Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

die sich des Morgens in Stücke hauen und Mittags sich
wieder mit heilen Gliedern zu Tische setzen."

Goethe war in der besten Laune und ich war glück¬
lich ihn abermals über so bedeutende Dinge reden zu
hören. "Wir wollen uns nur, sagte er, im Stillen
auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen
lassen; das ist das Beste."


Goethe schalt heute auf gewisse Critiker, die nicht
mit Lessing zufrieden, und an ihn ungehörige Forde¬
rungen machen.

"Wenn man, sagte er, die Stücke von Lessing mit
denen der Alten vergleicht und sie schlecht und miserabel
findet, was soll man da sagen! -- Bedauert doch den
außerordentlichen Menschen, daß er in einer so erbärm¬
lichen Zeit leben mußte, die ihm keine besseren Stoffe
gab als in seinen Stücken verarbeitet sind! -- Bedauert
ihn doch, daß er in seiner Minna von Barnhelm an
den Händeln der Sachsen und Preußen Theil nehmen
mußte, weil er nichts besseres fand! -- Auch daß er
immerfort polemisch wirkte und wirken mußte, lag in
der Schlechtigkeit seiner Zeit. In der Emilie Galotti
hatte er seine Piquen auf die Fürsten, im Nathan auf
die Pfaffen."


die ſich des Morgens in Stuͤcke hauen und Mittags ſich
wieder mit heilen Gliedern zu Tiſche ſetzen.“

Goethe war in der beſten Laune und ich war gluͤck¬
lich ihn abermals uͤber ſo bedeutende Dinge reden zu
hoͤren. „Wir wollen uns nur, ſagte er, im Stillen
auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen
laſſen; das iſt das Beſte.“


Goethe ſchalt heute auf gewiſſe Critiker, die nicht
mit Leſſing zufrieden, und an ihn ungehoͤrige Forde¬
rungen machen.

„Wenn man, ſagte er, die Stuͤcke von Leſſing mit
denen der Alten vergleicht und ſie ſchlecht und miſerabel
findet, was ſoll man da ſagen! — Bedauert doch den
außerordentlichen Menſchen, daß er in einer ſo erbaͤrm¬
lichen Zeit leben mußte, die ihm keine beſſeren Stoffe
gab als in ſeinen Stuͤcken verarbeitet ſind! — Bedauert
ihn doch, daß er in ſeiner Minna von Barnhelm an
den Haͤndeln der Sachſen und Preußen Theil nehmen
mußte, weil er nichts beſſeres fand! — Auch daß er
immerfort polemiſch wirkte und wirken mußte, lag in
der Schlechtigkeit ſeiner Zeit. In der Emilie Galotti
hatte er ſeine Piquen auf die Fuͤrſten, im Nathan auf
die Pfaffen.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="340"/>
die &#x017F;ich des Morgens in Stu&#x0364;cke hauen und Mittags &#x017F;ich<lb/>
wieder mit heilen Gliedern zu Ti&#x017F;che &#x017F;etzen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Goethe war in der be&#x017F;ten Laune und ich war glu&#x0364;ck¬<lb/>
lich ihn abermals u&#x0364;ber &#x017F;o bedeutende Dinge reden zu<lb/>
ho&#x0364;ren. &#x201E;Wir wollen uns nur, &#x017F;agte er, im Stillen<lb/>
auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; das i&#x017F;t das Be&#x017F;te.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch den 7. Februar 1827.<lb/></dateline>
          <p>Goethe &#x017F;chalt heute auf gewi&#x017F;&#x017F;e Critiker, die nicht<lb/>
mit <hi rendition="#g">Le&#x017F;&#x017F;ing</hi> zufrieden, und an ihn ungeho&#x0364;rige Forde¬<lb/>
rungen machen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Wenn man, &#x017F;agte er, die Stu&#x0364;cke von Le&#x017F;&#x017F;ing mit<lb/>
denen der Alten vergleicht und &#x017F;ie &#x017F;chlecht und mi&#x017F;erabel<lb/>
findet, was &#x017F;oll man da &#x017F;agen! &#x2014; Bedauert doch den<lb/>
außerordentlichen Men&#x017F;chen, daß er in einer &#x017F;o erba&#x0364;rm¬<lb/>
lichen Zeit leben mußte, die ihm keine be&#x017F;&#x017F;eren Stoffe<lb/>
gab als in &#x017F;einen Stu&#x0364;cken verarbeitet &#x017F;ind! &#x2014; Bedauert<lb/>
ihn doch, daß er in &#x017F;einer Minna von Barnhelm an<lb/>
den Ha&#x0364;ndeln der Sach&#x017F;en und Preußen Theil nehmen<lb/>
mußte, weil er nichts be&#x017F;&#x017F;eres fand! &#x2014; Auch daß er<lb/>
immerfort polemi&#x017F;ch wirkte und wirken mußte, lag in<lb/>
der Schlechtigkeit &#x017F;einer Zeit. In der Emilie Galotti<lb/>
hatte er &#x017F;eine Piquen auf die Fu&#x0364;r&#x017F;ten, im Nathan auf<lb/>
die Pfaffen.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0360] die ſich des Morgens in Stuͤcke hauen und Mittags ſich wieder mit heilen Gliedern zu Tiſche ſetzen.“ Goethe war in der beſten Laune und ich war gluͤck¬ lich ihn abermals uͤber ſo bedeutende Dinge reden zu hoͤren. „Wir wollen uns nur, ſagte er, im Stillen auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen laſſen; das iſt das Beſte.“ Mittwoch den 7. Februar 1827. Goethe ſchalt heute auf gewiſſe Critiker, die nicht mit Leſſing zufrieden, und an ihn ungehoͤrige Forde¬ rungen machen. „Wenn man, ſagte er, die Stuͤcke von Leſſing mit denen der Alten vergleicht und ſie ſchlecht und miſerabel findet, was ſoll man da ſagen! — Bedauert doch den außerordentlichen Menſchen, daß er in einer ſo erbaͤrm¬ lichen Zeit leben mußte, die ihm keine beſſeren Stoffe gab als in ſeinen Stuͤcken verarbeitet ſind! — Bedauert ihn doch, daß er in ſeiner Minna von Barnhelm an den Haͤndeln der Sachſen und Preußen Theil nehmen mußte, weil er nichts beſſeres fand! — Auch daß er immerfort polemiſch wirkte und wirken mußte, lag in der Schlechtigkeit ſeiner Zeit. In der Emilie Galotti hatte er ſeine Piquen auf die Fuͤrſten, im Nathan auf die Pfaffen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/360
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/360>, abgerufen am 22.11.2024.