Ich freute mich über diese Anecdote und wir unter¬ hielten uns bey Tische heiter fort über verschiedene Dinge.
"Ich habe meinen zweyten Aufenthalt in Rom wieder vorgenommen, sagte Goethe, damit ich ihn endlich loswerde und an etwas Anderes gehen kann. Meine gedruckte Italienische Reise habe ich, wie Sie wissen, ganz aus Briefen redigirt. Die Briefe aber, die ich während meines zweyten Aufenthaltes in Rom geschrieben, sind nicht der Art, um davon vorzüg¬ lichen Gebrauch machen zu können; sie enthalten zu viele Bezüge nach Haus, auf meine Weimarischen Verhält¬ nisse, und zeigen zu wenig von meinem italienischen Leben. Aber es finden sich darin manche Äußerungen, die meinen damaligen inneren Zustand ausdrücken. Nun habe ich den Plan, solche Stellen auszuziehen und einzeln über einander zu setzen, und sie so meiner Er¬ zählung einzuschalten, auf welche dadurch eine Art von Ton und Stimmung übergehen wird." Ich fand dieses vollkommen gut und bestätigte Goethe in dem Vorsatz.
"Man hat zu allen Zeiten gesagt und wiederholt, fuhr Goethe fort, man solle trachten sich selber zu kennen. Dieß ist eine seltsame Forderung, der bis jetzt niemand genüget hat und der eigentlich auch niemand genügen soll. Der Mensch ist mit allen seinen Sinnen und Trachten aufs Äußere angewiesen, auf die Welt um ihn her, und er
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Ich freute mich uͤber dieſe Anecdote und wir unter¬ hielten uns bey Tiſche heiter fort uͤber verſchiedene Dinge.
„Ich habe meinen zweyten Aufenthalt in Rom wieder vorgenommen, ſagte Goethe, damit ich ihn endlich loswerde und an etwas Anderes gehen kann. Meine gedruckte Italieniſche Reiſe habe ich, wie Sie wiſſen, ganz aus Briefen redigirt. Die Briefe aber, die ich waͤhrend meines zweyten Aufenthaltes in Rom geſchrieben, ſind nicht der Art, um davon vorzuͤg¬ lichen Gebrauch machen zu koͤnnen; ſie enthalten zu viele Bezuͤge nach Haus, auf meine Weimariſchen Verhaͤlt¬ niſſe, und zeigen zu wenig von meinem italieniſchen Leben. Aber es finden ſich darin manche Äußerungen, die meinen damaligen inneren Zuſtand ausdruͤcken. Nun habe ich den Plan, ſolche Stellen auszuziehen und einzeln uͤber einander zu ſetzen, und ſie ſo meiner Er¬ zaͤhlung einzuſchalten, auf welche dadurch eine Art von Ton und Stimmung uͤbergehen wird.“ Ich fand dieſes vollkommen gut und beſtaͤtigte Goethe in dem Vorſatz.
„Man hat zu allen Zeiten geſagt und wiederholt, fuhr Goethe fort, man ſolle trachten ſich ſelber zu kennen. Dieß iſt eine ſeltſame Forderung, der bis jetzt niemand genuͤget hat und der eigentlich auch niemand genuͤgen ſoll. Der Menſch iſt mit allen ſeinen Sinnen und Trachten aufs Äußere angewieſen, auf die Welt um ihn her, und er
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Ich freute mich uͤber dieſe Anecdote und wir unter¬
hielten uns bey Tiſche heiter fort uͤber verſchiedene
Dinge.
„Ich habe meinen zweyten Aufenthalt in
Rom wieder vorgenommen, ſagte Goethe, damit ich
ihn endlich loswerde und an etwas Anderes gehen kann.
Meine gedruckte Italieniſche Reiſe habe ich, wie
Sie wiſſen, ganz aus Briefen redigirt. Die Briefe
aber, die ich waͤhrend meines zweyten Aufenthaltes in
Rom geſchrieben, ſind nicht der Art, um davon vorzuͤg¬
lichen Gebrauch machen zu koͤnnen; ſie enthalten zu viele
Bezuͤge nach Haus, auf meine Weimariſchen Verhaͤlt¬
niſſe, und zeigen zu wenig von meinem italieniſchen
Leben. Aber es finden ſich darin manche Äußerungen,
die meinen damaligen inneren Zuſtand ausdruͤcken.
Nun habe ich den Plan, ſolche Stellen auszuziehen und
einzeln uͤber einander zu ſetzen, und ſie ſo meiner Er¬
zaͤhlung einzuſchalten, auf welche dadurch eine Art
von Ton und Stimmung uͤbergehen wird.“ Ich fand
dieſes vollkommen gut und beſtaͤtigte Goethe in dem
Vorſatz.
„Man hat zu allen Zeiten geſagt und wiederholt, fuhr
Goethe fort, man ſolle trachten ſich ſelber zu kennen.
Dieß iſt eine ſeltſame Forderung, der bis jetzt niemand
genuͤget hat und der eigentlich auch niemand genuͤgen ſoll.
Der Menſch iſt mit allen ſeinen Sinnen und Trachten
aufs Äußere angewieſen, auf die Welt um ihn her, und er
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/141>, abgerufen am 24.11.2024.
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