte Schiller mich vor seinem Wallenstein
gefragt, ob er ihn schreiben solle, ich hätte ihm sicherlich
abgerathen, denn ich hätte nie denken können, daß aus
solchem Gegenstande überall ein so treffliches Theater¬
stück wäre zu machen gewesen. Schiller war gegen eine
Behandlung meines Gegenstandes in Hexametern, wie
ich es damals gleich nach Hermann und Dorothea
willens war; er rieth zu den achtzeiligen Stanzen. Sie

da der Schluß ſeiner Novelle noch in mir fortwirkte
und eine Stimmung von Froͤmmigkeit in mir hervor¬
gebracht hatte, wie ich ſie lange nicht in dem Grade
empfunden. Wie rein und innig, dachte ich bey mir
ſelbſt, muͤſſen doch in einem ſo hohen Alter noch die
Gefuͤhle des Dichters ſeyn, daß er etwas ſo Schoͤnes
hat machen koͤnnen! Ich enthielt mich nicht, mich dar¬
uͤber gegen Goethe auszuſprechen, ſo wie uͤberhaupt mich
zu freuen, daß dieſe in ihrer Art einzige Production
doch nun exiſtire.

„Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie zufrieden
ſind, und ich freue mich nun ſelbſt, daß ich einen Ge¬
genſtand, den ich ſeit dreyßig Jahren in mir herum¬
getragen, nun endlich los bin. Schiller und Humboldt,
denen ich damals mein Vorhaben mittheilte, riethen
mir ab, weil ſie nicht wiſſen konnten, was in der Sache
lag, und weil nur der Dichter allein weiß, welche
Reize er ſeinem Gegenſtande zu geben faͤhig iſt. Man
ſoll daher nie jemanden fragen, wenn man etwas ſchrei¬
ben will. Haͤtte Schiller mich vor ſeinem Wallenſtein
gefragt, ob er ihn ſchreiben ſolle, ich haͤtte ihm ſicherlich
abgerathen, denn ich haͤtte nie denken koͤnnen, daß aus
ſolchem Gegenſtande uͤberall ein ſo treffliches Theater¬
ſtuͤck waͤre zu machen geweſen. Schiller war gegen eine
Behandlung meines Gegenſtandes in Hexametern, wie
ich es damals gleich nach Hermann und Dorothea
willens war; er rieth zu den achtzeiligen Stanzen. Sie

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[303/0323] da der Schluß ſeiner Novelle noch in mir fortwirkte und eine Stimmung von Froͤmmigkeit in mir hervor¬ gebracht hatte, wie ich ſie lange nicht in dem Grade empfunden. Wie rein und innig, dachte ich bey mir ſelbſt, muͤſſen doch in einem ſo hohen Alter noch die Gefuͤhle des Dichters ſeyn, daß er etwas ſo Schoͤnes hat machen koͤnnen! Ich enthielt mich nicht, mich dar¬ uͤber gegen Goethe auszuſprechen, ſo wie uͤberhaupt mich zu freuen, daß dieſe in ihrer Art einzige Production doch nun exiſtire. „Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie zufrieden ſind, und ich freue mich nun ſelbſt, daß ich einen Ge¬ genſtand, den ich ſeit dreyßig Jahren in mir herum¬ getragen, nun endlich los bin. Schiller und Humboldt, denen ich damals mein Vorhaben mittheilte, riethen mir ab, weil ſie nicht wiſſen konnten, was in der Sache lag, und weil nur der Dichter allein weiß, welche Reize er ſeinem Gegenſtande zu geben faͤhig iſt. Man ſoll daher nie jemanden fragen, wenn man etwas ſchrei¬ ben will. Haͤtte Schiller mich vor ſeinem Wallenſtein gefragt, ob er ihn ſchreiben ſolle, ich haͤtte ihm ſicherlich abgerathen, denn ich haͤtte nie denken koͤnnen, daß aus ſolchem Gegenſtande uͤberall ein ſo treffliches Theater¬ ſtuͤck waͤre zu machen geweſen. Schiller war gegen eine Behandlung meines Gegenſtandes in Hexametern, wie ich es damals gleich nach Hermann und Dorothea willens war; er rieth zu den achtzeiligen Stanzen. Sie

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/323>, abgerufen am 25.11.2024.