haben vollkommen Recht, und es wäre über dieses Ca¬ pitel Vieles zu sagen."
"Ich habe indeß, fuhr er fort, das neue Epos von Egon Ebert gelesen und Sie sollen es auch thun, damit wir ihm vielleicht von hier aus ein wenig nach¬ helfen. -- Das ist nun wirklich ein recht erfreuliches Talent, aber diesem neuen Gedicht mangelt die eigent¬ liche poetische Grundlage, die Grundlage des Realen. Landschaften, Sonnen-Auf- und Untergänge, Stellen, wo die äußere Welt die seinige war, sind vollkommen gut und nicht besser zu machen. Das Übrige aber, was in vergangenen Jahrhunderten hinauslag, was der Sage angehörte, ist nicht in der gehörigen Wahrheit erschie¬ nen und es mangelt diesem der eigentliche Kern. Die Amazonen und ihr Leben und Handeln sind ins Allge¬ meine gezogen, in das was junge Leute für poetisch und romantisch halten und was dafür in der ästhetischen Welt gewöhnlich passirt."
Es ist dieß ein Fehler, sagte ich, der durch die ganze jetzige Literatur geht. Man vermeidet das specielle Wahre, aus Furcht, es sey nicht poetisch, und verfällt dadurch in Gemeinplätze.
"Egon Ebert, sagte Goethe, hätte sich sollen an die Überlieferung der Chronik halten, da hätte aus sei¬ nem Gedicht etwas werden können. Wenn ich bedenke, wie Schiller die Überlieferung studirte, was er sich für Mühe mit der Schweiz gab als er seinen Tell
II. 9
haben vollkommen Recht, und es waͤre uͤber dieſes Ca¬ pitel Vieles zu ſagen.“
„Ich habe indeß, fuhr er fort, das neue Epos von Egon Ebert geleſen und Sie ſollen es auch thun, damit wir ihm vielleicht von hier aus ein wenig nach¬ helfen. — Das iſt nun wirklich ein recht erfreuliches Talent, aber dieſem neuen Gedicht mangelt die eigent¬ liche poetiſche Grundlage, die Grundlage des Realen. Landſchaften, Sonnen-Auf- und Untergaͤnge, Stellen, wo die aͤußere Welt die ſeinige war, ſind vollkommen gut und nicht beſſer zu machen. Das Übrige aber, was in vergangenen Jahrhunderten hinauslag, was der Sage angehoͤrte, iſt nicht in der gehoͤrigen Wahrheit erſchie¬ nen und es mangelt dieſem der eigentliche Kern. Die Amazonen und ihr Leben und Handeln ſind ins Allge¬ meine gezogen, in das was junge Leute fuͤr poetiſch und romantiſch halten und was dafuͤr in der aͤſthetiſchen Welt gewoͤhnlich paſſirt.“
Es iſt dieß ein Fehler, ſagte ich, der durch die ganze jetzige Literatur geht. Man vermeidet das ſpecielle Wahre, aus Furcht, es ſey nicht poetiſch, und verfaͤllt dadurch in Gemeinplaͤtze.
„Egon Ebert, ſagte Goethe, haͤtte ſich ſollen an die Überlieferung der Chronik halten, da haͤtte aus ſei¬ nem Gedicht etwas werden koͤnnen. Wenn ich bedenke, wie Schiller die Überlieferung ſtudirte, was er ſich fuͤr Muͤhe mit der Schweiz gab als er ſeinen Tell
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haben vollkommen Recht, und es waͤre uͤber dieſes Ca¬
pitel Vieles zu ſagen.“
„Ich habe indeß, fuhr er fort, das neue Epos von
Egon Ebert geleſen und Sie ſollen es auch thun,
damit wir ihm vielleicht von hier aus ein wenig nach¬
helfen. — Das iſt nun wirklich ein recht erfreuliches
Talent, aber dieſem neuen Gedicht mangelt die eigent¬
liche poetiſche Grundlage, die Grundlage des Realen.
Landſchaften, Sonnen-Auf- und Untergaͤnge, Stellen,
wo die aͤußere Welt die ſeinige war, ſind vollkommen
gut und nicht beſſer zu machen. Das Übrige aber, was
in vergangenen Jahrhunderten hinauslag, was der Sage
angehoͤrte, iſt nicht in der gehoͤrigen Wahrheit erſchie¬
nen und es mangelt dieſem der eigentliche Kern. Die
Amazonen und ihr Leben und Handeln ſind ins Allge¬
meine gezogen, in das was junge Leute fuͤr poetiſch
und romantiſch halten und was dafuͤr in der aͤſthetiſchen
Welt gewoͤhnlich paſſirt.“
Es iſt dieß ein Fehler, ſagte ich, der durch die
ganze jetzige Literatur geht. Man vermeidet das ſpecielle
Wahre, aus Furcht, es ſey nicht poetiſch, und verfaͤllt
dadurch in Gemeinplaͤtze.
„Egon Ebert, ſagte Goethe, haͤtte ſich ſollen an
die Überlieferung der Chronik halten, da haͤtte aus ſei¬
nem Gedicht etwas werden koͤnnen. Wenn ich bedenke,
wie Schiller die Überlieferung ſtudirte, was er ſich
fuͤr Muͤhe mit der Schweiz gab als er ſeinen Tell
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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