Hause gehabt und von der Freyheit von einem Zimmer ins andere zu gehen, da ich nicht das Bedürfniß hatte, sie zu benutzen!"
"Hat einer nur so viel Freyheit, um gesund zu leben und sein Gewerbe zu treiben, so hat er genug, und so viel hat leicht ein jeder. Und dann sind wir alle nur frey unter gewissen Bedingungen, die wir er¬ füllen müssen. Der Bürger ist so frey wie der Adeliche, sobald er sich in den Grenzen hält, die ihm von Gott durch seinen Stand, worin er geboren, angewiesen. Der Adeliche ist so frey wie der Fürst; denn wenn er bey Hofe nur das wenige Ceremoniel beobachtet, so darf er sich als seines Gleichen fühlen. Nicht das macht frey, daß wir nichts über uns anerkennen wollen, sondern eben daß wir etwas verehren, das über uns ist. Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf und legen durch unsere Anerkennung an den Tag, daß wir selber das Höhere in uns tragen und werth sind seines Gleichen zu seyn. Ich bin bey meinen Reisen oft auf norddeutsche Kaufleute gestoßen, welche glaubten meines Gleichen zu seyn, wenn sie sich roh zu mir an den Tisch setzten. Dadurch waren sie es nicht, allein sie wären es gewesen, wenn sie mich hätten zu schätzen und zu behandeln gewußt."
"Daß nun diese physische Freyheit Schillern in sei¬ ner Jugend so viel zu schaffen machte, lag zwar theils in der Natur seines Geistes, größern Theils aber schrieb
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Hauſe gehabt und von der Freyheit von einem Zimmer ins andere zu gehen, da ich nicht das Beduͤrfniß hatte, ſie zu benutzen!“
„Hat einer nur ſo viel Freyheit, um geſund zu leben und ſein Gewerbe zu treiben, ſo hat er genug, und ſo viel hat leicht ein jeder. Und dann ſind wir alle nur frey unter gewiſſen Bedingungen, die wir er¬ fuͤllen muͤſſen. Der Buͤrger iſt ſo frey wie der Adeliche, ſobald er ſich in den Grenzen haͤlt, die ihm von Gott durch ſeinen Stand, worin er geboren, angewieſen. Der Adeliche iſt ſo frey wie der Fuͤrſt; denn wenn er bey Hofe nur das wenige Ceremoniel beobachtet, ſo darf er ſich als ſeines Gleichen fuͤhlen. Nicht das macht frey, daß wir nichts uͤber uns anerkennen wollen, ſondern eben daß wir etwas verehren, das uͤber uns iſt. Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf und legen durch unſere Anerkennung an den Tag, daß wir ſelber das Hoͤhere in uns tragen und werth ſind ſeines Gleichen zu ſeyn. Ich bin bey meinen Reiſen oft auf norddeutſche Kaufleute geſtoßen, welche glaubten meines Gleichen zu ſeyn, wenn ſie ſich roh zu mir an den Tiſch ſetzten. Dadurch waren ſie es nicht, allein ſie waͤren es geweſen, wenn ſie mich haͤtten zu ſchaͤtzen und zu behandeln gewußt.“
„Daß nun dieſe phyſiſche Freyheit Schillern in ſei¬ ner Jugend ſo viel zu ſchaffen machte, lag zwar theils in der Natur ſeines Geiſtes, groͤßern Theils aber ſchrieb
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Hauſe gehabt und von der Freyheit von einem Zimmer
ins andere zu gehen, da ich nicht das Beduͤrfniß hatte,
ſie zu benutzen!“
„Hat einer nur ſo viel Freyheit, um geſund zu
leben und ſein Gewerbe zu treiben, ſo hat er genug,
und ſo viel hat leicht ein jeder. Und dann ſind wir
alle nur frey unter gewiſſen Bedingungen, die wir er¬
fuͤllen muͤſſen. Der Buͤrger iſt ſo frey wie der Adeliche,
ſobald er ſich in den Grenzen haͤlt, die ihm von Gott
durch ſeinen Stand, worin er geboren, angewieſen.
Der Adeliche iſt ſo frey wie der Fuͤrſt; denn wenn er bey
Hofe nur das wenige Ceremoniel beobachtet, ſo darf er
ſich als ſeines Gleichen fuͤhlen. Nicht das macht frey,
daß wir nichts uͤber uns anerkennen wollen, ſondern
eben daß wir etwas verehren, das uͤber uns iſt. Denn
indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf
und legen durch unſere Anerkennung an den Tag, daß
wir ſelber das Hoͤhere in uns tragen und werth ſind
ſeines Gleichen zu ſeyn. Ich bin bey meinen Reiſen oft
auf norddeutſche Kaufleute geſtoßen, welche glaubten
meines Gleichen zu ſeyn, wenn ſie ſich roh zu mir an
den Tiſch ſetzten. Dadurch waren ſie es nicht, allein
ſie waͤren es geweſen, wenn ſie mich haͤtten zu ſchaͤtzen
und zu behandeln gewußt.“
„Daß nun dieſe phyſiſche Freyheit Schillern in ſei¬
ner Jugend ſo viel zu ſchaffen machte, lag zwar theils
in der Natur ſeines Geiſtes, groͤßern Theils aber ſchrieb
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/327>, abgerufen am 25.11.2024.
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