die sich des Morgens in Stücke hauen und Mittags sich wieder mit heilen Gliedern zu Tische setzen."
Goethe war in der besten Laune und ich war glück¬ lich ihn abermals über so bedeutende Dinge reden zu hören. "Wir wollen uns nur, sagte er, im Stillen auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen lassen; das ist das Beste."
Mittwoch den 7. Februar 1827.
Goethe schalt heute auf gewisse Critiker, die nicht mit Lessing zufrieden, und an ihn ungehörige Forde¬ rungen machen.
"Wenn man, sagte er, die Stücke von Lessing mit denen der Alten vergleicht und sie schlecht und miserabel findet, was soll man da sagen! -- Bedauert doch den außerordentlichen Menschen, daß er in einer so erbärm¬ lichen Zeit leben mußte, die ihm keine besseren Stoffe gab als in seinen Stücken verarbeitet sind! -- Bedauert ihn doch, daß er in seiner Minna von Barnhelm an den Händeln der Sachsen und Preußen Theil nehmen mußte, weil er nichts besseres fand! -- Auch daß er immerfort polemisch wirkte und wirken mußte, lag in der Schlechtigkeit seiner Zeit. In der Emilie Galotti hatte er seine Piquen auf die Fürsten, im Nathan auf die Pfaffen."
die ſich des Morgens in Stuͤcke hauen und Mittags ſich wieder mit heilen Gliedern zu Tiſche ſetzen.“
Goethe war in der beſten Laune und ich war gluͤck¬ lich ihn abermals uͤber ſo bedeutende Dinge reden zu hoͤren. „Wir wollen uns nur, ſagte er, im Stillen auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen laſſen; das iſt das Beſte.“
Mittwoch den 7. Februar 1827.
Goethe ſchalt heute auf gewiſſe Critiker, die nicht mit Leſſing zufrieden, und an ihn ungehoͤrige Forde¬ rungen machen.
„Wenn man, ſagte er, die Stuͤcke von Leſſing mit denen der Alten vergleicht und ſie ſchlecht und miſerabel findet, was ſoll man da ſagen! — Bedauert doch den außerordentlichen Menſchen, daß er in einer ſo erbaͤrm¬ lichen Zeit leben mußte, die ihm keine beſſeren Stoffe gab als in ſeinen Stuͤcken verarbeitet ſind! — Bedauert ihn doch, daß er in ſeiner Minna von Barnhelm an den Haͤndeln der Sachſen und Preußen Theil nehmen mußte, weil er nichts beſſeres fand! — Auch daß er immerfort polemiſch wirkte und wirken mußte, lag in der Schlechtigkeit ſeiner Zeit. In der Emilie Galotti hatte er ſeine Piquen auf die Fuͤrſten, im Nathan auf die Pfaffen.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0360"n="340"/>
die ſich des Morgens in Stuͤcke hauen und Mittags ſich<lb/>
wieder mit heilen Gliedern zu Tiſche ſetzen.“</p><lb/><p>Goethe war in der beſten Laune und ich war gluͤck¬<lb/>
lich ihn abermals uͤber ſo bedeutende Dinge reden zu<lb/>
hoͤren. „Wir wollen uns nur, ſagte er, im Stillen<lb/>
auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen<lb/>
laſſen; das iſt das Beſte.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Mittwoch den 7. Februar 1827.<lb/></dateline><p>Goethe ſchalt heute auf gewiſſe Critiker, die nicht<lb/>
mit <hirendition="#g">Leſſing</hi> zufrieden, und an ihn ungehoͤrige Forde¬<lb/>
rungen machen.</p><lb/><p>„Wenn man, ſagte er, die Stuͤcke von Leſſing mit<lb/>
denen der Alten vergleicht und ſie ſchlecht und miſerabel<lb/>
findet, was ſoll man da ſagen! — Bedauert doch den<lb/>
außerordentlichen Menſchen, daß er in einer ſo erbaͤrm¬<lb/>
lichen Zeit leben mußte, die ihm keine beſſeren Stoffe<lb/>
gab als in ſeinen Stuͤcken verarbeitet ſind! — Bedauert<lb/>
ihn doch, daß er in ſeiner Minna von Barnhelm an<lb/>
den Haͤndeln der Sachſen und Preußen Theil nehmen<lb/>
mußte, weil er nichts beſſeres fand! — Auch daß er<lb/>
immerfort polemiſch wirkte und wirken mußte, lag in<lb/>
der Schlechtigkeit ſeiner Zeit. In der Emilie Galotti<lb/>
hatte er ſeine Piquen auf die Fuͤrſten, im Nathan auf<lb/>
die Pfaffen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[340/0360]
die ſich des Morgens in Stuͤcke hauen und Mittags ſich
wieder mit heilen Gliedern zu Tiſche ſetzen.“
Goethe war in der beſten Laune und ich war gluͤck¬
lich ihn abermals uͤber ſo bedeutende Dinge reden zu
hoͤren. „Wir wollen uns nur, ſagte er, im Stillen
auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen
laſſen; das iſt das Beſte.“
Mittwoch den 7. Februar 1827.
Goethe ſchalt heute auf gewiſſe Critiker, die nicht
mit Leſſing zufrieden, und an ihn ungehoͤrige Forde¬
rungen machen.
„Wenn man, ſagte er, die Stuͤcke von Leſſing mit
denen der Alten vergleicht und ſie ſchlecht und miſerabel
findet, was ſoll man da ſagen! — Bedauert doch den
außerordentlichen Menſchen, daß er in einer ſo erbaͤrm¬
lichen Zeit leben mußte, die ihm keine beſſeren Stoffe
gab als in ſeinen Stuͤcken verarbeitet ſind! — Bedauert
ihn doch, daß er in ſeiner Minna von Barnhelm an
den Haͤndeln der Sachſen und Preußen Theil nehmen
mußte, weil er nichts beſſeres fand! — Auch daß er
immerfort polemiſch wirkte und wirken mußte, lag in
der Schlechtigkeit ſeiner Zeit. In der Emilie Galotti
hatte er ſeine Piquen auf die Fuͤrſten, im Nathan auf
die Pfaffen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/360>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.