Von den Irländern wendete sich das Gespräch zu den Händeln in der Türkey. Man wunderte sich, wie die Russen, bey ihrer Übermacht, im vorigjährigen Feld¬ zuge nicht weiter gekommen. "Die Sache ist die, sagte Goethe, die Mittel waren unzulänglich, und deßhalb machte man zu große Anforderungen an Einzelne, wo¬ durch denn persönliche Großthaten und Aufopferungen geschahen, ohne die Angelegenheit im Ganzen zu för¬ dern."
Es mag auch ein verwünschtes Local seyn, sagte Meyer; man sieht, in den ältesten Zeiten, daß es in dieser Gegend, wenn ein Feind von der Donau her zu dem nördlichen Gebirg eindringen wollte, immer Hän¬ del setzte, daß er immer den hartnäckigsten Widerstand gefunden, und daß er fast nie hereingekommen ist. Wenn die Russen sich nur die Seeseite offen halten, um sich von dorther mit Proviant versehen zu können! "Das ist zu hoffen," sagte Goethe.
"Ich lese jetzt Napoleons Feldzug in Egypten, und zwar was der tägliche Begleiter des Helden, was Bourrienne davon sagt, wo denn das Abenteuer¬ liche von vielen Dingen verschwindet, und die Facta in ihrer nackten erhabenen Wahrheit dastehen. Man sieht, er hatte bloß diesen Zug unternommen, um eine Epoche auszufüllen, wo er in Frankreich nichts thun konnte, um sich zum Herrn zu machen. Er war an¬ fänglich unschlüssig, was zu thun sey; er besuchte alle
Von den Irlaͤndern wendete ſich das Geſpraͤch zu den Haͤndeln in der Tuͤrkey. Man wunderte ſich, wie die Ruſſen, bey ihrer Übermacht, im vorigjaͤhrigen Feld¬ zuge nicht weiter gekommen. „Die Sache iſt die, ſagte Goethe, die Mittel waren unzulaͤnglich, und deßhalb machte man zu große Anforderungen an Einzelne, wo¬ durch denn perſoͤnliche Großthaten und Aufopferungen geſchahen, ohne die Angelegenheit im Ganzen zu foͤr¬ dern.“
Es mag auch ein verwuͤnſchtes Local ſeyn, ſagte Meyer; man ſieht, in den aͤlteſten Zeiten, daß es in dieſer Gegend, wenn ein Feind von der Donau her zu dem noͤrdlichen Gebirg eindringen wollte, immer Haͤn¬ del ſetzte, daß er immer den hartnaͤckigſten Widerſtand gefunden, und daß er faſt nie hereingekommen iſt. Wenn die Ruſſen ſich nur die Seeſeite offen halten, um ſich von dorther mit Proviant verſehen zu koͤnnen! „Das iſt zu hoffen,“ ſagte Goethe.
„Ich leſe jetzt Napoleons Feldzug in Egypten, und zwar was der taͤgliche Begleiter des Helden, was Bourrienne davon ſagt, wo denn das Abenteuer¬ liche von vielen Dingen verſchwindet, und die Facta in ihrer nackten erhabenen Wahrheit daſtehen. Man ſieht, er hatte bloß dieſen Zug unternommen, um eine Epoche auszufuͤllen, wo er in Frankreich nichts thun konnte, um ſich zum Herrn zu machen. Er war an¬ faͤnglich unſchluͤſſig, was zu thun ſey; er beſuchte alle
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Von den Irlaͤndern wendete ſich das Geſpraͤch zu
den Haͤndeln in der Tuͤrkey. Man wunderte ſich, wie
die Ruſſen, bey ihrer Übermacht, im vorigjaͤhrigen Feld¬
zuge nicht weiter gekommen. „Die Sache iſt die, ſagte
Goethe, die Mittel waren unzulaͤnglich, und deßhalb
machte man zu große Anforderungen an Einzelne, wo¬
durch denn perſoͤnliche Großthaten und Aufopferungen
geſchahen, ohne die Angelegenheit im Ganzen zu foͤr¬
dern.“
Es mag auch ein verwuͤnſchtes Local ſeyn, ſagte
Meyer; man ſieht, in den aͤlteſten Zeiten, daß es in
dieſer Gegend, wenn ein Feind von der Donau her zu
dem noͤrdlichen Gebirg eindringen wollte, immer Haͤn¬
del ſetzte, daß er immer den hartnaͤckigſten Widerſtand
gefunden, und daß er faſt nie hereingekommen iſt. Wenn
die Ruſſen ſich nur die Seeſeite offen halten, um ſich
von dorther mit Proviant verſehen zu koͤnnen! „Das
iſt zu hoffen,“ ſagte Goethe.
„Ich leſe jetzt Napoleons Feldzug in Egypten,
und zwar was der taͤgliche Begleiter des Helden, was
Bourrienne davon ſagt, wo denn das Abenteuer¬
liche von vielen Dingen verſchwindet, und die Facta
in ihrer nackten erhabenen Wahrheit daſtehen. Man
ſieht, er hatte bloß dieſen Zug unternommen, um eine
Epoche auszufuͤllen, wo er in Frankreich nichts thun
konnte, um ſich zum Herrn zu machen. Er war an¬
faͤnglich unſchluͤſſig, was zu thun ſey; er beſuchte alle
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/122>, abgerufen am 21.11.2024.
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