Weil er aber aus niederem Stande heraufgekommen, so ist ihm das Liederliche und Gemeine nicht allzu verhaßt, und er behandelt es noch mit einer gewissen Neigung."
Viel [Ä]hnliches ward noch über Beranger und an¬ dere neuern Franzosen hin und her gesprochen, bis Herr Soret an den Hof ging und ich mit Goethe alleine blieb.
Ein versiegeltes Paket lag auf dem Tisch. Goethe legte seine Hand darauf. "Was ist das? sagte er. Es ist die Helena, die an Cotta zum Druck abgeht." Ich empfand bey diesen Worten mehr als ich sagen konnte, ich fühlte die Bedeutung des Augenblickes. Denn wie bey einem neuerbauten Schiff, das zuerst in die See geht und wovon man nicht weiß, welche Schicksale es erleben wird, so ist es auch mit dem Ge¬ dankenwerk eines großen Meisters, das zuerst in die Welt hinaustritt, um für viele Zeiten zu wirken und mannigfaltige Schicksale zu erzeugen und zu erleben.
"Ich habe, sagte Goethe, bis jetzt immer noch Kleinig¬ keiten daran zu thun und nachzuhelfen gefunden. Endlich aber muß es genug seyn und ich bin nun froh, daß es zur Post geht und ich mich mit befreyter Seele zu etwas Anderem wenden kann. Es mag nun seine Schicksale erleben! -- Was mich tröstet ist, daß die Cultur in Deutschland doch jetzt unglaublich hoch steht und man also nicht zu fürchten hat, daß eine solche Production lange unverstanden und ohne Wirkung bleiben werde."
Weil er aber aus niederem Stande heraufgekommen, ſo iſt ihm das Liederliche und Gemeine nicht allzu verhaßt, und er behandelt es noch mit einer gewiſſen Neigung.“
Viel [Ä]hnliches ward noch uͤber Béranger und an¬ dere neuern Franzoſen hin und her geſprochen, bis Herr Soret an den Hof ging und ich mit Goethe alleine blieb.
Ein verſiegeltes Paket lag auf dem Tiſch. Goethe legte ſeine Hand darauf. „Was iſt das? ſagte er. Es iſt die Helena, die an Cotta zum Druck abgeht.“ Ich empfand bey dieſen Worten mehr als ich ſagen konnte, ich fuͤhlte die Bedeutung des Augenblickes. Denn wie bey einem neuerbauten Schiff, das zuerſt in die See geht und wovon man nicht weiß, welche Schickſale es erleben wird, ſo iſt es auch mit dem Ge¬ dankenwerk eines großen Meiſters, das zuerſt in die Welt hinaustritt, um fuͤr viele Zeiten zu wirken und mannigfaltige Schickſale zu erzeugen und zu erleben.
„Ich habe, ſagte Goethe, bis jetzt immer noch Kleinig¬ keiten daran zu thun und nachzuhelfen gefunden. Endlich aber muß es genug ſeyn und ich bin nun froh, daß es zur Poſt geht und ich mich mit befreyter Seele zu etwas Anderem wenden kann. Es mag nun ſeine Schickſale erleben! — Was mich troͤſtet iſt, daß die Cultur in Deutſchland doch jetzt unglaublich hoch ſteht und man alſo nicht zu fuͤrchten hat, daß eine ſolche Production lange unverſtanden und ohne Wirkung bleiben werde.“
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Weil er aber aus niederem Stande heraufgekommen, ſo
iſt ihm das Liederliche und Gemeine nicht allzu verhaßt,
und er behandelt es noch mit einer gewiſſen Neigung.“
Viel Ähnliches ward noch uͤber Béranger und an¬
dere neuern Franzoſen hin und her geſprochen, bis Herr
Soret an den Hof ging und ich mit Goethe alleine
blieb.
Ein verſiegeltes Paket lag auf dem Tiſch. Goethe
legte ſeine Hand darauf. „Was iſt das? ſagte er. Es
iſt die Helena, die an Cotta zum Druck abgeht.“
Ich empfand bey dieſen Worten mehr als ich ſagen
konnte, ich fuͤhlte die Bedeutung des Augenblickes.
Denn wie bey einem neuerbauten Schiff, das zuerſt
in die See geht und wovon man nicht weiß, welche
Schickſale es erleben wird, ſo iſt es auch mit dem Ge¬
dankenwerk eines großen Meiſters, das zuerſt in die
Welt hinaustritt, um fuͤr viele Zeiten zu wirken und
mannigfaltige Schickſale zu erzeugen und zu erleben.
„Ich habe, ſagte Goethe, bis jetzt immer noch Kleinig¬
keiten daran zu thun und nachzuhelfen gefunden. Endlich
aber muß es genug ſeyn und ich bin nun froh, daß es
zur Poſt geht und ich mich mit befreyter Seele zu etwas
Anderem wenden kann. Es mag nun ſeine Schickſale
erleben! — Was mich troͤſtet iſt, daß die Cultur in
Deutſchland doch jetzt unglaublich hoch ſteht und man
alſo nicht zu fuͤrchten hat, daß eine ſolche Production
lange unverſtanden und ohne Wirkung bleiben werde.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/336>, abgerufen am 24.11.2024.
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