haben, verschwindet vor der entsetzlichen Realität dieses Buchs; aber der Held wird dadurch nicht kleiner, viel¬ mehr wächst er, so wie er an Wahrheit zunimmt."
Eine eigene Zaubergewalt, sagte ich, mußte er in seiner Persönlichkeit haben, daß die Menschen ihm so¬ gleich zufielen und anhingen und sich von ihm leiten ließen.
"Allerdings, sagte Goethe, war seine Persönlichkeit eine überlegene. Die Hauptsache aber bestand darin, daß die Menschen gewiß waren, ihre Zwecke unter ihm zu erreichen. Deßhalb fielen sie ihm zu, so wie sie es jedem thun, der ihnen eine ähnliche Gewißheit einflößt. Fallen doch die Schauspieler einem neuen Regisseur zu, von dem sie glauben, daß er sie in gute Rollen brin¬ gen werde. Dieß ist ein altes Mährchen, das sich im¬ mer wiederholt; die menschliche Natur ist einmal so ein¬ gerichtet. -- Niemand dienet einem Andern aus freyen Stücken; weiß er aber, daß er damit sich selber dient, so thut er es gerne. Napoleon kannte die Menschen zu gut, und er wußte von ihren Schwächen den gehörigen Gebrauch zu machen."
Das Gespräch wendete sich auf Zelter. "Sie wissen, sagte Goethe, daß Zelter den preußischen Orden bekommen. Nun hatte er aber noch kein Wappen; aber eine große Nachkommenschaft ist da, und somit die Hoff¬ nung auf eine weit hinaus dauernde Familie. Er mußte also ein Wappen haben, damit eine ehrenvolle Grund¬
haben, verſchwindet vor der entſetzlichen Realitaͤt dieſes Buchs; aber der Held wird dadurch nicht kleiner, viel¬ mehr waͤchſt er, ſo wie er an Wahrheit zunimmt.“
Eine eigene Zaubergewalt, ſagte ich, mußte er in ſeiner Perſoͤnlichkeit haben, daß die Menſchen ihm ſo¬ gleich zufielen und anhingen und ſich von ihm leiten ließen.
„Allerdings, ſagte Goethe, war ſeine Perſoͤnlichkeit eine uͤberlegene. Die Hauptſache aber beſtand darin, daß die Menſchen gewiß waren, ihre Zwecke unter ihm zu erreichen. Deßhalb fielen ſie ihm zu, ſo wie ſie es jedem thun, der ihnen eine aͤhnliche Gewißheit einfloͤßt. Fallen doch die Schauſpieler einem neuen Regiſſeur zu, von dem ſie glauben, daß er ſie in gute Rollen brin¬ gen werde. Dieß iſt ein altes Maͤhrchen, das ſich im¬ mer wiederholt; die menſchliche Natur iſt einmal ſo ein¬ gerichtet. — Niemand dienet einem Andern aus freyen Stuͤcken; weiß er aber, daß er damit ſich ſelber dient, ſo thut er es gerne. Napoleon kannte die Menſchen zu gut, und er wußte von ihren Schwaͤchen den gehoͤrigen Gebrauch zu machen.“
Das Geſpraͤch wendete ſich auf Zelter. „Sie wiſſen, ſagte Goethe, daß Zelter den preußiſchen Orden bekommen. Nun hatte er aber noch kein Wappen; aber eine große Nachkommenſchaft iſt da, und ſomit die Hoff¬ nung auf eine weit hinaus dauernde Familie. Er mußte alſo ein Wappen haben, damit eine ehrenvolle Grund¬
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haben, verſchwindet vor der entſetzlichen Realitaͤt dieſes
Buchs; aber der Held wird dadurch nicht kleiner, viel¬
mehr waͤchſt er, ſo wie er an Wahrheit zunimmt.“
Eine eigene Zaubergewalt, ſagte ich, mußte er in
ſeiner Perſoͤnlichkeit haben, daß die Menſchen ihm ſo¬
gleich zufielen und anhingen und ſich von ihm leiten
ließen.
„Allerdings, ſagte Goethe, war ſeine Perſoͤnlichkeit
eine uͤberlegene. Die Hauptſache aber beſtand darin,
daß die Menſchen gewiß waren, ihre Zwecke unter ihm
zu erreichen. Deßhalb fielen ſie ihm zu, ſo wie ſie es
jedem thun, der ihnen eine aͤhnliche Gewißheit einfloͤßt.
Fallen doch die Schauſpieler einem neuen Regiſſeur zu,
von dem ſie glauben, daß er ſie in gute Rollen brin¬
gen werde. Dieß iſt ein altes Maͤhrchen, das ſich im¬
mer wiederholt; die menſchliche Natur iſt einmal ſo ein¬
gerichtet. — Niemand dienet einem Andern aus freyen
Stuͤcken; weiß er aber, daß er damit ſich ſelber dient,
ſo thut er es gerne. Napoleon kannte die Menſchen zu
gut, und er wußte von ihren Schwaͤchen den gehoͤrigen
Gebrauch zu machen.“
Das Geſpraͤch wendete ſich auf Zelter. „Sie
wiſſen, ſagte Goethe, daß Zelter den preußiſchen Orden
bekommen. Nun hatte er aber noch kein Wappen; aber
eine große Nachkommenſchaft iſt da, und ſomit die Hoff¬
nung auf eine weit hinaus dauernde Familie. Er mußte
alſo ein Wappen haben, damit eine ehrenvolle Grund¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/115>, abgerufen am 21.11.2024.
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