schrieb, und wie Shakspeare die Chroniken benutzte und ganze Stellen daraus wörtlich in seine Stücke auf¬ genommen hat, so könnte man einem jetzigen jungen Dichter auch wohl dergleichen zumuthen. In meinem Clavigo habe ich aus den Memoiren des Beau¬ marchais ganze Stellen." Es ist aber so verarbeitet, sagte ich, daß man es nicht merkt, es ist nicht stoff¬ artig geblieben. "So ist es recht, sagte Goethe, wenn es so ist."
Goethe erzählte mir sodann einige Züge von Beau¬ marchais. "Er war ein toller Christ, sagte er, und Sie müssen seine Memoiren lesen. -- Processe waren sein Element, worin es ihm erst eigentlich wohl wurde. Es existiren noch Reden von Advocaten aus einem sei¬ ner Processe, die zu dem Merkwürdigsten, Talentreich¬ sten und Verwegensten gehören was je in dieser Art ver¬ handelt worden. Eben diesen berühmten Proceß verlor Beaumarchais. Als er die Treppe des Gerichtshofes hinabging, begegnete ihm der Canzler, der hinauf wollte. Beaumarchais sollte ihm ausweichen, allein dieser wei¬ gerte sich, und bestand darauf, daß jeder zur Hälfte Platz machen müsse. Der Canzler, in seiner Würde beleidigt, befahl den Leuten seines Gefolges, Beaumar¬ chais auf die Seite zu schieben, welches geschah; worauf denn Beaumarchais auf der Stelle wieder in den Ge¬ richtssaal zurückging, und einen Proceß gegen den Canz¬ ler anhängig machte, den er gewann."
ſchrieb, und wie Shakſpeare die Chroniken benutzte und ganze Stellen daraus woͤrtlich in ſeine Stuͤcke auf¬ genommen hat, ſo koͤnnte man einem jetzigen jungen Dichter auch wohl dergleichen zumuthen. In meinem Clavigo habe ich aus den Memoiren des Beau¬ marchais ganze Stellen.“ Es iſt aber ſo verarbeitet, ſagte ich, daß man es nicht merkt, es iſt nicht ſtoff¬ artig geblieben. „So iſt es recht, ſagte Goethe, wenn es ſo iſt.“
Goethe erzaͤhlte mir ſodann einige Zuͤge von Beau¬ marchais. „Er war ein toller Chriſt, ſagte er, und Sie muͤſſen ſeine Memoiren leſen. — Proceſſe waren ſein Element, worin es ihm erſt eigentlich wohl wurde. Es exiſtiren noch Reden von Advocaten aus einem ſei¬ ner Proceſſe, die zu dem Merkwuͤrdigſten, Talentreich¬ ſten und Verwegenſten gehoͤren was je in dieſer Art ver¬ handelt worden. Eben dieſen beruͤhmten Proceß verlor Beaumarchais. Als er die Treppe des Gerichtshofes hinabging, begegnete ihm der Canzler, der hinauf wollte. Beaumarchais ſollte ihm ausweichen, allein dieſer wei¬ gerte ſich, und beſtand darauf, daß jeder zur Haͤlfte Platz machen muͤſſe. Der Canzler, in ſeiner Wuͤrde beleidigt, befahl den Leuten ſeines Gefolges, Beaumar¬ chais auf die Seite zu ſchieben, welches geſchah; worauf denn Beaumarchais auf der Stelle wieder in den Ge¬ richtsſaal zuruͤckging, und einen Proceß gegen den Canz¬ ler anhaͤngig machte, den er gewann.“
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ſchrieb, und wie Shakſpeare die Chroniken benutzte
und ganze Stellen daraus woͤrtlich in ſeine Stuͤcke auf¬
genommen hat, ſo koͤnnte man einem jetzigen jungen
Dichter auch wohl dergleichen zumuthen. In meinem
Clavigo habe ich aus den Memoiren des Beau¬
marchais ganze Stellen.“ Es iſt aber ſo verarbeitet,
ſagte ich, daß man es nicht merkt, es iſt nicht ſtoff¬
artig geblieben. „So iſt es recht, ſagte Goethe, wenn
es ſo iſt.“
Goethe erzaͤhlte mir ſodann einige Zuͤge von Beau¬
marchais. „Er war ein toller Chriſt, ſagte er, und
Sie muͤſſen ſeine Memoiren leſen. — Proceſſe waren
ſein Element, worin es ihm erſt eigentlich wohl wurde.
Es exiſtiren noch Reden von Advocaten aus einem ſei¬
ner Proceſſe, die zu dem Merkwuͤrdigſten, Talentreich¬
ſten und Verwegenſten gehoͤren was je in dieſer Art ver¬
handelt worden. Eben dieſen beruͤhmten Proceß verlor
Beaumarchais. Als er die Treppe des Gerichtshofes
hinabging, begegnete ihm der Canzler, der hinauf wollte.
Beaumarchais ſollte ihm ausweichen, allein dieſer wei¬
gerte ſich, und beſtand darauf, daß jeder zur Haͤlfte
Platz machen muͤſſe. Der Canzler, in ſeiner Wuͤrde
beleidigt, befahl den Leuten ſeines Gefolges, Beaumar¬
chais auf die Seite zu ſchieben, welches geſchah; worauf
denn Beaumarchais auf der Stelle wieder in den Ge¬
richtsſaal zuruͤckging, und einen Proceß gegen den Canz¬
ler anhaͤngig machte, den er gewann.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/140>, abgerufen am 21.11.2024.
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