die Fürsten lieben als gute Militairs mathematische Be¬ stimmungen, und gehen gerne nach Maß und Zahl gro߬ artig zu Werke."
Ich freute mich dieser Anecdote. Sodann sprachen wir noch Manches über Kunst und derartige Gegen¬ stände.
"Ich besitze Handzeichnungen, sagte Goethe, nach Gemälden von Raphael und Dominichin, worüber Meyer eine merkwürdige Äußerung gemacht hat, die ich Ihnen doch mittheilen will."
"Die Zeichnungen, sagte Meyer, haben etwas Un¬ geübtes, aber man sieht, daß derjenige, der sie machte, ein zartes richtiges Gefühl von den Bildern hatte, die vor ihm waren, welches denn in die Zeichnungen über¬ gegangen ist, so daß sie uns das Original sehr treu vor die Seele rufen. Würde ein jetziger Künstler jene Bil¬ der copiren, so würde er alles weit besser und vielleicht auch richtiger zeichnen; aber es ist vorauszusagen, daß ihm jene treue Empfindung des Originals fehlen, und daß also seine bessere Zeichnung weit entfernt seyn würde uns von Raphael und Dominichin einen so reinen voll¬ kommenen Begriff zu geben."
"Ist das nicht ein sehr artiger Fall? sagte Goethe. Es könnte ein Ähnliches bey Übersetzungen Statt finden. Voß hat z. B. sicher eine treffliche Übersetzung vom Homer gemacht; aber es wäre zu denken, daß jemand eine naivere, wahrere Empfindung des Originals hätte
die Fuͤrſten lieben als gute Militairs mathematiſche Be¬ ſtimmungen, und gehen gerne nach Maß und Zahl gro߬ artig zu Werke.“
Ich freute mich dieſer Anecdote. Sodann ſprachen wir noch Manches uͤber Kunſt und derartige Gegen¬ ſtaͤnde.
„Ich beſitze Handzeichnungen, ſagte Goethe, nach Gemaͤlden von Raphael und Dominichin, woruͤber Meyer eine merkwuͤrdige Äußerung gemacht hat, die ich Ihnen doch mittheilen will.“
„Die Zeichnungen, ſagte Meyer, haben etwas Un¬ geuͤbtes, aber man ſieht, daß derjenige, der ſie machte, ein zartes richtiges Gefuͤhl von den Bildern hatte, die vor ihm waren, welches denn in die Zeichnungen uͤber¬ gegangen iſt, ſo daß ſie uns das Original ſehr treu vor die Seele rufen. Wuͤrde ein jetziger Kuͤnſtler jene Bil¬ der copiren, ſo wuͤrde er alles weit beſſer und vielleicht auch richtiger zeichnen; aber es iſt vorauszuſagen, daß ihm jene treue Empfindung des Originals fehlen, und daß alſo ſeine beſſere Zeichnung weit entfernt ſeyn wuͤrde uns von Raphael und Dominichin einen ſo reinen voll¬ kommenen Begriff zu geben.“
„Iſt das nicht ein ſehr artiger Fall? ſagte Goethe. Es koͤnnte ein Ähnliches bey Überſetzungen Statt finden. Voß hat z. B. ſicher eine treffliche Überſetzung vom Homer gemacht; aber es waͤre zu denken, daß jemand eine naivere, wahrere Empfindung des Originals haͤtte
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die Fuͤrſten lieben als gute Militairs mathematiſche Be¬
ſtimmungen, und gehen gerne nach Maß und Zahl gro߬
artig zu Werke.“
Ich freute mich dieſer Anecdote. Sodann ſprachen
wir noch Manches uͤber Kunſt und derartige Gegen¬
ſtaͤnde.
„Ich beſitze Handzeichnungen, ſagte Goethe, nach
Gemaͤlden von Raphael und Dominichin, woruͤber
Meyer eine merkwuͤrdige Äußerung gemacht hat, die
ich Ihnen doch mittheilen will.“
„Die Zeichnungen, ſagte Meyer, haben etwas Un¬
geuͤbtes, aber man ſieht, daß derjenige, der ſie machte,
ein zartes richtiges Gefuͤhl von den Bildern hatte, die
vor ihm waren, welches denn in die Zeichnungen uͤber¬
gegangen iſt, ſo daß ſie uns das Original ſehr treu vor
die Seele rufen. Wuͤrde ein jetziger Kuͤnſtler jene Bil¬
der copiren, ſo wuͤrde er alles weit beſſer und vielleicht
auch richtiger zeichnen; aber es iſt vorauszuſagen, daß
ihm jene treue Empfindung des Originals fehlen, und
daß alſo ſeine beſſere Zeichnung weit entfernt ſeyn wuͤrde
uns von Raphael und Dominichin einen ſo reinen voll¬
kommenen Begriff zu geben.“
„Iſt das nicht ein ſehr artiger Fall? ſagte Goethe.
Es koͤnnte ein Ähnliches bey Überſetzungen Statt finden.
Voß hat z. B. ſicher eine treffliche Überſetzung vom
Homer gemacht; aber es waͤre zu denken, daß jemand
eine naivere, wahrere Empfindung des Originals haͤtte
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/133>, abgerufen am 21.11.2024.
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