Goethe. Der Canzler hat Manzoni besucht, er lebt auf seinem Landgute in der Nähe von Mayland und ist zu meinem Bedauern fortwährend kränklich."
Es ist eigen, sagte ich, daß man so häufig bey ausgezeichneten Talenten, besonders bey Poeten, findet, daß sie eine schwächliche Constitution haben.
"Das Außerordentliche was solche Menschen leisten, sagte Goethe, setzt eine sehr zarte Organisation voraus, damit sie seltener Empfindungen fähig seyn und die Stimme der Himmlischen vernehmen mögen. Nun ist eine solche Organisation, im Conflict mit der Welt und den Elementen, leicht gestört und verletzt, und wer nicht, wie Voltaire, mit großer Sensibilität eine außerordentliche Zähheit verbindet, ist leicht einer fort¬ gesetzten Kränklichkeit unterworfen. Schiller war auch beständig krank. Als ich ihn zuerst kennen lernte, glaubte ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine gewisse Zähheit; er hielt sich noch die vielen Jahre und hätte sich bey gesünderer Lebensweise noch länger halten können."
Wir sprachen vom Theater und inwiefern eine ge¬ wisse Vorstellung gelungen sey.
"Ich habe Unzelmann in dieser Rolle gesehen, sagte Goethe, bey dem es einem immer wohl wurde, und zwar durch die große Freyheit seines Geistes, die er
Goethe. Der Canzler hat Manzoni beſucht, er lebt auf ſeinem Landgute in der Naͤhe von Mayland und iſt zu meinem Bedauern fortwaͤhrend kraͤnklich.“
Es iſt eigen, ſagte ich, daß man ſo haͤufig bey ausgezeichneten Talenten, beſonders bey Poeten, findet, daß ſie eine ſchwaͤchliche Conſtitution haben.
„Das Außerordentliche was ſolche Menſchen leiſten, ſagte Goethe, ſetzt eine ſehr zarte Organiſation voraus, damit ſie ſeltener Empfindungen faͤhig ſeyn und die Stimme der Himmliſchen vernehmen moͤgen. Nun iſt eine ſolche Organiſation, im Conflict mit der Welt und den Elementen, leicht geſtoͤrt und verletzt, und wer nicht, wie Voltaire, mit großer Senſibilitaͤt eine außerordentliche Zaͤhheit verbindet, iſt leicht einer fort¬ geſetzten Kraͤnklichkeit unterworfen. Schiller war auch beſtaͤndig krank. Als ich ihn zuerſt kennen lernte, glaubte ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine gewiſſe Zaͤhheit; er hielt ſich noch die vielen Jahre und haͤtte ſich bey geſuͤnderer Lebensweiſe noch laͤnger halten koͤnnen.“
Wir ſprachen vom Theater und inwiefern eine ge¬ wiſſe Vorſtellung gelungen ſey.
„Ich habe Unzelmann in dieſer Rolle geſehen, ſagte Goethe, bey dem es einem immer wohl wurde, und zwar durch die große Freyheit ſeines Geiſtes, die er
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0168"n="158"/>
Goethe. Der Canzler hat Manzoni beſucht, er lebt auf<lb/>ſeinem Landgute in der Naͤhe von Mayland und iſt zu<lb/>
meinem Bedauern fortwaͤhrend kraͤnklich.“</p><lb/><p>Es iſt eigen, ſagte ich, daß man ſo haͤufig bey<lb/>
ausgezeichneten Talenten, beſonders bey Poeten, findet,<lb/>
daß ſie eine ſchwaͤchliche Conſtitution haben.</p><lb/><p>„Das Außerordentliche was ſolche Menſchen leiſten,<lb/>ſagte Goethe, ſetzt eine ſehr zarte Organiſation voraus,<lb/>
damit ſie ſeltener Empfindungen faͤhig ſeyn und die<lb/>
Stimme der Himmliſchen vernehmen moͤgen. Nun iſt<lb/>
eine ſolche Organiſation, im Conflict mit der Welt und<lb/>
den Elementen, leicht geſtoͤrt und verletzt, und wer<lb/>
nicht, wie <hirendition="#g">Voltaire</hi>, mit großer Senſibilitaͤt eine<lb/>
außerordentliche Zaͤhheit verbindet, iſt leicht einer fort¬<lb/>
geſetzten Kraͤnklichkeit unterworfen. <hirendition="#g">Schiller</hi> war auch<lb/>
beſtaͤndig krank. Als ich ihn zuerſt kennen lernte, glaubte<lb/>
ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine<lb/>
gewiſſe Zaͤhheit; er hielt ſich noch die vielen Jahre und<lb/>
haͤtte ſich bey geſuͤnderer Lebensweiſe noch laͤnger halten<lb/>
koͤnnen.“</p><lb/><p>Wir ſprachen vom Theater und inwiefern eine ge¬<lb/>
wiſſe Vorſtellung gelungen ſey.</p><lb/><p>„Ich habe Unzelmann in dieſer Rolle geſehen, ſagte<lb/>
Goethe, bey dem es einem immer wohl wurde, und<lb/>
zwar durch die große Freyheit ſeines Geiſtes, die er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[158/0168]
Goethe. Der Canzler hat Manzoni beſucht, er lebt auf
ſeinem Landgute in der Naͤhe von Mayland und iſt zu
meinem Bedauern fortwaͤhrend kraͤnklich.“
Es iſt eigen, ſagte ich, daß man ſo haͤufig bey
ausgezeichneten Talenten, beſonders bey Poeten, findet,
daß ſie eine ſchwaͤchliche Conſtitution haben.
„Das Außerordentliche was ſolche Menſchen leiſten,
ſagte Goethe, ſetzt eine ſehr zarte Organiſation voraus,
damit ſie ſeltener Empfindungen faͤhig ſeyn und die
Stimme der Himmliſchen vernehmen moͤgen. Nun iſt
eine ſolche Organiſation, im Conflict mit der Welt und
den Elementen, leicht geſtoͤrt und verletzt, und wer
nicht, wie Voltaire, mit großer Senſibilitaͤt eine
außerordentliche Zaͤhheit verbindet, iſt leicht einer fort¬
geſetzten Kraͤnklichkeit unterworfen. Schiller war auch
beſtaͤndig krank. Als ich ihn zuerſt kennen lernte, glaubte
ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine
gewiſſe Zaͤhheit; er hielt ſich noch die vielen Jahre und
haͤtte ſich bey geſuͤnderer Lebensweiſe noch laͤnger halten
koͤnnen.“
Wir ſprachen vom Theater und inwiefern eine ge¬
wiſſe Vorſtellung gelungen ſey.
„Ich habe Unzelmann in dieſer Rolle geſehen, ſagte
Goethe, bey dem es einem immer wohl wurde, und
zwar durch die große Freyheit ſeines Geiſtes, die er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/168>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.