Nachdem ich mich einigermaßen in Goethe's Schrif¬ ten befestiget und mich nebenbey in der Poesie practisch auf manche Weise versucht hatte, wendete ich mich zu einigen der größten Dichter des Auslandes und frühe¬ rer Zeiten, und las in den besten Übersetzungen nicht allein die vorzüglichsten Stücke von Shakspeare, sondern auch den Sophocles und Homer.
Hiebey merkte ich jedoch sehr bald, daß von diesen hohen Werken nur das Allgemein-Menschliche in mich eingehen wolle, daß aber das Verständniß des Beson¬ deren, sowohl in sprachlicher als historischer Hinsicht, wissenschaftliche Kenntnisse und überhaupt eine Bildung voraussetze, wie sie gewöhnlich nur auf Schulen und Universitäten erlangt wird.
Uberdieß machte man mir von manchen Seiten be¬ merklich, daß ich mich auf eigenem Wege vergebens abmühe und daß, ohne eine sogenannte classische Bil¬ dung, nie ein Dichter dahin gelangen werde sowohl seine eigene Sprache mit Geschick und Nachdruck zu gebrauchen, als auch überhaupt, dem Gehalt und Geiste nach, etwas Vorzügliches zu leisten.
Da ich nun auch zu dieser Zeit viele Biographien bedeutender Männer las, um zu sehen, welche Bildungs¬ wege sie eingeschlagen um zu etwas Tüchtigem zu ge¬ langen, und ich bey ihnen überall den Gang durch Schulen und Universitäten wahrzunehmen hatte, so faßte ich, obgleich bey so vorgerücktem Alter und unter so wi¬
Nachdem ich mich einigermaßen in Goethe's Schrif¬ ten befeſtiget und mich nebenbey in der Poeſie practiſch auf manche Weiſe verſucht hatte, wendete ich mich zu einigen der groͤßten Dichter des Auslandes und fruͤhe¬ rer Zeiten, und las in den beſten Überſetzungen nicht allein die vorzuͤglichſten Stuͤcke von Shakſpeare, ſondern auch den Sophocles und Homer.
Hiebey merkte ich jedoch ſehr bald, daß von dieſen hohen Werken nur das Allgemein-Menſchliche in mich eingehen wolle, daß aber das Verſtaͤndniß des Beſon¬ deren, ſowohl in ſprachlicher als hiſtoriſcher Hinſicht, wiſſenſchaftliche Kenntniſſe und uͤberhaupt eine Bildung vorausſetze, wie ſie gewoͤhnlich nur auf Schulen und Univerſitaͤten erlangt wird.
Uberdieß machte man mir von manchen Seiten be¬ merklich, daß ich mich auf eigenem Wege vergebens abmuͤhe und daß, ohne eine ſogenannte claſſiſche Bil¬ dung, nie ein Dichter dahin gelangen werde ſowohl ſeine eigene Sprache mit Geſchick und Nachdruck zu gebrauchen, als auch uͤberhaupt, dem Gehalt und Geiſte nach, etwas Vorzuͤgliches zu leiſten.
Da ich nun auch zu dieſer Zeit viele Biographien bedeutender Maͤnner las, um zu ſehen, welche Bildungs¬ wege ſie eingeſchlagen um zu etwas Tuͤchtigem zu ge¬ langen, und ich bey ihnen uͤberall den Gang durch Schulen und Univerſitaͤten wahrzunehmen hatte, ſo faßte ich, obgleich bey ſo vorgeruͤcktem Alter und unter ſo wi¬
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Nachdem ich mich einigermaßen in Goethe's Schrif¬
ten befeſtiget und mich nebenbey in der Poeſie practiſch
auf manche Weiſe verſucht hatte, wendete ich mich zu
einigen der groͤßten Dichter des Auslandes und fruͤhe¬
rer Zeiten, und las in den beſten Überſetzungen nicht
allein die vorzuͤglichſten Stuͤcke von Shakſpeare, ſondern
auch den Sophocles und Homer.
Hiebey merkte ich jedoch ſehr bald, daß von dieſen
hohen Werken nur das Allgemein-Menſchliche in mich
eingehen wolle, daß aber das Verſtaͤndniß des Beſon¬
deren, ſowohl in ſprachlicher als hiſtoriſcher Hinſicht,
wiſſenſchaftliche Kenntniſſe und uͤberhaupt eine Bildung
vorausſetze, wie ſie gewoͤhnlich nur auf Schulen und
Univerſitaͤten erlangt wird.
Uberdieß machte man mir von manchen Seiten be¬
merklich, daß ich mich auf eigenem Wege vergebens
abmuͤhe und daß, ohne eine ſogenannte claſſiſche Bil¬
dung, nie ein Dichter dahin gelangen werde ſowohl
ſeine eigene Sprache mit Geſchick und Nachdruck zu
gebrauchen, als auch uͤberhaupt, dem Gehalt und Geiſte
nach, etwas Vorzuͤgliches zu leiſten.
Da ich nun auch zu dieſer Zeit viele Biographien
bedeutender Maͤnner las, um zu ſehen, welche Bildungs¬
wege ſie eingeſchlagen um zu etwas Tuͤchtigem zu ge¬
langen, und ich bey ihnen uͤberall den Gang durch
Schulen und Univerſitaͤten wahrzunehmen hatte, ſo faßte
ich, obgleich bey ſo vorgeruͤcktem Alter und unter ſo wi¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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