zu erkennen und sich seiner Gnaden theilhaftig zu ma¬ chen, welches denn freylich auch zu guten Werken führe. So ist es; aber heutiges Tags wird alles durcheinander gemengt und verwechselt und niemand weiß, woher die Dinge kommen."
Ich bemerkte mehr in Gedanken, als daß ich es aussprach, daß die verschiedene Meinung in Religions¬ sachen doch von jeher die Menschen entzweyt und zu Feinden gemacht habe, ja daß sogar der erste Mord durch eine Abweichung in der Verehrung Gottes herbey¬ geführet sey. Ich sagte, daß ich dieser Tage Byrons Cain gelesen und besonders den dritten Act und die Motivirung des Todtschlages bewundert habe.
"Nicht wahr? sagte Goethe, das ist vortrefflich motivirt! es ist von so einziger Schönheit, daß es in der Welt nicht zum zweyten Male vorhanden ist."
Der Cain, sagte ich, war doch anfänglich in Eng¬ land verboten, jetzt aber lieset ihn jedermann und die reisenden jungen Engländer führen gewöhnlich einen completen Byron mit sich.
"Es ist auch Thorheit, sagte Goethe, denn im Grunde steht im ganzen Cain doch nichts, als was die englischen Bischöfe selber lehren."
Der Canzler ließ sich melden und trat herein und setzte sich zu uns an den Tisch. So auch kamen Goethe's Enkel Walter und Wolfgang nach einander gesprun¬ gen. Wolf schmiegte sich an den Canzler. "Hole dem
zu erkennen und ſich ſeiner Gnaden theilhaftig zu ma¬ chen, welches denn freylich auch zu guten Werken fuͤhre. So iſt es; aber heutiges Tags wird alles durcheinander gemengt und verwechſelt und niemand weiß, woher die Dinge kommen.“
Ich bemerkte mehr in Gedanken, als daß ich es ausſprach, daß die verſchiedene Meinung in Religions¬ ſachen doch von jeher die Menſchen entzweyt und zu Feinden gemacht habe, ja daß ſogar der erſte Mord durch eine Abweichung in der Verehrung Gottes herbey¬ gefuͤhret ſey. Ich ſagte, daß ich dieſer Tage Byrons Cain geleſen und beſonders den dritten Act und die Motivirung des Todtſchlages bewundert habe.
„Nicht wahr? ſagte Goethe, das iſt vortrefflich motivirt! es iſt von ſo einziger Schoͤnheit, daß es in der Welt nicht zum zweyten Male vorhanden iſt.“
Der Cain, ſagte ich, war doch anfaͤnglich in Eng¬ land verboten, jetzt aber lieſet ihn jedermann und die reiſenden jungen Englaͤnder fuͤhren gewoͤhnlich einen completen Byron mit ſich.
„Es iſt auch Thorheit, ſagte Goethe, denn im Grunde ſteht im ganzen Cain doch nichts, als was die engliſchen Biſchoͤfe ſelber lehren.“
Der Canzler ließ ſich melden und trat herein und ſetzte ſich zu uns an den Tiſch. So auch kamen Goethe's Enkel Walter und Wolfgang nach einander geſprun¬ gen. Wolf ſchmiegte ſich an den Canzler. „Hole dem
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zu erkennen und ſich ſeiner Gnaden theilhaftig zu ma¬
chen, welches denn freylich auch zu guten Werken fuͤhre.
So iſt es; aber heutiges Tags wird alles durcheinander
gemengt und verwechſelt und niemand weiß, woher die
Dinge kommen.“
Ich bemerkte mehr in Gedanken, als daß ich es
ausſprach, daß die verſchiedene Meinung in Religions¬
ſachen doch von jeher die Menſchen entzweyt und zu
Feinden gemacht habe, ja daß ſogar der erſte Mord
durch eine Abweichung in der Verehrung Gottes herbey¬
gefuͤhret ſey. Ich ſagte, daß ich dieſer Tage Byrons
Cain geleſen und beſonders den dritten Act und die
Motivirung des Todtſchlages bewundert habe.
„Nicht wahr? ſagte Goethe, das iſt vortrefflich
motivirt! es iſt von ſo einziger Schoͤnheit, daß es in
der Welt nicht zum zweyten Male vorhanden iſt.“
Der Cain, ſagte ich, war doch anfaͤnglich in Eng¬
land verboten, jetzt aber lieſet ihn jedermann und die
reiſenden jungen Englaͤnder fuͤhren gewoͤhnlich einen
completen Byron mit ſich.
„Es iſt auch Thorheit, ſagte Goethe, denn im
Grunde ſteht im ganzen Cain doch nichts, als was die
engliſchen Biſchoͤfe ſelber lehren.“
Der Canzler ließ ſich melden und trat herein und
ſetzte ſich zu uns an den Tiſch. So auch kamen Goethe's
Enkel Walter und Wolfgang nach einander geſprun¬
gen. Wolf ſchmiegte ſich an den Canzler. „Hole dem
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/377>, abgerufen am 22.11.2024.
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